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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Pans Abschied

Wie sie will, und noch so viel Eheelend verschulden, dieses allgemeine Elend
ist doch nicht das Charakteristische ein Hedda, sondern ihre tückische, gemeine
und feige Grausamkeit, und daß ihr Herz jeder edeln Empfindung schlechthin
unzugänglich ist; wie kann man eine solche Bestie als den Typus der höhern
Tochter hinstellen wollen! Lobend anzuerkennen ist jedoch, daß Reich Seite 287
die "fanatischen Jbseuverehrer" zurückweist, "die sofort bereit sind, mit dem
Meister durch dick und dünn zu gehn, noch ehe sie wissen, wohin er schreitet."
und die "in der Heldin dieser neusten Offenbarung ein Wesen erblickten, dem
die Welt Unrecht thue und das an der Jämmerlichkeit seiner Umgebung zu
L. I- Grunde gehe."*)




pans Abschied

inlangst ist das vierte Heft des fünften Jahrgangs der Zeitschrift
Pan ausgegeben worden, das letzte, denn mit ihm hat der Pan
zu erscheinen aufgehört, wie die Redaktion in einem Nachwort
I einfach und würdig, mit Selbstgefühl, aber ohne alle Überhebung
bekannt macht. Man sah das schon lange voraus: viel Freunde
über den Kreis hinaus, aus dem er hervorging, hat der Pan wohl nicht mehr
gehabt. Sogar Zeitschriften, die gleich rückhaltlos das Neue pflegen und vor¬
wärts drängen, schienen ihm nicht oder wenigstens nicht mehr gewogen zu sein.
War das bloß der Neid auf alles Exzeptionelle, der Masseninstinkt gegen das
Mehrseinwollen, oder war es mich das Gefühl, daß hier wirklich mit dem
Gelde ein wenig herumgeworfen wurde, wenn man z. B. die wertlosen Rei¬
mereien so manches armen Schluckers mit breiter Platzverschwendung auf den
starken Karton druckte, ohne den ja um einmal kein PanHeft mehr zu denken
war? Den Panabonnenten machte wahrscheinlich der hohe Preis nichts aus,
aber es ist von jeher Menschenart gewesen, über seines Nächsten Vergeudung
zu murren und auf die Armen zu verweisen, denen solches Geld besser hätte
gegeben werden können, wobei man ja freilich mit der Armut auch sich selbst
meinen kann. Nach Erschöpfung sieht dieser fünfte Jahrgang nicht aus, er
ist so gut wie ein früherer, und nur hin und wieder schimmert so etwas vom
hippokratischen Gesicht oder vom geretteten Boot durch die Zeilen einiger



Nach Ur. 233 der Deutschen Zeitung teilt der Münchner Hofschauspieler W. Schneider,
ein Jbsenit, folgende Geschichte mit. Der Hofschauspieler Keppler, der am Münchner Ncsidenz-
theater Hedda Gabler inszenierte, fragte bei einer Szene, deren Motivierung ihm nicht klar
werden wollte: "Was will denn die Kanaille hier eigentlich?" Darauf erwiderte Ibsen in
seinen: leisen, ruhigen Tone: "Das ist gar keine Kanaille; ich habe nur zeigen wollen, in
welche Exzentrizitäten eine lebhast veranlagte Frau, die sich in gesegneten Umständen befindet,
in einem vorgerückten Stadium ihres Zustandes verfallen kann. Suchen Sie gar nicht nach
andern Motiven."
Pans Abschied

Wie sie will, und noch so viel Eheelend verschulden, dieses allgemeine Elend
ist doch nicht das Charakteristische ein Hedda, sondern ihre tückische, gemeine
und feige Grausamkeit, und daß ihr Herz jeder edeln Empfindung schlechthin
unzugänglich ist; wie kann man eine solche Bestie als den Typus der höhern
Tochter hinstellen wollen! Lobend anzuerkennen ist jedoch, daß Reich Seite 287
die „fanatischen Jbseuverehrer" zurückweist, „die sofort bereit sind, mit dem
Meister durch dick und dünn zu gehn, noch ehe sie wissen, wohin er schreitet."
und die „in der Heldin dieser neusten Offenbarung ein Wesen erblickten, dem
die Welt Unrecht thue und das an der Jämmerlichkeit seiner Umgebung zu
L. I- Grunde gehe."*)




pans Abschied

inlangst ist das vierte Heft des fünften Jahrgangs der Zeitschrift
Pan ausgegeben worden, das letzte, denn mit ihm hat der Pan
zu erscheinen aufgehört, wie die Redaktion in einem Nachwort
I einfach und würdig, mit Selbstgefühl, aber ohne alle Überhebung
bekannt macht. Man sah das schon lange voraus: viel Freunde
über den Kreis hinaus, aus dem er hervorging, hat der Pan wohl nicht mehr
gehabt. Sogar Zeitschriften, die gleich rückhaltlos das Neue pflegen und vor¬
wärts drängen, schienen ihm nicht oder wenigstens nicht mehr gewogen zu sein.
War das bloß der Neid auf alles Exzeptionelle, der Masseninstinkt gegen das
Mehrseinwollen, oder war es mich das Gefühl, daß hier wirklich mit dem
Gelde ein wenig herumgeworfen wurde, wenn man z. B. die wertlosen Rei¬
mereien so manches armen Schluckers mit breiter Platzverschwendung auf den
starken Karton druckte, ohne den ja um einmal kein PanHeft mehr zu denken
war? Den Panabonnenten machte wahrscheinlich der hohe Preis nichts aus,
aber es ist von jeher Menschenart gewesen, über seines Nächsten Vergeudung
zu murren und auf die Armen zu verweisen, denen solches Geld besser hätte
gegeben werden können, wobei man ja freilich mit der Armut auch sich selbst
meinen kann. Nach Erschöpfung sieht dieser fünfte Jahrgang nicht aus, er
ist so gut wie ein früherer, und nur hin und wieder schimmert so etwas vom
hippokratischen Gesicht oder vom geretteten Boot durch die Zeilen einiger



Nach Ur. 233 der Deutschen Zeitung teilt der Münchner Hofschauspieler W. Schneider,
ein Jbsenit, folgende Geschichte mit. Der Hofschauspieler Keppler, der am Münchner Ncsidenz-
theater Hedda Gabler inszenierte, fragte bei einer Szene, deren Motivierung ihm nicht klar
werden wollte: „Was will denn die Kanaille hier eigentlich?" Darauf erwiderte Ibsen in
seinen: leisen, ruhigen Tone: „Das ist gar keine Kanaille; ich habe nur zeigen wollen, in
welche Exzentrizitäten eine lebhast veranlagte Frau, die sich in gesegneten Umständen befindet,
in einem vorgerückten Stadium ihres Zustandes verfallen kann. Suchen Sie gar nicht nach
andern Motiven."
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[0252] Pans Abschied Wie sie will, und noch so viel Eheelend verschulden, dieses allgemeine Elend ist doch nicht das Charakteristische ein Hedda, sondern ihre tückische, gemeine und feige Grausamkeit, und daß ihr Herz jeder edeln Empfindung schlechthin unzugänglich ist; wie kann man eine solche Bestie als den Typus der höhern Tochter hinstellen wollen! Lobend anzuerkennen ist jedoch, daß Reich Seite 287 die „fanatischen Jbseuverehrer" zurückweist, „die sofort bereit sind, mit dem Meister durch dick und dünn zu gehn, noch ehe sie wissen, wohin er schreitet." und die „in der Heldin dieser neusten Offenbarung ein Wesen erblickten, dem die Welt Unrecht thue und das an der Jämmerlichkeit seiner Umgebung zu L. I- Grunde gehe."*) pans Abschied inlangst ist das vierte Heft des fünften Jahrgangs der Zeitschrift Pan ausgegeben worden, das letzte, denn mit ihm hat der Pan zu erscheinen aufgehört, wie die Redaktion in einem Nachwort I einfach und würdig, mit Selbstgefühl, aber ohne alle Überhebung bekannt macht. Man sah das schon lange voraus: viel Freunde über den Kreis hinaus, aus dem er hervorging, hat der Pan wohl nicht mehr gehabt. Sogar Zeitschriften, die gleich rückhaltlos das Neue pflegen und vor¬ wärts drängen, schienen ihm nicht oder wenigstens nicht mehr gewogen zu sein. War das bloß der Neid auf alles Exzeptionelle, der Masseninstinkt gegen das Mehrseinwollen, oder war es mich das Gefühl, daß hier wirklich mit dem Gelde ein wenig herumgeworfen wurde, wenn man z. B. die wertlosen Rei¬ mereien so manches armen Schluckers mit breiter Platzverschwendung auf den starken Karton druckte, ohne den ja um einmal kein PanHeft mehr zu denken war? Den Panabonnenten machte wahrscheinlich der hohe Preis nichts aus, aber es ist von jeher Menschenart gewesen, über seines Nächsten Vergeudung zu murren und auf die Armen zu verweisen, denen solches Geld besser hätte gegeben werden können, wobei man ja freilich mit der Armut auch sich selbst meinen kann. Nach Erschöpfung sieht dieser fünfte Jahrgang nicht aus, er ist so gut wie ein früherer, und nur hin und wieder schimmert so etwas vom hippokratischen Gesicht oder vom geretteten Boot durch die Zeilen einiger Nach Ur. 233 der Deutschen Zeitung teilt der Münchner Hofschauspieler W. Schneider, ein Jbsenit, folgende Geschichte mit. Der Hofschauspieler Keppler, der am Münchner Ncsidenz- theater Hedda Gabler inszenierte, fragte bei einer Szene, deren Motivierung ihm nicht klar werden wollte: „Was will denn die Kanaille hier eigentlich?" Darauf erwiderte Ibsen in seinen: leisen, ruhigen Tone: „Das ist gar keine Kanaille; ich habe nur zeigen wollen, in welche Exzentrizitäten eine lebhast veranlagte Frau, die sich in gesegneten Umständen befindet, in einem vorgerückten Stadium ihres Zustandes verfallen kann. Suchen Sie gar nicht nach andern Motiven."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/252>, abgerufen am 24.05.2024.