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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Schulstreit

trennt, aus den einklassigen Suuultanschulen wurde die Miwnfsicht durch den
Pfarrer der konfessionellen Minderheit beseitigt. Nun war der katholische
Priester von der unbequemen Kontrolle des neben ihm stehenden evangelischen
Pfarrers befreit, nun konnte er seinen nationalpolnischcn Neigungen ungestört
freien Lauf lassen. Die deutsche Sprache verschwand aus der polnischen
Schule. Die Regierungen duldeten es oder kümmerten sich nicht darum. Der
fest zugreifende Oberpräsident von Flottwell mußte weichen, und die Behörden
ließen den katholischen Priester gewähren. Und hätte nicht die vis inertmo
die Geistlichkeit ein der Entfaltung einer wirksamen Thätigkeit für die Heizung
der polnischen Schule gehindert, so hätte schon um die Mitte des Jahrhunderts
ein polnischer Mittelstand von wirtschaftlicher und politischer Bedeutung er¬
zogen sein können. Aber nachdem sich der deutsche Einfluß in die kleinern
und weniger zahlreichen evangelischen Schulen hatte zurückziehn müssen, legte
die katholische Geistlichkeit die Hände in den Schoß und überließ das Schul¬
wesen sich selber, sodaß es bald in einen Zustand der Versumpfung geriet,
aus dein es erst infolge der Wiedererweckung des deutschen Volksbewußtseins
erlöst werden sollte.

Es bedürfte erst der großen politischen Ereignisse des Jahres 1866, um
der Negierung ihre Pflicht ins Gedächtnis zu rufen, an der Ostmark des neuen
Deutschlands deutsches Wesen und deutsche Bildung zu pflegen. Hatte sie sich
bis dahin zur Entschuldigung ihrer Lässigkeit immerhin auf die Thatsache be¬
rufen können, daß die Provinz Posen nicht zum Deutschen Bunde gehörte, so
trat in dieser Beziehung durch die Errichtung des Norddeutschen Bundes, dein
der preußische Staat alle seine Provinzen zuführte, eine Änderung ein. Und
gerade die widerwillige Haltung, die die Polen gegen ihre Aufnahme in den
Norddeutschen Bund an den Tag legten, ist augenscheinlich auf die Schulver-
waltungsmaßnahiuen nicht ohne Einfluß geblieben. Die deutsche Sprache war
wie gesagt aus dem Unterrichte der polnischen Schulen gänzlich verschwunden.
Da wurde den Lehrern durch Negierungsverfügung zur Pflicht gemacht, die
Polnischen Kinder nicht bloß im Lesen und Schreiben, sondern much im münd¬
lichen Gebrauche der deutschen Sprache fleißig zu unterrichten. Das Sprechen
sollte in der Form des Anschaunngsllnterrichts geübt werden, der sich an die
Winckelmannschen Bildertafeln anzuschließen hatte. Um den Lehrern, die zum
großen Teile der deutschen Sprache selber nicht mächtig und methodisch wenig
geschult waren, eine Anleitung zu diesem Unterrichte zu bieten, ließ die Ne¬
gierung in Posen von einem Schulrate den Übuugsstoff unter dem Titel "An¬
leitung zur Behaudlung des deutschen Sprachunterrichts in polnischen Schulen"
zusammenstellen und allen Schulen zugehn.

Diese Anleitung und die Winckelmannschen Bildertafeln waren hinfort
für die polnischen Schulen das allerwichtigste Lehrmittel -- freilich lange genng
nur in den Augen der Regierungen. Noch nach zehn Jahren, als die pol¬
nischen Schulen längst nnter ständige, vom Staate angestellte Kreisschnlinspek-
wren gestellt waren, fehlten die Auschauuugsbilder vielen Schulen. Aber auch


Der Posener Schulstreit

trennt, aus den einklassigen Suuultanschulen wurde die Miwnfsicht durch den
Pfarrer der konfessionellen Minderheit beseitigt. Nun war der katholische
Priester von der unbequemen Kontrolle des neben ihm stehenden evangelischen
Pfarrers befreit, nun konnte er seinen nationalpolnischcn Neigungen ungestört
freien Lauf lassen. Die deutsche Sprache verschwand aus der polnischen
Schule. Die Regierungen duldeten es oder kümmerten sich nicht darum. Der
fest zugreifende Oberpräsident von Flottwell mußte weichen, und die Behörden
ließen den katholischen Priester gewähren. Und hätte nicht die vis inertmo
die Geistlichkeit ein der Entfaltung einer wirksamen Thätigkeit für die Heizung
der polnischen Schule gehindert, so hätte schon um die Mitte des Jahrhunderts
ein polnischer Mittelstand von wirtschaftlicher und politischer Bedeutung er¬
zogen sein können. Aber nachdem sich der deutsche Einfluß in die kleinern
und weniger zahlreichen evangelischen Schulen hatte zurückziehn müssen, legte
die katholische Geistlichkeit die Hände in den Schoß und überließ das Schul¬
wesen sich selber, sodaß es bald in einen Zustand der Versumpfung geriet,
aus dein es erst infolge der Wiedererweckung des deutschen Volksbewußtseins
erlöst werden sollte.

Es bedürfte erst der großen politischen Ereignisse des Jahres 1866, um
der Negierung ihre Pflicht ins Gedächtnis zu rufen, an der Ostmark des neuen
Deutschlands deutsches Wesen und deutsche Bildung zu pflegen. Hatte sie sich
bis dahin zur Entschuldigung ihrer Lässigkeit immerhin auf die Thatsache be¬
rufen können, daß die Provinz Posen nicht zum Deutschen Bunde gehörte, so
trat in dieser Beziehung durch die Errichtung des Norddeutschen Bundes, dein
der preußische Staat alle seine Provinzen zuführte, eine Änderung ein. Und
gerade die widerwillige Haltung, die die Polen gegen ihre Aufnahme in den
Norddeutschen Bund an den Tag legten, ist augenscheinlich auf die Schulver-
waltungsmaßnahiuen nicht ohne Einfluß geblieben. Die deutsche Sprache war
wie gesagt aus dem Unterrichte der polnischen Schulen gänzlich verschwunden.
Da wurde den Lehrern durch Negierungsverfügung zur Pflicht gemacht, die
Polnischen Kinder nicht bloß im Lesen und Schreiben, sondern much im münd¬
lichen Gebrauche der deutschen Sprache fleißig zu unterrichten. Das Sprechen
sollte in der Form des Anschaunngsllnterrichts geübt werden, der sich an die
Winckelmannschen Bildertafeln anzuschließen hatte. Um den Lehrern, die zum
großen Teile der deutschen Sprache selber nicht mächtig und methodisch wenig
geschult waren, eine Anleitung zu diesem Unterrichte zu bieten, ließ die Ne¬
gierung in Posen von einem Schulrate den Übuugsstoff unter dem Titel „An¬
leitung zur Behaudlung des deutschen Sprachunterrichts in polnischen Schulen"
zusammenstellen und allen Schulen zugehn.

Diese Anleitung und die Winckelmannschen Bildertafeln waren hinfort
für die polnischen Schulen das allerwichtigste Lehrmittel — freilich lange genng
nur in den Augen der Regierungen. Noch nach zehn Jahren, als die pol¬
nischen Schulen längst nnter ständige, vom Staate angestellte Kreisschnlinspek-
wren gestellt waren, fehlten die Auschauuugsbilder vielen Schulen. Aber auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/25>, abgerufen am 16.06.2024.