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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dem Vertreter der Lyra und der Saiten, besiegt wird, daß in der europäischen
Kunst die Instrumentalmusik fast dreihundert Jahre jünger ist als der Gesang,
in ihren ersten Zeiten wieder die Blasmusik ganz bedeutend überwiegt.
Eine ganz andre Frage ist die: ob die Naturvölker ihren Gesang grundsätzlich
instrumental begleiten oder nicht. Sie muß dem Anschein nach bejaht werden,
aber es gilt die Methoden dieser Begleitung technisch und historisch genauer
festzustellen. Doch sind das alles Einzelheiten von geringer Bedeutung. Der
von Bücher eingeschlagne Weg, darüber kann kein Zweifel sein, muß festgehalten
werden. Führt er uus auch nicht zu einem abgeschlossenen musikalischen Sanskrit,
so stellt er uns doch eine Reihe wertvoller neuer Aufschlüsse über die Lebens-
bedingungen der Musik in sichre Aussicht. Darin liegt die Hauptbedeutung
von Büchers Vorgehn, darin liegt auch die schon oben berührte praktische
Wichtigkeit seiner Theorie. Sie stellt unter die Ursachen, die zur Entstehung
und zur ersten Ausbildung der Musik geführt haben, ein scheinbar prosaisches
Element, die Arbeit, neu mit ein, aber gerade dadurch erweist sie unsrer Zeit
eine große Wohlthat. Sie vertritt die Rechte der Natur und des wirklichen
Lebens an einer Kunst, die infolge einer zufälligen Querentwickluug in Oper
und Instrumentalmusik mehr und mehr den Zusammenhang mit der Kultur
aufgeben, ein Tummelplatz eitler Träumer, flach spielerischer Geister, ein Werk¬
zeug der Verdummung werden will. Sie ist ein autoritativer Stoß gegen die
träge Irrlehre von einer Musik, die nur musikalisch wirken, nur musikalisch
verstanden und genossen werden soll, ist ein Zeugnis, eine Bitte, eine Mahnung
aus dem Elternhaus der Musik, das Kind vor Vergewaltigung zu behüten.
Möge die ausgezeichnete, grundlegende Arbeit Büchers auch nach dieser Richtung
hin fruchtbar werden!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das beabsichtigte Reichsgesetz über die Sicherung

der Bnu-
gläubiger. Ein solches Gesetz ist bisher nicht zustande gekommen, obgleich der
Schutz der Bauhandwerker dringend notwendig ist. Denn dem betrügerischen
Raffinement gegenüber, das man Banschwindel nennt, sind diese in der That wehr¬
los. Der Z 643 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet: "Der Unternehmer eines Bau¬
werks oder eines einzelnen Teiles eines Bauwerks kann für seine Forderungen aus
dem Vertrage die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Bangrundstücke
des Bestellers verlangen. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er die Ein¬
räumung einer Sichcrungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden
Teil der Vergütung und für die in der Vergütung nicht inbegriffnen Auslagen
verlangen."

Diese Bestimmung nützt ihm nichts, denn danach kann er die Eintragung einer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

dem Vertreter der Lyra und der Saiten, besiegt wird, daß in der europäischen
Kunst die Instrumentalmusik fast dreihundert Jahre jünger ist als der Gesang,
in ihren ersten Zeiten wieder die Blasmusik ganz bedeutend überwiegt.
Eine ganz andre Frage ist die: ob die Naturvölker ihren Gesang grundsätzlich
instrumental begleiten oder nicht. Sie muß dem Anschein nach bejaht werden,
aber es gilt die Methoden dieser Begleitung technisch und historisch genauer
festzustellen. Doch sind das alles Einzelheiten von geringer Bedeutung. Der
von Bücher eingeschlagne Weg, darüber kann kein Zweifel sein, muß festgehalten
werden. Führt er uus auch nicht zu einem abgeschlossenen musikalischen Sanskrit,
so stellt er uns doch eine Reihe wertvoller neuer Aufschlüsse über die Lebens-
bedingungen der Musik in sichre Aussicht. Darin liegt die Hauptbedeutung
von Büchers Vorgehn, darin liegt auch die schon oben berührte praktische
Wichtigkeit seiner Theorie. Sie stellt unter die Ursachen, die zur Entstehung
und zur ersten Ausbildung der Musik geführt haben, ein scheinbar prosaisches
Element, die Arbeit, neu mit ein, aber gerade dadurch erweist sie unsrer Zeit
eine große Wohlthat. Sie vertritt die Rechte der Natur und des wirklichen
Lebens an einer Kunst, die infolge einer zufälligen Querentwickluug in Oper
und Instrumentalmusik mehr und mehr den Zusammenhang mit der Kultur
aufgeben, ein Tummelplatz eitler Träumer, flach spielerischer Geister, ein Werk¬
zeug der Verdummung werden will. Sie ist ein autoritativer Stoß gegen die
träge Irrlehre von einer Musik, die nur musikalisch wirken, nur musikalisch
verstanden und genossen werden soll, ist ein Zeugnis, eine Bitte, eine Mahnung
aus dem Elternhaus der Musik, das Kind vor Vergewaltigung zu behüten.
Möge die ausgezeichnete, grundlegende Arbeit Büchers auch nach dieser Richtung
hin fruchtbar werden!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das beabsichtigte Reichsgesetz über die Sicherung

der Bnu-
gläubiger. Ein solches Gesetz ist bisher nicht zustande gekommen, obgleich der
Schutz der Bauhandwerker dringend notwendig ist. Denn dem betrügerischen
Raffinement gegenüber, das man Banschwindel nennt, sind diese in der That wehr¬
los. Der Z 643 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet: „Der Unternehmer eines Bau¬
werks oder eines einzelnen Teiles eines Bauwerks kann für seine Forderungen aus
dem Vertrage die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Bangrundstücke
des Bestellers verlangen. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er die Ein¬
räumung einer Sichcrungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden
Teil der Vergütung und für die in der Vergütung nicht inbegriffnen Auslagen
verlangen."

Diese Bestimmung nützt ihm nichts, denn danach kann er die Eintragung einer


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[0336] Maßgebliches und Unmaßgebliches dem Vertreter der Lyra und der Saiten, besiegt wird, daß in der europäischen Kunst die Instrumentalmusik fast dreihundert Jahre jünger ist als der Gesang, in ihren ersten Zeiten wieder die Blasmusik ganz bedeutend überwiegt. Eine ganz andre Frage ist die: ob die Naturvölker ihren Gesang grundsätzlich instrumental begleiten oder nicht. Sie muß dem Anschein nach bejaht werden, aber es gilt die Methoden dieser Begleitung technisch und historisch genauer festzustellen. Doch sind das alles Einzelheiten von geringer Bedeutung. Der von Bücher eingeschlagne Weg, darüber kann kein Zweifel sein, muß festgehalten werden. Führt er uus auch nicht zu einem abgeschlossenen musikalischen Sanskrit, so stellt er uns doch eine Reihe wertvoller neuer Aufschlüsse über die Lebens- bedingungen der Musik in sichre Aussicht. Darin liegt die Hauptbedeutung von Büchers Vorgehn, darin liegt auch die schon oben berührte praktische Wichtigkeit seiner Theorie. Sie stellt unter die Ursachen, die zur Entstehung und zur ersten Ausbildung der Musik geführt haben, ein scheinbar prosaisches Element, die Arbeit, neu mit ein, aber gerade dadurch erweist sie unsrer Zeit eine große Wohlthat. Sie vertritt die Rechte der Natur und des wirklichen Lebens an einer Kunst, die infolge einer zufälligen Querentwickluug in Oper und Instrumentalmusik mehr und mehr den Zusammenhang mit der Kultur aufgeben, ein Tummelplatz eitler Träumer, flach spielerischer Geister, ein Werk¬ zeug der Verdummung werden will. Sie ist ein autoritativer Stoß gegen die träge Irrlehre von einer Musik, die nur musikalisch wirken, nur musikalisch verstanden und genossen werden soll, ist ein Zeugnis, eine Bitte, eine Mahnung aus dem Elternhaus der Musik, das Kind vor Vergewaltigung zu behüten. Möge die ausgezeichnete, grundlegende Arbeit Büchers auch nach dieser Richtung hin fruchtbar werden! Maßgebliches und Unmaßgebliches Das beabsichtigte Reichsgesetz über die Sicherung der Bnu- gläubiger. Ein solches Gesetz ist bisher nicht zustande gekommen, obgleich der Schutz der Bauhandwerker dringend notwendig ist. Denn dem betrügerischen Raffinement gegenüber, das man Banschwindel nennt, sind diese in der That wehr¬ los. Der Z 643 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet: „Der Unternehmer eines Bau¬ werks oder eines einzelnen Teiles eines Bauwerks kann für seine Forderungen aus dem Vertrage die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Bangrundstücke des Bestellers verlangen. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er die Ein¬ räumung einer Sichcrungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und für die in der Vergütung nicht inbegriffnen Auslagen verlangen." Diese Bestimmung nützt ihm nichts, denn danach kann er die Eintragung einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/336>, abgerufen am 07.05.2024.