Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kornjahre eines Theologen

Buchs Mosis ist mit der neuern Naturwissenschaft nicht zu vereinige". So¬
bald der Bildnngsphilister diese Binsenwahrheiten, die die Kirche und die Schule
ihm aus Angst verschwiegen haben, erfährt, pflegt er gewöhnlich zu folgern: Man
hat uns betrogen und getäuscht; "die Wissenschaft" hat das Christentum wider¬
legt. Mag die Religion für das Volk gut genug sein -- "wir Gebildeten"
können nicht mehr daran glauben.


2

Ein Beispiel möge es zeigen, wie weit es schon unser Volk in dein un¬
ehrlichen Verschweigen gebracht hat. Meine Religionslehrer hielten es selbst
in den obern Klassen des Gymnasiums nicht für nötig, uns mitzuteilen, daß
es ernsthafte Einwände gegen die Echtheit des Johannesevangeliums, eiues
Teils 'der paulinischen Briefe, der sogenannten katholischen Briefe und der
Offenbarung Johannis giebt, daß die meisten neuern Gelehrten die Patriarchen-
erzählnngen für Stammessagen, die Erzählungen über die wunderbare Geburt
Jesu für Mythen halten. Ebensowenig hielten sie es für gut, uus Primaner"
die modernen, das Christentum befehdenden Weltanschauungen darzulegen. Die
Folge war natürlich, daß, soweit nicht schon auf der Schule viele den ganze"
Religionsunterricht für Unsinn hielten, sie nachher auf der Universität rettungs¬
los den auf sie einstürmenden modernen Weltanschauungen in die Hände ge¬
fallen sind. Die Schule hatte eben ihre Pflicht versäumt und uus die Waffen
für den großen Geisterkampf in die Hände zu drücken vergessen. Den meisten
kam jedenfalls der Religionsunterricht, in dem meist überflüssiges und ziemlich
gleichgültiges Zeug getrieben wurde, sehr langweilig vor. Vo" einem Mit¬
schüler hörte ich schon damals die Meinung: Der Religionsunterricht sollte
mit der Obertertia aufhören; da wisse man schon genng. So sehr ich damals
diese Ansicht zu bestreiten suchte -- heute muß ich meinem Kameraden Recht
geben: Besser als ein solcher Religionsunterricht, wie wir ihn erhalten haben,
wäre vielleicht gar keiner gewesen. Es mag sein, daß auf unserm Gymnasium
das unehrliche Verschweigen und Verheimlichen zur denkbar höchsten Höhe
ausgebildet war. Später haben mir andre Kommilitonen erzählt, daß ihnen
schon auf der Schule alles das bekannt und geläufig war, was mir auf der
Universität wie eine neue, unerhörte Offenbarung entgegentrat. Doch giebt
es immer noch eine große Anzahl höherer Schulen, die im Religionsunterricht
die höchste Tugend erreicht zu haben glaube", wenn sie sich in geistiger Hin¬
sicht auf den Standpunkt von Klemkiuderbewahranstalten stelle": Nur ja keinen
Anstoß geben, nur ja die jungen Leute vor jedem gefährlichen Luftzug modernen
Denkens bewahre" und sie in der stickigen Atmosphäre vergangner Jahrhunderte
zurückhalten. Angst vor den etwaigen radikalen Folgerungen, die manche
Schüler aus der Kritik ehrwürdiger, alter Traditionen zu ziehn geneigt sind,
Angst vor den Vorurteilen mancher Eltern mag oft der Grund für das Auf¬
rechterhalten überlebter Anschauungen sein. Es Pflegt hinzuzukommen die
mangelnde theologisch-wissenschaftliche Bildung der meisten Religionslehrer,


Kornjahre eines Theologen

Buchs Mosis ist mit der neuern Naturwissenschaft nicht zu vereinige». So¬
bald der Bildnngsphilister diese Binsenwahrheiten, die die Kirche und die Schule
ihm aus Angst verschwiegen haben, erfährt, pflegt er gewöhnlich zu folgern: Man
hat uns betrogen und getäuscht; „die Wissenschaft" hat das Christentum wider¬
legt. Mag die Religion für das Volk gut genug sein — „wir Gebildeten"
können nicht mehr daran glauben.


2

Ein Beispiel möge es zeigen, wie weit es schon unser Volk in dein un¬
ehrlichen Verschweigen gebracht hat. Meine Religionslehrer hielten es selbst
in den obern Klassen des Gymnasiums nicht für nötig, uns mitzuteilen, daß
es ernsthafte Einwände gegen die Echtheit des Johannesevangeliums, eiues
Teils 'der paulinischen Briefe, der sogenannten katholischen Briefe und der
Offenbarung Johannis giebt, daß die meisten neuern Gelehrten die Patriarchen-
erzählnngen für Stammessagen, die Erzählungen über die wunderbare Geburt
Jesu für Mythen halten. Ebensowenig hielten sie es für gut, uus Primaner»
die modernen, das Christentum befehdenden Weltanschauungen darzulegen. Die
Folge war natürlich, daß, soweit nicht schon auf der Schule viele den ganze»
Religionsunterricht für Unsinn hielten, sie nachher auf der Universität rettungs¬
los den auf sie einstürmenden modernen Weltanschauungen in die Hände ge¬
fallen sind. Die Schule hatte eben ihre Pflicht versäumt und uus die Waffen
für den großen Geisterkampf in die Hände zu drücken vergessen. Den meisten
kam jedenfalls der Religionsunterricht, in dem meist überflüssiges und ziemlich
gleichgültiges Zeug getrieben wurde, sehr langweilig vor. Vo» einem Mit¬
schüler hörte ich schon damals die Meinung: Der Religionsunterricht sollte
mit der Obertertia aufhören; da wisse man schon genng. So sehr ich damals
diese Ansicht zu bestreiten suchte — heute muß ich meinem Kameraden Recht
geben: Besser als ein solcher Religionsunterricht, wie wir ihn erhalten haben,
wäre vielleicht gar keiner gewesen. Es mag sein, daß auf unserm Gymnasium
das unehrliche Verschweigen und Verheimlichen zur denkbar höchsten Höhe
ausgebildet war. Später haben mir andre Kommilitonen erzählt, daß ihnen
schon auf der Schule alles das bekannt und geläufig war, was mir auf der
Universität wie eine neue, unerhörte Offenbarung entgegentrat. Doch giebt
es immer noch eine große Anzahl höherer Schulen, die im Religionsunterricht
die höchste Tugend erreicht zu haben glaube», wenn sie sich in geistiger Hin¬
sicht auf den Standpunkt von Klemkiuderbewahranstalten stelle»: Nur ja keinen
Anstoß geben, nur ja die jungen Leute vor jedem gefährlichen Luftzug modernen
Denkens bewahre» und sie in der stickigen Atmosphäre vergangner Jahrhunderte
zurückhalten. Angst vor den etwaigen radikalen Folgerungen, die manche
Schüler aus der Kritik ehrwürdiger, alter Traditionen zu ziehn geneigt sind,
Angst vor den Vorurteilen mancher Eltern mag oft der Grund für das Auf¬
rechterhalten überlebter Anschauungen sein. Es Pflegt hinzuzukommen die
mangelnde theologisch-wissenschaftliche Bildung der meisten Religionslehrer,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291267"/>
            <fw type="header" place="top"> Kornjahre eines Theologen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_692" prev="#ID_691"> Buchs Mosis ist mit der neuern Naturwissenschaft nicht zu vereinige». So¬<lb/>
bald der Bildnngsphilister diese Binsenwahrheiten, die die Kirche und die Schule<lb/>
ihm aus Angst verschwiegen haben, erfährt, pflegt er gewöhnlich zu folgern: Man<lb/>
hat uns betrogen und getäuscht; &#x201E;die Wissenschaft" hat das Christentum wider¬<lb/>
legt. Mag die Religion für das Volk gut genug sein &#x2014; &#x201E;wir Gebildeten"<lb/>
können nicht mehr daran glauben.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2</head><lb/>
            <p xml:id="ID_693" next="#ID_694"> Ein Beispiel möge es zeigen, wie weit es schon unser Volk in dein un¬<lb/>
ehrlichen Verschweigen gebracht hat. Meine Religionslehrer hielten es selbst<lb/>
in den obern Klassen des Gymnasiums nicht für nötig, uns mitzuteilen, daß<lb/>
es ernsthafte Einwände gegen die Echtheit des Johannesevangeliums, eiues<lb/>
Teils 'der paulinischen Briefe, der sogenannten katholischen Briefe und der<lb/>
Offenbarung Johannis giebt, daß die meisten neuern Gelehrten die Patriarchen-<lb/>
erzählnngen für Stammessagen, die Erzählungen über die wunderbare Geburt<lb/>
Jesu für Mythen halten. Ebensowenig hielten sie es für gut, uus Primaner»<lb/>
die modernen, das Christentum befehdenden Weltanschauungen darzulegen. Die<lb/>
Folge war natürlich, daß, soweit nicht schon auf der Schule viele den ganze»<lb/>
Religionsunterricht für Unsinn hielten, sie nachher auf der Universität rettungs¬<lb/>
los den auf sie einstürmenden modernen Weltanschauungen in die Hände ge¬<lb/>
fallen sind. Die Schule hatte eben ihre Pflicht versäumt und uus die Waffen<lb/>
für den großen Geisterkampf in die Hände zu drücken vergessen. Den meisten<lb/>
kam jedenfalls der Religionsunterricht, in dem meist überflüssiges und ziemlich<lb/>
gleichgültiges Zeug getrieben wurde, sehr langweilig vor. Vo» einem Mit¬<lb/>
schüler hörte ich schon damals die Meinung: Der Religionsunterricht sollte<lb/>
mit der Obertertia aufhören; da wisse man schon genng. So sehr ich damals<lb/>
diese Ansicht zu bestreiten suchte &#x2014; heute muß ich meinem Kameraden Recht<lb/>
geben: Besser als ein solcher Religionsunterricht, wie wir ihn erhalten haben,<lb/>
wäre vielleicht gar keiner gewesen. Es mag sein, daß auf unserm Gymnasium<lb/>
das unehrliche Verschweigen und Verheimlichen zur denkbar höchsten Höhe<lb/>
ausgebildet war. Später haben mir andre Kommilitonen erzählt, daß ihnen<lb/>
schon auf der Schule alles das bekannt und geläufig war, was mir auf der<lb/>
Universität wie eine neue, unerhörte Offenbarung entgegentrat. Doch giebt<lb/>
es immer noch eine große Anzahl höherer Schulen, die im Religionsunterricht<lb/>
die höchste Tugend erreicht zu haben glaube», wenn sie sich in geistiger Hin¬<lb/>
sicht auf den Standpunkt von Klemkiuderbewahranstalten stelle»: Nur ja keinen<lb/>
Anstoß geben, nur ja die jungen Leute vor jedem gefährlichen Luftzug modernen<lb/>
Denkens bewahre» und sie in der stickigen Atmosphäre vergangner Jahrhunderte<lb/>
zurückhalten. Angst vor den etwaigen radikalen Folgerungen, die manche<lb/>
Schüler aus der Kritik ehrwürdiger, alter Traditionen zu ziehn geneigt sind,<lb/>
Angst vor den Vorurteilen mancher Eltern mag oft der Grund für das Auf¬<lb/>
rechterhalten überlebter Anschauungen sein. Es Pflegt hinzuzukommen die<lb/>
mangelnde theologisch-wissenschaftliche Bildung der meisten Religionslehrer,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Kornjahre eines Theologen Buchs Mosis ist mit der neuern Naturwissenschaft nicht zu vereinige». So¬ bald der Bildnngsphilister diese Binsenwahrheiten, die die Kirche und die Schule ihm aus Angst verschwiegen haben, erfährt, pflegt er gewöhnlich zu folgern: Man hat uns betrogen und getäuscht; „die Wissenschaft" hat das Christentum wider¬ legt. Mag die Religion für das Volk gut genug sein — „wir Gebildeten" können nicht mehr daran glauben. 2 Ein Beispiel möge es zeigen, wie weit es schon unser Volk in dein un¬ ehrlichen Verschweigen gebracht hat. Meine Religionslehrer hielten es selbst in den obern Klassen des Gymnasiums nicht für nötig, uns mitzuteilen, daß es ernsthafte Einwände gegen die Echtheit des Johannesevangeliums, eiues Teils 'der paulinischen Briefe, der sogenannten katholischen Briefe und der Offenbarung Johannis giebt, daß die meisten neuern Gelehrten die Patriarchen- erzählnngen für Stammessagen, die Erzählungen über die wunderbare Geburt Jesu für Mythen halten. Ebensowenig hielten sie es für gut, uus Primaner» die modernen, das Christentum befehdenden Weltanschauungen darzulegen. Die Folge war natürlich, daß, soweit nicht schon auf der Schule viele den ganze» Religionsunterricht für Unsinn hielten, sie nachher auf der Universität rettungs¬ los den auf sie einstürmenden modernen Weltanschauungen in die Hände ge¬ fallen sind. Die Schule hatte eben ihre Pflicht versäumt und uus die Waffen für den großen Geisterkampf in die Hände zu drücken vergessen. Den meisten kam jedenfalls der Religionsunterricht, in dem meist überflüssiges und ziemlich gleichgültiges Zeug getrieben wurde, sehr langweilig vor. Vo» einem Mit¬ schüler hörte ich schon damals die Meinung: Der Religionsunterricht sollte mit der Obertertia aufhören; da wisse man schon genng. So sehr ich damals diese Ansicht zu bestreiten suchte — heute muß ich meinem Kameraden Recht geben: Besser als ein solcher Religionsunterricht, wie wir ihn erhalten haben, wäre vielleicht gar keiner gewesen. Es mag sein, daß auf unserm Gymnasium das unehrliche Verschweigen und Verheimlichen zur denkbar höchsten Höhe ausgebildet war. Später haben mir andre Kommilitonen erzählt, daß ihnen schon auf der Schule alles das bekannt und geläufig war, was mir auf der Universität wie eine neue, unerhörte Offenbarung entgegentrat. Doch giebt es immer noch eine große Anzahl höherer Schulen, die im Religionsunterricht die höchste Tugend erreicht zu haben glaube», wenn sie sich in geistiger Hin¬ sicht auf den Standpunkt von Klemkiuderbewahranstalten stelle»: Nur ja keinen Anstoß geben, nur ja die jungen Leute vor jedem gefährlichen Luftzug modernen Denkens bewahre» und sie in der stickigen Atmosphäre vergangner Jahrhunderte zurückhalten. Angst vor den etwaigen radikalen Folgerungen, die manche Schüler aus der Kritik ehrwürdiger, alter Traditionen zu ziehn geneigt sind, Angst vor den Vorurteilen mancher Eltern mag oft der Grund für das Auf¬ rechterhalten überlebter Anschauungen sein. Es Pflegt hinzuzukommen die mangelnde theologisch-wissenschaftliche Bildung der meisten Religionslehrer,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/190>, abgerufen am 24.05.2024.