Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gobineau über das klassische Altertum

einem kläglichen Mnrnsmns erlegen ist, muß man für einen neuen sorgen.
Man irrt schwer, wenn man dnrch die Pflege der extremen Auswüchse nach
rechts die extreme Entartung nach links wirksam bekämpfen zu können glaubt.
Die Regierung muß liberaler werden, wenn sie siegen will.

Und wir anch. Gewiß ist der zur radikalen Demokratie und zur Sozial¬
demokratie ausgeartete Liberalismus für uns etwas Widerliches, etwas Ab¬
stoßendes, mit dem kein Paktieren, keine Versöhnung möglich ist. Aber sollen
wir uns deshalb dem andern Extrem in die Arme werfen? Ist das der
höhern Bildung und ihrer Unbefangenheit, ihrer Gerechtigkeit, ihrer Wahr¬
haftigkeit, auf die wir so stolz sind, würdig? Sollen wir deshalb die liberalen
Anschnuuugen, die in Preußen und Deutschland gut konservative und monar¬
chistisch gesinnte Männer in den schweren Zeiten des alten Jahrhunderts zum
Segen des Vaterlands eigennutzlos -- vielleicht zuweilen in unklaren Idealis¬
mus und unpraktischer Prinzipienreiterei -- bethätigt haben, mit Spott und
Hohn und Verachtung bewerfen helfen, weil eine extreme antimonarchische
Clique oder haltloser Opportunismus das Wort "liberal" in der Firma führt?
Sollen wir deshalb uns blind stellen gegen die leider immer weiter fort¬
schreitende Entartung des modernen Konservatismus zu nackter Interessen- und
Klassenpolitik? Sollen wir deshalb das grundsatzlose Strebertum unter¬
stützen, das sich mehr und mehr in der Beamtenschaft hoch zu bringen sucht?
Sollen wir uns erfreut stellen, daß im protestantischen Preußen die Orthodoxie
zu einer intoleranten Alleinherrschaft gediehen ist, wie sie zu Raumers und
Musters Zeiten niemand träumte, weil sich die Demokratie offen zur Religions¬
verachtung und dem rohesten Materialismus bekennt? Sollen wir deshalb
orthodox thun, obgleich wir religiös liberal denken? Niemals kann das der
rechte Weg sein, den der überzeugte Monarchist gehn muß. Niemals soll der
rechte Konservative, der auf der Höhe der Bildung steht, Extrem mit Extrem
bekämpfen wollen. Lieber den Kampf gegen zwei Fronten aufnehmen, mag
der Dank dafür auch noch jahrelang ans sich warten lassen.




Gobineau über das klassische Altertum

le Rassenantisemiten, die österreichischen Radikaldeutschen wie die
Altdeutschen im neuen Reiche und die Sozialaristokraten ent¬
nehmen, bewußt oder unbewußt, ihre Beweisgründe dem Grafen
Gobineau. Dessen Theorie hat also beinahe fünfzig Jahre nach
ihrer ersten Veröffentlichung politische Bedeutung erlangt, indem
sie vier Parteien oder Gruppen mit theoretischem Rüstzeuge versieht, die zwar
nicht mächtig genug sind, den Gang der Politik zu bestimmen, die aber viel


Gobineau über das klassische Altertum

einem kläglichen Mnrnsmns erlegen ist, muß man für einen neuen sorgen.
Man irrt schwer, wenn man dnrch die Pflege der extremen Auswüchse nach
rechts die extreme Entartung nach links wirksam bekämpfen zu können glaubt.
Die Regierung muß liberaler werden, wenn sie siegen will.

Und wir anch. Gewiß ist der zur radikalen Demokratie und zur Sozial¬
demokratie ausgeartete Liberalismus für uns etwas Widerliches, etwas Ab¬
stoßendes, mit dem kein Paktieren, keine Versöhnung möglich ist. Aber sollen
wir uns deshalb dem andern Extrem in die Arme werfen? Ist das der
höhern Bildung und ihrer Unbefangenheit, ihrer Gerechtigkeit, ihrer Wahr¬
haftigkeit, auf die wir so stolz sind, würdig? Sollen wir deshalb die liberalen
Anschnuuugen, die in Preußen und Deutschland gut konservative und monar¬
chistisch gesinnte Männer in den schweren Zeiten des alten Jahrhunderts zum
Segen des Vaterlands eigennutzlos — vielleicht zuweilen in unklaren Idealis¬
mus und unpraktischer Prinzipienreiterei — bethätigt haben, mit Spott und
Hohn und Verachtung bewerfen helfen, weil eine extreme antimonarchische
Clique oder haltloser Opportunismus das Wort „liberal" in der Firma führt?
Sollen wir deshalb uns blind stellen gegen die leider immer weiter fort¬
schreitende Entartung des modernen Konservatismus zu nackter Interessen- und
Klassenpolitik? Sollen wir deshalb das grundsatzlose Strebertum unter¬
stützen, das sich mehr und mehr in der Beamtenschaft hoch zu bringen sucht?
Sollen wir uns erfreut stellen, daß im protestantischen Preußen die Orthodoxie
zu einer intoleranten Alleinherrschaft gediehen ist, wie sie zu Raumers und
Musters Zeiten niemand träumte, weil sich die Demokratie offen zur Religions¬
verachtung und dem rohesten Materialismus bekennt? Sollen wir deshalb
orthodox thun, obgleich wir religiös liberal denken? Niemals kann das der
rechte Weg sein, den der überzeugte Monarchist gehn muß. Niemals soll der
rechte Konservative, der auf der Höhe der Bildung steht, Extrem mit Extrem
bekämpfen wollen. Lieber den Kampf gegen zwei Fronten aufnehmen, mag
der Dank dafür auch noch jahrelang ans sich warten lassen.




Gobineau über das klassische Altertum

le Rassenantisemiten, die österreichischen Radikaldeutschen wie die
Altdeutschen im neuen Reiche und die Sozialaristokraten ent¬
nehmen, bewußt oder unbewußt, ihre Beweisgründe dem Grafen
Gobineau. Dessen Theorie hat also beinahe fünfzig Jahre nach
ihrer ersten Veröffentlichung politische Bedeutung erlangt, indem
sie vier Parteien oder Gruppen mit theoretischem Rüstzeuge versieht, die zwar
nicht mächtig genug sind, den Gang der Politik zu bestimmen, die aber viel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291213"/>
          <fw type="header" place="top"> Gobineau über das klassische Altertum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_485" prev="#ID_484"> einem kläglichen Mnrnsmns erlegen ist, muß man für einen neuen sorgen.<lb/>
Man irrt schwer, wenn man dnrch die Pflege der extremen Auswüchse nach<lb/>
rechts die extreme Entartung nach links wirksam bekämpfen zu können glaubt.<lb/>
Die Regierung muß liberaler werden, wenn sie siegen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_486"> Und wir anch. Gewiß ist der zur radikalen Demokratie und zur Sozial¬<lb/>
demokratie ausgeartete Liberalismus für uns etwas Widerliches, etwas Ab¬<lb/>
stoßendes, mit dem kein Paktieren, keine Versöhnung möglich ist. Aber sollen<lb/>
wir uns deshalb dem andern Extrem in die Arme werfen? Ist das der<lb/>
höhern Bildung und ihrer Unbefangenheit, ihrer Gerechtigkeit, ihrer Wahr¬<lb/>
haftigkeit, auf die wir so stolz sind, würdig? Sollen wir deshalb die liberalen<lb/>
Anschnuuugen, die in Preußen und Deutschland gut konservative und monar¬<lb/>
chistisch gesinnte Männer in den schweren Zeiten des alten Jahrhunderts zum<lb/>
Segen des Vaterlands eigennutzlos &#x2014; vielleicht zuweilen in unklaren Idealis¬<lb/>
mus und unpraktischer Prinzipienreiterei &#x2014; bethätigt haben, mit Spott und<lb/>
Hohn und Verachtung bewerfen helfen, weil eine extreme antimonarchische<lb/>
Clique oder haltloser Opportunismus das Wort &#x201E;liberal" in der Firma führt?<lb/>
Sollen wir deshalb uns blind stellen gegen die leider immer weiter fort¬<lb/>
schreitende Entartung des modernen Konservatismus zu nackter Interessen- und<lb/>
Klassenpolitik? Sollen wir deshalb das grundsatzlose Strebertum unter¬<lb/>
stützen, das sich mehr und mehr in der Beamtenschaft hoch zu bringen sucht?<lb/>
Sollen wir uns erfreut stellen, daß im protestantischen Preußen die Orthodoxie<lb/>
zu einer intoleranten Alleinherrschaft gediehen ist, wie sie zu Raumers und<lb/>
Musters Zeiten niemand träumte, weil sich die Demokratie offen zur Religions¬<lb/>
verachtung und dem rohesten Materialismus bekennt? Sollen wir deshalb<lb/>
orthodox thun, obgleich wir religiös liberal denken? Niemals kann das der<lb/>
rechte Weg sein, den der überzeugte Monarchist gehn muß. Niemals soll der<lb/>
rechte Konservative, der auf der Höhe der Bildung steht, Extrem mit Extrem<lb/>
bekämpfen wollen. Lieber den Kampf gegen zwei Fronten aufnehmen, mag<lb/><note type="byline"/> der Dank dafür auch noch jahrelang ans sich warten lassen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gobineau über das klassische Altertum</head><lb/>
          <p xml:id="ID_487" next="#ID_488"> le Rassenantisemiten, die österreichischen Radikaldeutschen wie die<lb/>
Altdeutschen im neuen Reiche und die Sozialaristokraten ent¬<lb/>
nehmen, bewußt oder unbewußt, ihre Beweisgründe dem Grafen<lb/>
Gobineau. Dessen Theorie hat also beinahe fünfzig Jahre nach<lb/>
ihrer ersten Veröffentlichung politische Bedeutung erlangt, indem<lb/>
sie vier Parteien oder Gruppen mit theoretischem Rüstzeuge versieht, die zwar<lb/>
nicht mächtig genug sind, den Gang der Politik zu bestimmen, die aber viel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Gobineau über das klassische Altertum einem kläglichen Mnrnsmns erlegen ist, muß man für einen neuen sorgen. Man irrt schwer, wenn man dnrch die Pflege der extremen Auswüchse nach rechts die extreme Entartung nach links wirksam bekämpfen zu können glaubt. Die Regierung muß liberaler werden, wenn sie siegen will. Und wir anch. Gewiß ist der zur radikalen Demokratie und zur Sozial¬ demokratie ausgeartete Liberalismus für uns etwas Widerliches, etwas Ab¬ stoßendes, mit dem kein Paktieren, keine Versöhnung möglich ist. Aber sollen wir uns deshalb dem andern Extrem in die Arme werfen? Ist das der höhern Bildung und ihrer Unbefangenheit, ihrer Gerechtigkeit, ihrer Wahr¬ haftigkeit, auf die wir so stolz sind, würdig? Sollen wir deshalb die liberalen Anschnuuugen, die in Preußen und Deutschland gut konservative und monar¬ chistisch gesinnte Männer in den schweren Zeiten des alten Jahrhunderts zum Segen des Vaterlands eigennutzlos — vielleicht zuweilen in unklaren Idealis¬ mus und unpraktischer Prinzipienreiterei — bethätigt haben, mit Spott und Hohn und Verachtung bewerfen helfen, weil eine extreme antimonarchische Clique oder haltloser Opportunismus das Wort „liberal" in der Firma führt? Sollen wir deshalb uns blind stellen gegen die leider immer weiter fort¬ schreitende Entartung des modernen Konservatismus zu nackter Interessen- und Klassenpolitik? Sollen wir deshalb das grundsatzlose Strebertum unter¬ stützen, das sich mehr und mehr in der Beamtenschaft hoch zu bringen sucht? Sollen wir uns erfreut stellen, daß im protestantischen Preußen die Orthodoxie zu einer intoleranten Alleinherrschaft gediehen ist, wie sie zu Raumers und Musters Zeiten niemand träumte, weil sich die Demokratie offen zur Religions¬ verachtung und dem rohesten Materialismus bekennt? Sollen wir deshalb orthodox thun, obgleich wir religiös liberal denken? Niemals kann das der rechte Weg sein, den der überzeugte Monarchist gehn muß. Niemals soll der rechte Konservative, der auf der Höhe der Bildung steht, Extrem mit Extrem bekämpfen wollen. Lieber den Kampf gegen zwei Fronten aufnehmen, mag der Dank dafür auch noch jahrelang ans sich warten lassen. Gobineau über das klassische Altertum le Rassenantisemiten, die österreichischen Radikaldeutschen wie die Altdeutschen im neuen Reiche und die Sozialaristokraten ent¬ nehmen, bewußt oder unbewußt, ihre Beweisgründe dem Grafen Gobineau. Dessen Theorie hat also beinahe fünfzig Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung politische Bedeutung erlangt, indem sie vier Parteien oder Gruppen mit theoretischem Rüstzeuge versieht, die zwar nicht mächtig genug sind, den Gang der Politik zu bestimmen, die aber viel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/136>, abgerufen am 24.05.2024.