Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Politik und Selbstverwaltung

ja die Neue bayrische Lcmdeszeitung, das Organ des bayrischen Zentrums,
klagte letzthin sogar, daß das Reich dem Einheitsstaate zutreibe, und das
heilige römische Reich deutscher Nation nicht nur mächtiger gewesen sei als das
heutige Deutsche Reich, sondern auch die Rechte der Fürsten mehr geachtet
habe, als es heute geschehe, das alte Reich, dessen Kaiser 1180 den Welsen
Heinrich den Löwen und "och 1705 den Wittelsbacher Max Emanuel als
Neichsvcrräter und Rebellen achtete, und das jahrhundertelang ein Hohn auf
seinen Namen und ein Gespött der Welt gewesen ist! Den Einheitsstaat will
heute niemand, am wenigsten der Kaiser, und die Rechte der deutschen Fürsten
sind niemals besser gesichert gewesen als in der heutigen Reichsverfassung,
Aber die deutsche Einheit in ihrer gegenwärtigen Gestalt, deren Begründung
allein die Nation in zwölfter Stunde vor dem Untergange gerettet hat, muß
jeder wollen, vor allem der Partikulnrist, denn ohne sie wären gerade die
kleinern deutschen Staaten heute nichts als Ausgleichsobjektc im Kampfe der
Großmächte, wie sie es jahrhundertelang gewesen sind, und ohne sie wäre die
Nation als ein selbständiges Glied der Völkergemeinschaft im Kampfe der
Weltmächte heute verloren. Man stelle sich vor, wir lebten heute noch nnter
des durchlauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien, ohne Einheit
unsrer auswärtige" Politik und Vertretung, ohne ein Reichsheer und ohne
Flotte; die Folgen in der gegenwärtigen Weltlage wären nicht auszudenken!
So kann es auch heute nur heißen: "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,"
Der uationalsoziale Vertretertag, der sich in den ersten Oktobertagen in Leipzig
versammelte, hat sich das Verdienst erworben, diese Mahnung offen und mann¬
haft auszusprechen und die Kleiulichkeitskrämer unsrer Nörglerprcsse von sich
abzuschütteln.

Es ist traurig, daß sie so manchen Volkskreisen den Blick trübt und die
Stimmung verdirbt, aber der große Gang der Dinge wird dadurch nicht auf¬
gehalten, und die Stärkung des Reichsgedaukeus auf der einen, die Erziehung
unsers Volks für die Weltpolitik auf der andern Seite wird doch das Ergebnis
des chinesischen Feldzugs sein.




Politik und Selbstverwaltung

le Ausübung des staatlichen Anfsichtsrechts über die großstädtische
Selbstverwaltung macht in Preußen wieder einmal von sich reden.
Es fällt auf, daß die Staatsregierung bei der Bestätigung der
Beamtenwahlen etwas mehr als bisher das politische Verhalten
der Gewählten berücksichtigt, sich überhaupt wieder etwas mehr
um die Politik in der großstädtischen Selbstverwaltung kümmert. Man stellt


Politik und Selbstverwaltung

ja die Neue bayrische Lcmdeszeitung, das Organ des bayrischen Zentrums,
klagte letzthin sogar, daß das Reich dem Einheitsstaate zutreibe, und das
heilige römische Reich deutscher Nation nicht nur mächtiger gewesen sei als das
heutige Deutsche Reich, sondern auch die Rechte der Fürsten mehr geachtet
habe, als es heute geschehe, das alte Reich, dessen Kaiser 1180 den Welsen
Heinrich den Löwen und »och 1705 den Wittelsbacher Max Emanuel als
Neichsvcrräter und Rebellen achtete, und das jahrhundertelang ein Hohn auf
seinen Namen und ein Gespött der Welt gewesen ist! Den Einheitsstaat will
heute niemand, am wenigsten der Kaiser, und die Rechte der deutschen Fürsten
sind niemals besser gesichert gewesen als in der heutigen Reichsverfassung,
Aber die deutsche Einheit in ihrer gegenwärtigen Gestalt, deren Begründung
allein die Nation in zwölfter Stunde vor dem Untergange gerettet hat, muß
jeder wollen, vor allem der Partikulnrist, denn ohne sie wären gerade die
kleinern deutschen Staaten heute nichts als Ausgleichsobjektc im Kampfe der
Großmächte, wie sie es jahrhundertelang gewesen sind, und ohne sie wäre die
Nation als ein selbständiges Glied der Völkergemeinschaft im Kampfe der
Weltmächte heute verloren. Man stelle sich vor, wir lebten heute noch nnter
des durchlauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien, ohne Einheit
unsrer auswärtige» Politik und Vertretung, ohne ein Reichsheer und ohne
Flotte; die Folgen in der gegenwärtigen Weltlage wären nicht auszudenken!
So kann es auch heute nur heißen: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,"
Der uationalsoziale Vertretertag, der sich in den ersten Oktobertagen in Leipzig
versammelte, hat sich das Verdienst erworben, diese Mahnung offen und mann¬
haft auszusprechen und die Kleiulichkeitskrämer unsrer Nörglerprcsse von sich
abzuschütteln.

Es ist traurig, daß sie so manchen Volkskreisen den Blick trübt und die
Stimmung verdirbt, aber der große Gang der Dinge wird dadurch nicht auf¬
gehalten, und die Stärkung des Reichsgedaukeus auf der einen, die Erziehung
unsers Volks für die Weltpolitik auf der andern Seite wird doch das Ergebnis
des chinesischen Feldzugs sein.




Politik und Selbstverwaltung

le Ausübung des staatlichen Anfsichtsrechts über die großstädtische
Selbstverwaltung macht in Preußen wieder einmal von sich reden.
Es fällt auf, daß die Staatsregierung bei der Bestätigung der
Beamtenwahlen etwas mehr als bisher das politische Verhalten
der Gewählten berücksichtigt, sich überhaupt wieder etwas mehr
um die Politik in der großstädtischen Selbstverwaltung kümmert. Man stellt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291204"/>
          <fw type="header" place="top"> Politik und Selbstverwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_463" prev="#ID_462"> ja die Neue bayrische Lcmdeszeitung, das Organ des bayrischen Zentrums,<lb/>
klagte letzthin sogar, daß das Reich dem Einheitsstaate zutreibe, und das<lb/>
heilige römische Reich deutscher Nation nicht nur mächtiger gewesen sei als das<lb/>
heutige Deutsche Reich, sondern auch die Rechte der Fürsten mehr geachtet<lb/>
habe, als es heute geschehe, das alte Reich, dessen Kaiser 1180 den Welsen<lb/>
Heinrich den Löwen und »och 1705 den Wittelsbacher Max Emanuel als<lb/>
Neichsvcrräter und Rebellen achtete, und das jahrhundertelang ein Hohn auf<lb/>
seinen Namen und ein Gespött der Welt gewesen ist! Den Einheitsstaat will<lb/>
heute niemand, am wenigsten der Kaiser, und die Rechte der deutschen Fürsten<lb/>
sind niemals besser gesichert gewesen als in der heutigen Reichsverfassung,<lb/>
Aber die deutsche Einheit in ihrer gegenwärtigen Gestalt, deren Begründung<lb/>
allein die Nation in zwölfter Stunde vor dem Untergange gerettet hat, muß<lb/>
jeder wollen, vor allem der Partikulnrist, denn ohne sie wären gerade die<lb/>
kleinern deutschen Staaten heute nichts als Ausgleichsobjektc im Kampfe der<lb/>
Großmächte, wie sie es jahrhundertelang gewesen sind, und ohne sie wäre die<lb/>
Nation als ein selbständiges Glied der Völkergemeinschaft im Kampfe der<lb/>
Weltmächte heute verloren. Man stelle sich vor, wir lebten heute noch nnter<lb/>
des durchlauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien, ohne Einheit<lb/>
unsrer auswärtige» Politik und Vertretung, ohne ein Reichsheer und ohne<lb/>
Flotte; die Folgen in der gegenwärtigen Weltlage wären nicht auszudenken!<lb/>
So kann es auch heute nur heißen: &#x201E;Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,"<lb/>
Der uationalsoziale Vertretertag, der sich in den ersten Oktobertagen in Leipzig<lb/>
versammelte, hat sich das Verdienst erworben, diese Mahnung offen und mann¬<lb/>
haft auszusprechen und die Kleiulichkeitskrämer unsrer Nörglerprcsse von sich<lb/>
abzuschütteln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> Es ist traurig, daß sie so manchen Volkskreisen den Blick trübt und die<lb/>
Stimmung verdirbt, aber der große Gang der Dinge wird dadurch nicht auf¬<lb/>
gehalten, und die Stärkung des Reichsgedaukeus auf der einen, die Erziehung<lb/>
unsers Volks für die Weltpolitik auf der andern Seite wird doch das Ergebnis<lb/><note type="byline"/> des chinesischen Feldzugs sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Politik und Selbstverwaltung</head><lb/>
          <p xml:id="ID_465" next="#ID_466"> le Ausübung des staatlichen Anfsichtsrechts über die großstädtische<lb/>
Selbstverwaltung macht in Preußen wieder einmal von sich reden.<lb/>
Es fällt auf, daß die Staatsregierung bei der Bestätigung der<lb/>
Beamtenwahlen etwas mehr als bisher das politische Verhalten<lb/>
der Gewählten berücksichtigt, sich überhaupt wieder etwas mehr<lb/>
um die Politik in der großstädtischen Selbstverwaltung kümmert.  Man stellt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0127] Politik und Selbstverwaltung ja die Neue bayrische Lcmdeszeitung, das Organ des bayrischen Zentrums, klagte letzthin sogar, daß das Reich dem Einheitsstaate zutreibe, und das heilige römische Reich deutscher Nation nicht nur mächtiger gewesen sei als das heutige Deutsche Reich, sondern auch die Rechte der Fürsten mehr geachtet habe, als es heute geschehe, das alte Reich, dessen Kaiser 1180 den Welsen Heinrich den Löwen und »och 1705 den Wittelsbacher Max Emanuel als Neichsvcrräter und Rebellen achtete, und das jahrhundertelang ein Hohn auf seinen Namen und ein Gespött der Welt gewesen ist! Den Einheitsstaat will heute niemand, am wenigsten der Kaiser, und die Rechte der deutschen Fürsten sind niemals besser gesichert gewesen als in der heutigen Reichsverfassung, Aber die deutsche Einheit in ihrer gegenwärtigen Gestalt, deren Begründung allein die Nation in zwölfter Stunde vor dem Untergange gerettet hat, muß jeder wollen, vor allem der Partikulnrist, denn ohne sie wären gerade die kleinern deutschen Staaten heute nichts als Ausgleichsobjektc im Kampfe der Großmächte, wie sie es jahrhundertelang gewesen sind, und ohne sie wäre die Nation als ein selbständiges Glied der Völkergemeinschaft im Kampfe der Weltmächte heute verloren. Man stelle sich vor, wir lebten heute noch nnter des durchlauchtigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien, ohne Einheit unsrer auswärtige» Politik und Vertretung, ohne ein Reichsheer und ohne Flotte; die Folgen in der gegenwärtigen Weltlage wären nicht auszudenken! So kann es auch heute nur heißen: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist," Der uationalsoziale Vertretertag, der sich in den ersten Oktobertagen in Leipzig versammelte, hat sich das Verdienst erworben, diese Mahnung offen und mann¬ haft auszusprechen und die Kleiulichkeitskrämer unsrer Nörglerprcsse von sich abzuschütteln. Es ist traurig, daß sie so manchen Volkskreisen den Blick trübt und die Stimmung verdirbt, aber der große Gang der Dinge wird dadurch nicht auf¬ gehalten, und die Stärkung des Reichsgedaukeus auf der einen, die Erziehung unsers Volks für die Weltpolitik auf der andern Seite wird doch das Ergebnis des chinesischen Feldzugs sein. Politik und Selbstverwaltung le Ausübung des staatlichen Anfsichtsrechts über die großstädtische Selbstverwaltung macht in Preußen wieder einmal von sich reden. Es fällt auf, daß die Staatsregierung bei der Bestätigung der Beamtenwahlen etwas mehr als bisher das politische Verhalten der Gewählten berücksichtigt, sich überhaupt wieder etwas mehr um die Politik in der großstädtischen Selbstverwaltung kümmert. Man stellt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/127
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/127>, abgerufen am 23.05.2024.