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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Schnlstreit

weit überschätzen, wenn sie zum Anlnß eines großen Eutrüstungssturms ge¬
macht wird. Will man in dem Vorgehn der Regierung in Posen ein An¬
zeichen von Kampfesstimmung sehen, so kann doch nur von einer gewissen Ent¬
schlossenheit die Rede sein, nach einer Zeit unfreiwilliger Waffenruhe den Ver-
teidigungsknmpf gegen die polnischen Augriffe mit neuer Kraft aufzunehmen.
Denn auf deutscher Seite handelt es sich in der That um einen Verteidignngs-
kampf. Die Angreifenden sind die Polen, und alle Maßregeln, die die Stants-
regierung seit dreißig Jahren auf dem Gebiete der Schule gegen das polnische
Wesen ergriffen hat, sind nur durch das feindselige Verhalten der polnischen
Agitation veranlaßt und notwendig geworden. Das soll in einem Rückblicke
ans die preußische Schulpolitik in der Provinz Posen während der letzten drei
Jahrzehnte näher dargestellt werden.


2

In den ersten Jahren nach der erneuten Besitzergreifung hatte die preu¬
ßische Verwaltung in der Provinz Posen wie auf andern Gebieten so auch
auf dem des Schulwesens erst Ordnung zu schaffen, bevor an die Weiterent¬
wicklung gegangen werden konnte. Das Volksschulwesen lag sehr im argen;
in den kleinern Orten und auf dem Platten Lande waren nnr dürftige Anfänge
vorhanden, und in vielen der allerdings sehr zahlreichen aber sehr kleinen
Städte gab es noch gar keine Schicken. Unter dein thatkräftigen Regimente
des Oberpräsidenten von Flottwell ging die Ordnung sicher und planmäßig
vor sich. Die vorhandnen Schulen wurden wieder in regelmäßigen Betrieb
gesetzt, und neue auf dem Fuße der Parität eingerichtet. Deutsche und pol¬
nische, evangelische und katholische Kinder besuchten dieselbe Schule und lernten
bei denselben Lehrern deutsch und polnisch lesen und schreiben, rechnen und
singen, und was aus dein Gebiete der Weltkunde im Lehrplane Raum fand,
sowie ein jedes bei einem Lehrer seines Bekenntnisses Religion, die einen in
deutscher, die andern in polnischer Sprache. Die Schulaufsicht wurde von den
Geistlichen beider Konfessionen einträchtig geführt, und die jährlichen Prüfungen
von beiden gemeinsam abgehalten. Die Polen lernten deutsch, und die Deutschen
polnisch, und von keiner Seite fand mau darin eine unbillige Forderung, jeder
hielt dies für selbstverständlich und zweckmäßig.

Aber diese Zustände änderten sich. Zunächst begann man das Zusammen¬
wirken von evangelischen und katholischen Geistlichen in der Schulaufsicht als
eine Last zu empfinden und verlangte eine konfessionelle Scheidung des Volks¬
schulwesens. Diese Entwicklung begann etwa mit den dreißiger Jahren,
vielleicht angeregt durch die Bewegung, die im Jahre 1830 in dem polnischen
Aufstande in Nußland zum gewaltsamen Ausbruche gekommen war. Die Re¬
gierung gab nach; auch auf evangelischer und deutscher Seite mochte nach
dieser Bekundung der nativnalpolnischen Bestrebungen das Nebeneinander der
dentschen und der polnischen Kinder in der Schule nicht mehr gewünscht
werden. Die mehrklassigen paritätischen Schulen wurden in konfessionelle ge-


Der Posener Schnlstreit

weit überschätzen, wenn sie zum Anlnß eines großen Eutrüstungssturms ge¬
macht wird. Will man in dem Vorgehn der Regierung in Posen ein An¬
zeichen von Kampfesstimmung sehen, so kann doch nur von einer gewissen Ent¬
schlossenheit die Rede sein, nach einer Zeit unfreiwilliger Waffenruhe den Ver-
teidigungsknmpf gegen die polnischen Augriffe mit neuer Kraft aufzunehmen.
Denn auf deutscher Seite handelt es sich in der That um einen Verteidignngs-
kampf. Die Angreifenden sind die Polen, und alle Maßregeln, die die Stants-
regierung seit dreißig Jahren auf dem Gebiete der Schule gegen das polnische
Wesen ergriffen hat, sind nur durch das feindselige Verhalten der polnischen
Agitation veranlaßt und notwendig geworden. Das soll in einem Rückblicke
ans die preußische Schulpolitik in der Provinz Posen während der letzten drei
Jahrzehnte näher dargestellt werden.


2

In den ersten Jahren nach der erneuten Besitzergreifung hatte die preu¬
ßische Verwaltung in der Provinz Posen wie auf andern Gebieten so auch
auf dem des Schulwesens erst Ordnung zu schaffen, bevor an die Weiterent¬
wicklung gegangen werden konnte. Das Volksschulwesen lag sehr im argen;
in den kleinern Orten und auf dem Platten Lande waren nnr dürftige Anfänge
vorhanden, und in vielen der allerdings sehr zahlreichen aber sehr kleinen
Städte gab es noch gar keine Schicken. Unter dein thatkräftigen Regimente
des Oberpräsidenten von Flottwell ging die Ordnung sicher und planmäßig
vor sich. Die vorhandnen Schulen wurden wieder in regelmäßigen Betrieb
gesetzt, und neue auf dem Fuße der Parität eingerichtet. Deutsche und pol¬
nische, evangelische und katholische Kinder besuchten dieselbe Schule und lernten
bei denselben Lehrern deutsch und polnisch lesen und schreiben, rechnen und
singen, und was aus dein Gebiete der Weltkunde im Lehrplane Raum fand,
sowie ein jedes bei einem Lehrer seines Bekenntnisses Religion, die einen in
deutscher, die andern in polnischer Sprache. Die Schulaufsicht wurde von den
Geistlichen beider Konfessionen einträchtig geführt, und die jährlichen Prüfungen
von beiden gemeinsam abgehalten. Die Polen lernten deutsch, und die Deutschen
polnisch, und von keiner Seite fand mau darin eine unbillige Forderung, jeder
hielt dies für selbstverständlich und zweckmäßig.

Aber diese Zustände änderten sich. Zunächst begann man das Zusammen¬
wirken von evangelischen und katholischen Geistlichen in der Schulaufsicht als
eine Last zu empfinden und verlangte eine konfessionelle Scheidung des Volks¬
schulwesens. Diese Entwicklung begann etwa mit den dreißiger Jahren,
vielleicht angeregt durch die Bewegung, die im Jahre 1830 in dem polnischen
Aufstande in Nußland zum gewaltsamen Ausbruche gekommen war. Die Re¬
gierung gab nach; auch auf evangelischer und deutscher Seite mochte nach
dieser Bekundung der nativnalpolnischen Bestrebungen das Nebeneinander der
dentschen und der polnischen Kinder in der Schule nicht mehr gewünscht
werden. Die mehrklassigen paritätischen Schulen wurden in konfessionelle ge-


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[0024] Der Posener Schnlstreit weit überschätzen, wenn sie zum Anlnß eines großen Eutrüstungssturms ge¬ macht wird. Will man in dem Vorgehn der Regierung in Posen ein An¬ zeichen von Kampfesstimmung sehen, so kann doch nur von einer gewissen Ent¬ schlossenheit die Rede sein, nach einer Zeit unfreiwilliger Waffenruhe den Ver- teidigungsknmpf gegen die polnischen Augriffe mit neuer Kraft aufzunehmen. Denn auf deutscher Seite handelt es sich in der That um einen Verteidignngs- kampf. Die Angreifenden sind die Polen, und alle Maßregeln, die die Stants- regierung seit dreißig Jahren auf dem Gebiete der Schule gegen das polnische Wesen ergriffen hat, sind nur durch das feindselige Verhalten der polnischen Agitation veranlaßt und notwendig geworden. Das soll in einem Rückblicke ans die preußische Schulpolitik in der Provinz Posen während der letzten drei Jahrzehnte näher dargestellt werden. 2 In den ersten Jahren nach der erneuten Besitzergreifung hatte die preu¬ ßische Verwaltung in der Provinz Posen wie auf andern Gebieten so auch auf dem des Schulwesens erst Ordnung zu schaffen, bevor an die Weiterent¬ wicklung gegangen werden konnte. Das Volksschulwesen lag sehr im argen; in den kleinern Orten und auf dem Platten Lande waren nnr dürftige Anfänge vorhanden, und in vielen der allerdings sehr zahlreichen aber sehr kleinen Städte gab es noch gar keine Schicken. Unter dein thatkräftigen Regimente des Oberpräsidenten von Flottwell ging die Ordnung sicher und planmäßig vor sich. Die vorhandnen Schulen wurden wieder in regelmäßigen Betrieb gesetzt, und neue auf dem Fuße der Parität eingerichtet. Deutsche und pol¬ nische, evangelische und katholische Kinder besuchten dieselbe Schule und lernten bei denselben Lehrern deutsch und polnisch lesen und schreiben, rechnen und singen, und was aus dein Gebiete der Weltkunde im Lehrplane Raum fand, sowie ein jedes bei einem Lehrer seines Bekenntnisses Religion, die einen in deutscher, die andern in polnischer Sprache. Die Schulaufsicht wurde von den Geistlichen beider Konfessionen einträchtig geführt, und die jährlichen Prüfungen von beiden gemeinsam abgehalten. Die Polen lernten deutsch, und die Deutschen polnisch, und von keiner Seite fand mau darin eine unbillige Forderung, jeder hielt dies für selbstverständlich und zweckmäßig. Aber diese Zustände änderten sich. Zunächst begann man das Zusammen¬ wirken von evangelischen und katholischen Geistlichen in der Schulaufsicht als eine Last zu empfinden und verlangte eine konfessionelle Scheidung des Volks¬ schulwesens. Diese Entwicklung begann etwa mit den dreißiger Jahren, vielleicht angeregt durch die Bewegung, die im Jahre 1830 in dem polnischen Aufstande in Nußland zum gewaltsamen Ausbruche gekommen war. Die Re¬ gierung gab nach; auch auf evangelischer und deutscher Seite mochte nach dieser Bekundung der nativnalpolnischen Bestrebungen das Nebeneinander der dentschen und der polnischen Kinder in der Schule nicht mehr gewünscht werden. Die mehrklassigen paritätischen Schulen wurden in konfessionelle ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/24>, abgerufen am 24.05.2024.