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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Latifundien und Bauerngut

Tage zu sehr beherrscht. Darauf sollten diese Zeilen wieder einmal hinweisen,
nicht etwa das ungeheure Problem: Ethik und Weltpolitik erschöpfend lösen.
Das mögen, wie Deißmann sagt, die zünftigen Ethiker versuchen, aber Erfolg
werden sie nur haben als Humanisten, nicht als Materialisten,




Latifundien und Bauerngut

nsre heutigen agrarischen Zustände sind im wesentlichen festgelegt
worden durch die Gesetzgebungen aus dem Ende des achtzehnten
und dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, also ans einer
Zeit, die trotz alles Aufbäumens gegen den französischen Umsturz
durchtränkt war Volt dem Glauben an die erlösenden politischen
und andre Doktrinen. So kam denn auch die wahnwitzige Gleichheitstheorie
in uusern agrarischen Reformen zur Geltung, indem man nichts mehr von
spezifischer, von ständischer Unterscheidung zwischen Großgrundbesitz und Klein¬
grundbesitz, zwischen Rittergut und Banerngnt, zwischen Adelsrecht und Bauern-
recht hören wollte. Wurden die Privilegien des Adels abgeschafft, so konnte
man nun doch nicht Privilegien des Bauern schaffen! Das wäre nicht konse¬
quent gewesen, und vor der Forderung konsequenter Systematik beugte man
sich wie vor einem sinaitischen Dekalog. So wurde alles befreit, der Bauer
und auch der Grund, auf dem er saß, und von dem er gefrönt hatte, und das
gemeine Recht fand in den Landrechten denselben Ausdruck für Edelmann,
Bürger, Bauern. Der Bauer erlangte die Freiheit von Robot und Frone,
auch die Freiheit, seinen Hof zu zerschlagen und an zehn Kinder zu verteilen,
oder ihn an den benachbarten Edelmann zu verkaufen. Und der Edelmann
begann zu kaufen und kauft noch hente einen Bauernhof nach dein andern auf;
und ist an die Stelle des Edelmanns der bürgerliche Millionär getreten, der
bei solchen Belustigungen, wie das Edclmanuspielen es ist, weniger auf die
Zinsen sieht, dann geht das Auslaufen des Bauern noch flotter von statten.
Von der andern Seite hilft der Jude mit, indem er dem Bauern mit Borgen
von der Scholle hilft, das Bauerngnt zerstückelt oder dem Großbesitzer weiter
verhandelt. So ist durch diese heilige Freiheit und Gleichheit der Bauern¬
stand in manchen Teilen von Deutschland in seinem Grundbesitz stark geschmälert
worden. In dem ostelbischeu Lande sind Dörfer um Dörfer vom Erdboden
verschwunden, und nun klagt man dort längst über Arbeitermangel.

Der Staat ist an allem schuld, der Staat muß helfen! Das ist das
ewige Lied. In freilich, an dem Arbeitermangel ist zum Teil der Staat schuld,
nämlich insoweit er die Industrie groß hat werden lassen, und insoweit er die


Grenzboten IV 1900 33
Latifundien und Bauerngut

Tage zu sehr beherrscht. Darauf sollten diese Zeilen wieder einmal hinweisen,
nicht etwa das ungeheure Problem: Ethik und Weltpolitik erschöpfend lösen.
Das mögen, wie Deißmann sagt, die zünftigen Ethiker versuchen, aber Erfolg
werden sie nur haben als Humanisten, nicht als Materialisten,




Latifundien und Bauerngut

nsre heutigen agrarischen Zustände sind im wesentlichen festgelegt
worden durch die Gesetzgebungen aus dem Ende des achtzehnten
und dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, also ans einer
Zeit, die trotz alles Aufbäumens gegen den französischen Umsturz
durchtränkt war Volt dem Glauben an die erlösenden politischen
und andre Doktrinen. So kam denn auch die wahnwitzige Gleichheitstheorie
in uusern agrarischen Reformen zur Geltung, indem man nichts mehr von
spezifischer, von ständischer Unterscheidung zwischen Großgrundbesitz und Klein¬
grundbesitz, zwischen Rittergut und Banerngnt, zwischen Adelsrecht und Bauern-
recht hören wollte. Wurden die Privilegien des Adels abgeschafft, so konnte
man nun doch nicht Privilegien des Bauern schaffen! Das wäre nicht konse¬
quent gewesen, und vor der Forderung konsequenter Systematik beugte man
sich wie vor einem sinaitischen Dekalog. So wurde alles befreit, der Bauer
und auch der Grund, auf dem er saß, und von dem er gefrönt hatte, und das
gemeine Recht fand in den Landrechten denselben Ausdruck für Edelmann,
Bürger, Bauern. Der Bauer erlangte die Freiheit von Robot und Frone,
auch die Freiheit, seinen Hof zu zerschlagen und an zehn Kinder zu verteilen,
oder ihn an den benachbarten Edelmann zu verkaufen. Und der Edelmann
begann zu kaufen und kauft noch hente einen Bauernhof nach dein andern auf;
und ist an die Stelle des Edelmanns der bürgerliche Millionär getreten, der
bei solchen Belustigungen, wie das Edclmanuspielen es ist, weniger auf die
Zinsen sieht, dann geht das Auslaufen des Bauern noch flotter von statten.
Von der andern Seite hilft der Jude mit, indem er dem Bauern mit Borgen
von der Scholle hilft, das Bauerngnt zerstückelt oder dem Großbesitzer weiter
verhandelt. So ist durch diese heilige Freiheit und Gleichheit der Bauern¬
stand in manchen Teilen von Deutschland in seinem Grundbesitz stark geschmälert
worden. In dem ostelbischeu Lande sind Dörfer um Dörfer vom Erdboden
verschwunden, und nun klagt man dort längst über Arbeitermangel.

Der Staat ist an allem schuld, der Staat muß helfen! Das ist das
ewige Lied. In freilich, an dem Arbeitermangel ist zum Teil der Staat schuld,
nämlich insoweit er die Industrie groß hat werden lassen, und insoweit er die


Grenzboten IV 1900 33
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[0287] Latifundien und Bauerngut Tage zu sehr beherrscht. Darauf sollten diese Zeilen wieder einmal hinweisen, nicht etwa das ungeheure Problem: Ethik und Weltpolitik erschöpfend lösen. Das mögen, wie Deißmann sagt, die zünftigen Ethiker versuchen, aber Erfolg werden sie nur haben als Humanisten, nicht als Materialisten, Latifundien und Bauerngut nsre heutigen agrarischen Zustände sind im wesentlichen festgelegt worden durch die Gesetzgebungen aus dem Ende des achtzehnten und dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, also ans einer Zeit, die trotz alles Aufbäumens gegen den französischen Umsturz durchtränkt war Volt dem Glauben an die erlösenden politischen und andre Doktrinen. So kam denn auch die wahnwitzige Gleichheitstheorie in uusern agrarischen Reformen zur Geltung, indem man nichts mehr von spezifischer, von ständischer Unterscheidung zwischen Großgrundbesitz und Klein¬ grundbesitz, zwischen Rittergut und Banerngnt, zwischen Adelsrecht und Bauern- recht hören wollte. Wurden die Privilegien des Adels abgeschafft, so konnte man nun doch nicht Privilegien des Bauern schaffen! Das wäre nicht konse¬ quent gewesen, und vor der Forderung konsequenter Systematik beugte man sich wie vor einem sinaitischen Dekalog. So wurde alles befreit, der Bauer und auch der Grund, auf dem er saß, und von dem er gefrönt hatte, und das gemeine Recht fand in den Landrechten denselben Ausdruck für Edelmann, Bürger, Bauern. Der Bauer erlangte die Freiheit von Robot und Frone, auch die Freiheit, seinen Hof zu zerschlagen und an zehn Kinder zu verteilen, oder ihn an den benachbarten Edelmann zu verkaufen. Und der Edelmann begann zu kaufen und kauft noch hente einen Bauernhof nach dein andern auf; und ist an die Stelle des Edelmanns der bürgerliche Millionär getreten, der bei solchen Belustigungen, wie das Edclmanuspielen es ist, weniger auf die Zinsen sieht, dann geht das Auslaufen des Bauern noch flotter von statten. Von der andern Seite hilft der Jude mit, indem er dem Bauern mit Borgen von der Scholle hilft, das Bauerngnt zerstückelt oder dem Großbesitzer weiter verhandelt. So ist durch diese heilige Freiheit und Gleichheit der Bauern¬ stand in manchen Teilen von Deutschland in seinem Grundbesitz stark geschmälert worden. In dem ostelbischeu Lande sind Dörfer um Dörfer vom Erdboden verschwunden, und nun klagt man dort längst über Arbeitermangel. Der Staat ist an allem schuld, der Staat muß helfen! Das ist das ewige Lied. In freilich, an dem Arbeitermangel ist zum Teil der Staat schuld, nämlich insoweit er die Industrie groß hat werden lassen, und insoweit er die Grenzboten IV 1900 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/287>, abgerufen am 23.05.2024.