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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Vor Posener Schulstrcit

nicht vorher um seine Meinung befragt habe, so wird neuerdings von der
Kölnischen Volkszeitung für die Kirche geradezu das Recht in Anspruch ge¬
nommen, zu derartigen Anordnungen ihre Einwilligung zu geben. Wenn
hierbei etwas unerhört ist, so ist es diese ultramontane Forderung. Und un¬
erhört wäre es gewesen, wenn die Regierung in Posen oder der Minister den
Herrn von Stablewski "in seine Erlaubnis z" ihrem Vorgehn ersucht hätten.
Weder sagen die Oberprüsidialbestimmungen vom 27. Oktober 1873 ein Wort
davon, daß vor der Einführung der deutschen Unterrichtssprache an Stelle der
polnischen der Erzbischof oder irgend ein andres Organ der Kirche gehört
werden müsse, noch haben die Regierungen dies jemals für nötig gehalten,
so oft sie von dieser Befugnis Gebrauch gemacht haben. Und das letzte ist
recht häufig geschehn, namentlich vom Jahre 1886 ab, wo, wie gegenwärtig
wieder, von oben her ein etwas scharfer Wind gegen die polnischen Ansprüche
wehte, bis um den Beginn der neunziger Jahre, wo das Zeichen zum stoppen
gegeben wurde. Der Erzbischof ist nie gefragt worden. Somit ist in der
Unterlassung der Befragung im vorliegenden Falle wenigstens keine Neuerung
der Verwaltungspraxis zu sehen. Woher also das irrte Geschrei? Es möchte
aber auch schwer werden, ein Recht der Kirche auf die vou der ultmmoutanen
Presse beanspruchte Mitwirkung nachzuweisen. Das verfassungsmäßige Recht
der Kirche auf die Leitung des Religionsunterrichts hat vom Staate nie eine
so weitgehende Auslegung erfahren. Der Staat hat der Kirche auf Grund der
Verfassungsbestimmung immer nur ans den Lehrinhalt des Unterrichts eine
Einwirkung zugestanden, und in dieser Hinsicht wird den Organen der Kirche
volle Mitwirkung eingeräumt. Sie werden bei der Aufstellung der Lehrplüne
gehört und dürfen dem Religionsunterricht beiwohnen und sich dnrch Fragen
an Lehrer und Schüler davon überzeugen, daß die Lehre der Kirche unverfälscht
zur Geltung kommt. Dem Bischof wird dabei so weit entgegengekommen, daß
man ihm nicht zumutet, in die einzelnen Schulen zu gehn, wie es der evan¬
gelische Generalsuperinteudent thut, sondern die Schulverwaltung läßt ihm die
Kinder durch die Lehrer in die Kirche fuhren, wann und wo er es wünscht.
Hat er oder der Geistliche an dem Inhalte des Religionsunterrichts irgend
welche Ausstellungen zu machen, so bedarf es nur einer Mitteilung an die
Schulaufsichtsbehörde, um die wahrgenommnen Übelstände zu beseitigen. Aber
die Form des Unterrichts, die methodische und die didaktische Seite, wird als rein
schultechnische Frage behandelt, auf die der Kirche keine Einwirkung zusteht,
und zu der Form des Unterrichts gehört auch die Unterrichtssprache. Damit soll
nicht gesagt sein, daß begründeten Klagen und Wünschen der Kirche, sofern sie
in angemessener Form an der richtigen Stelle angebracht werden, nicht auch
nuf diesem Gebiete williges Gehör geschenkt würde. Nur ein Rechtsanspruch
der Kirche, für die Form des Unterrichts Forderungen zu stellen, wird nicht
anerkannt.

Mithin kann in der Posener Verfügung auch "ach dieser Richtung hin
nichts Unerhörtes gefunden werden, und es heißt in der That ihre Bedeutung


Vor Posener Schulstrcit

nicht vorher um seine Meinung befragt habe, so wird neuerdings von der
Kölnischen Volkszeitung für die Kirche geradezu das Recht in Anspruch ge¬
nommen, zu derartigen Anordnungen ihre Einwilligung zu geben. Wenn
hierbei etwas unerhört ist, so ist es diese ultramontane Forderung. Und un¬
erhört wäre es gewesen, wenn die Regierung in Posen oder der Minister den
Herrn von Stablewski »in seine Erlaubnis z» ihrem Vorgehn ersucht hätten.
Weder sagen die Oberprüsidialbestimmungen vom 27. Oktober 1873 ein Wort
davon, daß vor der Einführung der deutschen Unterrichtssprache an Stelle der
polnischen der Erzbischof oder irgend ein andres Organ der Kirche gehört
werden müsse, noch haben die Regierungen dies jemals für nötig gehalten,
so oft sie von dieser Befugnis Gebrauch gemacht haben. Und das letzte ist
recht häufig geschehn, namentlich vom Jahre 1886 ab, wo, wie gegenwärtig
wieder, von oben her ein etwas scharfer Wind gegen die polnischen Ansprüche
wehte, bis um den Beginn der neunziger Jahre, wo das Zeichen zum stoppen
gegeben wurde. Der Erzbischof ist nie gefragt worden. Somit ist in der
Unterlassung der Befragung im vorliegenden Falle wenigstens keine Neuerung
der Verwaltungspraxis zu sehen. Woher also das irrte Geschrei? Es möchte
aber auch schwer werden, ein Recht der Kirche auf die vou der ultmmoutanen
Presse beanspruchte Mitwirkung nachzuweisen. Das verfassungsmäßige Recht
der Kirche auf die Leitung des Religionsunterrichts hat vom Staate nie eine
so weitgehende Auslegung erfahren. Der Staat hat der Kirche auf Grund der
Verfassungsbestimmung immer nur ans den Lehrinhalt des Unterrichts eine
Einwirkung zugestanden, und in dieser Hinsicht wird den Organen der Kirche
volle Mitwirkung eingeräumt. Sie werden bei der Aufstellung der Lehrplüne
gehört und dürfen dem Religionsunterricht beiwohnen und sich dnrch Fragen
an Lehrer und Schüler davon überzeugen, daß die Lehre der Kirche unverfälscht
zur Geltung kommt. Dem Bischof wird dabei so weit entgegengekommen, daß
man ihm nicht zumutet, in die einzelnen Schulen zu gehn, wie es der evan¬
gelische Generalsuperinteudent thut, sondern die Schulverwaltung läßt ihm die
Kinder durch die Lehrer in die Kirche fuhren, wann und wo er es wünscht.
Hat er oder der Geistliche an dem Inhalte des Religionsunterrichts irgend
welche Ausstellungen zu machen, so bedarf es nur einer Mitteilung an die
Schulaufsichtsbehörde, um die wahrgenommnen Übelstände zu beseitigen. Aber
die Form des Unterrichts, die methodische und die didaktische Seite, wird als rein
schultechnische Frage behandelt, auf die der Kirche keine Einwirkung zusteht,
und zu der Form des Unterrichts gehört auch die Unterrichtssprache. Damit soll
nicht gesagt sein, daß begründeten Klagen und Wünschen der Kirche, sofern sie
in angemessener Form an der richtigen Stelle angebracht werden, nicht auch
nuf diesem Gebiete williges Gehör geschenkt würde. Nur ein Rechtsanspruch
der Kirche, für die Form des Unterrichts Forderungen zu stellen, wird nicht
anerkannt.

Mithin kann in der Posener Verfügung auch «ach dieser Richtung hin
nichts Unerhörtes gefunden werden, und es heißt in der That ihre Bedeutung


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[0023] Vor Posener Schulstrcit nicht vorher um seine Meinung befragt habe, so wird neuerdings von der Kölnischen Volkszeitung für die Kirche geradezu das Recht in Anspruch ge¬ nommen, zu derartigen Anordnungen ihre Einwilligung zu geben. Wenn hierbei etwas unerhört ist, so ist es diese ultramontane Forderung. Und un¬ erhört wäre es gewesen, wenn die Regierung in Posen oder der Minister den Herrn von Stablewski »in seine Erlaubnis z» ihrem Vorgehn ersucht hätten. Weder sagen die Oberprüsidialbestimmungen vom 27. Oktober 1873 ein Wort davon, daß vor der Einführung der deutschen Unterrichtssprache an Stelle der polnischen der Erzbischof oder irgend ein andres Organ der Kirche gehört werden müsse, noch haben die Regierungen dies jemals für nötig gehalten, so oft sie von dieser Befugnis Gebrauch gemacht haben. Und das letzte ist recht häufig geschehn, namentlich vom Jahre 1886 ab, wo, wie gegenwärtig wieder, von oben her ein etwas scharfer Wind gegen die polnischen Ansprüche wehte, bis um den Beginn der neunziger Jahre, wo das Zeichen zum stoppen gegeben wurde. Der Erzbischof ist nie gefragt worden. Somit ist in der Unterlassung der Befragung im vorliegenden Falle wenigstens keine Neuerung der Verwaltungspraxis zu sehen. Woher also das irrte Geschrei? Es möchte aber auch schwer werden, ein Recht der Kirche auf die vou der ultmmoutanen Presse beanspruchte Mitwirkung nachzuweisen. Das verfassungsmäßige Recht der Kirche auf die Leitung des Religionsunterrichts hat vom Staate nie eine so weitgehende Auslegung erfahren. Der Staat hat der Kirche auf Grund der Verfassungsbestimmung immer nur ans den Lehrinhalt des Unterrichts eine Einwirkung zugestanden, und in dieser Hinsicht wird den Organen der Kirche volle Mitwirkung eingeräumt. Sie werden bei der Aufstellung der Lehrplüne gehört und dürfen dem Religionsunterricht beiwohnen und sich dnrch Fragen an Lehrer und Schüler davon überzeugen, daß die Lehre der Kirche unverfälscht zur Geltung kommt. Dem Bischof wird dabei so weit entgegengekommen, daß man ihm nicht zumutet, in die einzelnen Schulen zu gehn, wie es der evan¬ gelische Generalsuperinteudent thut, sondern die Schulverwaltung läßt ihm die Kinder durch die Lehrer in die Kirche fuhren, wann und wo er es wünscht. Hat er oder der Geistliche an dem Inhalte des Religionsunterrichts irgend welche Ausstellungen zu machen, so bedarf es nur einer Mitteilung an die Schulaufsichtsbehörde, um die wahrgenommnen Übelstände zu beseitigen. Aber die Form des Unterrichts, die methodische und die didaktische Seite, wird als rein schultechnische Frage behandelt, auf die der Kirche keine Einwirkung zusteht, und zu der Form des Unterrichts gehört auch die Unterrichtssprache. Damit soll nicht gesagt sein, daß begründeten Klagen und Wünschen der Kirche, sofern sie in angemessener Form an der richtigen Stelle angebracht werden, nicht auch nuf diesem Gebiete williges Gehör geschenkt würde. Nur ein Rechtsanspruch der Kirche, für die Form des Unterrichts Forderungen zu stellen, wird nicht anerkannt. Mithin kann in der Posener Verfügung auch «ach dieser Richtung hin nichts Unerhörtes gefunden werden, und es heißt in der That ihre Bedeutung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/23>, abgerufen am 16.06.2024.