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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Lhina

1879 von dem engen Einvernehmen mit Rußland zum Bündnis mit Österreich
übersprang, so war das die höchste staatsmünnische Weisheit; wenn die heutige
kaiserliche Politik in China 1895 mit Rußland und Frankreich ging, im Jahre
1900 zunächst den gelinde gesagt sonderbaren russischen Vorschlag, Peking zu
räumen, ablehnte und zu Falle brachte, dann sich zunächst mit England ver¬
ständigte, so nennt man das "Zickzackkurs"! Übrigens: wäre es denn nicht
möglich, daß sich Gras Bülow schon vor dem Abschluß des Vertrags mit Eng¬
land unter der Hand mit Rußland verständigt hätte, und das Abkomme" seine
Spitze nicht sowohl gegen Rußland kehrte, dessen thatsächliche Herrschaft in
der Mandschurei es gar nicht berührt, als vielmehr gegen England?

Am 14, November wird der Reichstag wieder zusammentreten und dann
auch über China zu Worte kommen. Nach den bisherigen Proben deutsch-
Parlamentarischer Weisheit in großen Fragen der auswärtigen Politik, z, B. in
der Samoafrage, ist die Hoffnung, daß er der Reichsregierung nachdrückliche
Unterstützung gewähren werde, nur sehr schwach; wir werden zufrieden sein
müssen, wenn er sich und uns vor Europa und den umliegenden Erdteilen
nicht bloßstellt. Zum Glück vertritt der Reichstag die Nation nur der Form
nach, nicht ihren Geist; ihre beste intellektuelle und sittliche Kraft liegt nicht
in ihm, sondern in Kreisen, die sich nicht gewerbsmäßig mit Politik befassen,
vielmehr ruhig und gewissenhaft ihre tägliche Berufsarbeit thun. Um so mehr
kommt darauf an, daß sich diese Kreise das Verhältnis zu ihren? Kaiser nicht
durch eine unverständige, sensationslüsterne Presse vergiften lassen. Was die
Reichsregierung hente, bei einer so unendlich wichtigen Wendung unsrer Ge¬
schicke, dringender bedarf als je, das ist nicht eine meist sachunkundige und
darum ganz wertlose Kritik, sondern Vertrauen und Unterstützung bei der großen
* Partei der vernünftigen Leute.




China

le Frage, was der Dantsevertrag für uus und andre bedeute,
kann am einfachsten durch die Gegenfrage beantwortet werden:
Was wäre geschehn, wenn dieser Vertrag nicht geschlossen worden
wäre? Und die Antwort müßte lauten: Der Aantse und der
reichste Teil Chinas wären englisch geworden.

Hat man denn etwa schon vergessen, wie sich nach dem chinesisch-japanischen
Kriege die Dinge in Ostnsicn gestaltet hatten? Japans Pläne warm ab¬
gewiesen, wir hatten Kiautschou genommen, aber England hatte die Aantse-
Provinzen für englische Interessensphäre erklärt. Was das heißt, Nüssen wir


Lhina

1879 von dem engen Einvernehmen mit Rußland zum Bündnis mit Österreich
übersprang, so war das die höchste staatsmünnische Weisheit; wenn die heutige
kaiserliche Politik in China 1895 mit Rußland und Frankreich ging, im Jahre
1900 zunächst den gelinde gesagt sonderbaren russischen Vorschlag, Peking zu
räumen, ablehnte und zu Falle brachte, dann sich zunächst mit England ver¬
ständigte, so nennt man das „Zickzackkurs"! Übrigens: wäre es denn nicht
möglich, daß sich Gras Bülow schon vor dem Abschluß des Vertrags mit Eng¬
land unter der Hand mit Rußland verständigt hätte, und das Abkomme» seine
Spitze nicht sowohl gegen Rußland kehrte, dessen thatsächliche Herrschaft in
der Mandschurei es gar nicht berührt, als vielmehr gegen England?

Am 14, November wird der Reichstag wieder zusammentreten und dann
auch über China zu Worte kommen. Nach den bisherigen Proben deutsch-
Parlamentarischer Weisheit in großen Fragen der auswärtigen Politik, z, B. in
der Samoafrage, ist die Hoffnung, daß er der Reichsregierung nachdrückliche
Unterstützung gewähren werde, nur sehr schwach; wir werden zufrieden sein
müssen, wenn er sich und uns vor Europa und den umliegenden Erdteilen
nicht bloßstellt. Zum Glück vertritt der Reichstag die Nation nur der Form
nach, nicht ihren Geist; ihre beste intellektuelle und sittliche Kraft liegt nicht
in ihm, sondern in Kreisen, die sich nicht gewerbsmäßig mit Politik befassen,
vielmehr ruhig und gewissenhaft ihre tägliche Berufsarbeit thun. Um so mehr
kommt darauf an, daß sich diese Kreise das Verhältnis zu ihren? Kaiser nicht
durch eine unverständige, sensationslüsterne Presse vergiften lassen. Was die
Reichsregierung hente, bei einer so unendlich wichtigen Wendung unsrer Ge¬
schicke, dringender bedarf als je, das ist nicht eine meist sachunkundige und
darum ganz wertlose Kritik, sondern Vertrauen und Unterstützung bei der großen
* Partei der vernünftigen Leute.




China

le Frage, was der Dantsevertrag für uus und andre bedeute,
kann am einfachsten durch die Gegenfrage beantwortet werden:
Was wäre geschehn, wenn dieser Vertrag nicht geschlossen worden
wäre? Und die Antwort müßte lauten: Der Aantse und der
reichste Teil Chinas wären englisch geworden.

Hat man denn etwa schon vergessen, wie sich nach dem chinesisch-japanischen
Kriege die Dinge in Ostnsicn gestaltet hatten? Japans Pläne warm ab¬
gewiesen, wir hatten Kiautschou genommen, aber England hatte die Aantse-
Provinzen für englische Interessensphäre erklärt. Was das heißt, Nüssen wir


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[0337] Lhina 1879 von dem engen Einvernehmen mit Rußland zum Bündnis mit Österreich übersprang, so war das die höchste staatsmünnische Weisheit; wenn die heutige kaiserliche Politik in China 1895 mit Rußland und Frankreich ging, im Jahre 1900 zunächst den gelinde gesagt sonderbaren russischen Vorschlag, Peking zu räumen, ablehnte und zu Falle brachte, dann sich zunächst mit England ver¬ ständigte, so nennt man das „Zickzackkurs"! Übrigens: wäre es denn nicht möglich, daß sich Gras Bülow schon vor dem Abschluß des Vertrags mit Eng¬ land unter der Hand mit Rußland verständigt hätte, und das Abkomme» seine Spitze nicht sowohl gegen Rußland kehrte, dessen thatsächliche Herrschaft in der Mandschurei es gar nicht berührt, als vielmehr gegen England? Am 14, November wird der Reichstag wieder zusammentreten und dann auch über China zu Worte kommen. Nach den bisherigen Proben deutsch- Parlamentarischer Weisheit in großen Fragen der auswärtigen Politik, z, B. in der Samoafrage, ist die Hoffnung, daß er der Reichsregierung nachdrückliche Unterstützung gewähren werde, nur sehr schwach; wir werden zufrieden sein müssen, wenn er sich und uns vor Europa und den umliegenden Erdteilen nicht bloßstellt. Zum Glück vertritt der Reichstag die Nation nur der Form nach, nicht ihren Geist; ihre beste intellektuelle und sittliche Kraft liegt nicht in ihm, sondern in Kreisen, die sich nicht gewerbsmäßig mit Politik befassen, vielmehr ruhig und gewissenhaft ihre tägliche Berufsarbeit thun. Um so mehr kommt darauf an, daß sich diese Kreise das Verhältnis zu ihren? Kaiser nicht durch eine unverständige, sensationslüsterne Presse vergiften lassen. Was die Reichsregierung hente, bei einer so unendlich wichtigen Wendung unsrer Ge¬ schicke, dringender bedarf als je, das ist nicht eine meist sachunkundige und darum ganz wertlose Kritik, sondern Vertrauen und Unterstützung bei der großen * Partei der vernünftigen Leute. China le Frage, was der Dantsevertrag für uus und andre bedeute, kann am einfachsten durch die Gegenfrage beantwortet werden: Was wäre geschehn, wenn dieser Vertrag nicht geschlossen worden wäre? Und die Antwort müßte lauten: Der Aantse und der reichste Teil Chinas wären englisch geworden. Hat man denn etwa schon vergessen, wie sich nach dem chinesisch-japanischen Kriege die Dinge in Ostnsicn gestaltet hatten? Japans Pläne warm ab¬ gewiesen, wir hatten Kiautschou genommen, aber England hatte die Aantse- Provinzen für englische Interessensphäre erklärt. Was das heißt, Nüssen wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/337>, abgerufen am 24.05.2024.