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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

nautischen Vereins am 27. Februar dieses Jahres nicht stichhaltig. Der Leser
möge deren Stenogramme, die im Buchhandel erschienen sind, selbst nachlesen
und sich ein Urteil darüber bilden. Daß die Einrichtung des Kadettenschnlschiffs
ein Born fließender Geldquellen sein soll, habe ich nicht gehört, wohl aber,
daß dem Llohd in Anbetracht der jährlich zu zahlenden Pension von 600 Mark
eigne Kosten wohl nicht entsteh" werden. Ich beabsichtige, mich nur mit deu
Schlußsätzen zu befassen und als alter Kapitän und warmer Freund meiner
Berufsgenossen die spöttische Abfertigung der Gegner des Kadettenschulschiffs
etwas niedriger zu hängen.

^. Die Matrofen

Als im Jahre 1866 der norddeutsche Bund geschaffen und 1870/71 das
neue Deutsche Reich gegründet war, gingen die Regierungen und die Volks¬
vertreter rüstig ans Werk, es wohnlich einzurichten. Nachdem die staatlichen
und volkswirtschaftlichen Einrichtungen viele Jahre stabil geblieben waren, und
den Bedürfnissen des Volkes nur zu wenig Rechnung getragen worden war,
gerieten die Behörden in eine fieberhafte manchesterliche Thätigkeit, neue Ein¬
richtungen zu schaffen, unter denen sich die Volkskraft neu sollte entfalten
können. Man schuf eine neue Gewerbeordnung und vernichtete die alte mit
ihren Zünften und zunftartigen Einrichtungen und Gewohnheiten, die sich
freilich den neuen volkswirtschaftlichen Lehrsätzen nicht bequem einfügen wollten.
Das Stichwort war: Der alte Zopf muß abgeschnitten werden. Ju mancher
Hinsicht ging man viel zu weit und verunstaltete den Kopf, statt daß man
die Haartracht der neuen Zeit anpaßte. Die vielen Änderungen und Zu¬
sätze, die die Gewerbeordnung inzwischen erlitten hat, und der Umstand, daß
man in neuster Zeit die Zünfte in neuer Form mit vieler Mühe wieder ein¬
zurichten sucht, dürften dies beweisen.

Mit der Gewerbeordnung fiel auch der Schiffsjungenzwang. Die meisten
deutschen Küstenstaaten hatten nämlich, um den Nachwuchs zu sichern, die An¬
ordnung getroffen, daß auf jedem Kauffahrteischiffe je nach dessen Bemannung
einer oder mehrere Schiffsjungen angemustert werden mußten. Bei dem konser¬
vativen Sinn der Seeleute war die Aushebung dieses Zwangs jahrelang voll¬
ständig unwirksam, aber in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre traten Um¬
stände ein, die veranlaßten, daß in der großen Fahrt die Aufhebung des
Zwangs fast zu einer Aufhebung der Schiffsjungeninstitution führte. Die ein¬
setzende und langdauernde Handelskrisis und die sich drängenden Erfindungen
auf allen Gebieten der Technik hatten einen Niedergang der Segelschifsahrt
und erst ein langsames, dann aber immer schnelleres Zunehmen der Dampf¬
schiffahrt zur Folge. Die Transportfähigkeit der vorhandnen Schiffsräume
stieg mehr als das Quantum der zu transportierenden Güter, und damit
wurde ein Niedergang der Frachten bewirkt, der beispiellos genannt werden
darf. Die Reedereien waren gezwungen, den Fortschritten der Schiffbau- und


Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

nautischen Vereins am 27. Februar dieses Jahres nicht stichhaltig. Der Leser
möge deren Stenogramme, die im Buchhandel erschienen sind, selbst nachlesen
und sich ein Urteil darüber bilden. Daß die Einrichtung des Kadettenschnlschiffs
ein Born fließender Geldquellen sein soll, habe ich nicht gehört, wohl aber,
daß dem Llohd in Anbetracht der jährlich zu zahlenden Pension von 600 Mark
eigne Kosten wohl nicht entsteh» werden. Ich beabsichtige, mich nur mit deu
Schlußsätzen zu befassen und als alter Kapitän und warmer Freund meiner
Berufsgenossen die spöttische Abfertigung der Gegner des Kadettenschulschiffs
etwas niedriger zu hängen.

^. Die Matrofen

Als im Jahre 1866 der norddeutsche Bund geschaffen und 1870/71 das
neue Deutsche Reich gegründet war, gingen die Regierungen und die Volks¬
vertreter rüstig ans Werk, es wohnlich einzurichten. Nachdem die staatlichen
und volkswirtschaftlichen Einrichtungen viele Jahre stabil geblieben waren, und
den Bedürfnissen des Volkes nur zu wenig Rechnung getragen worden war,
gerieten die Behörden in eine fieberhafte manchesterliche Thätigkeit, neue Ein¬
richtungen zu schaffen, unter denen sich die Volkskraft neu sollte entfalten
können. Man schuf eine neue Gewerbeordnung und vernichtete die alte mit
ihren Zünften und zunftartigen Einrichtungen und Gewohnheiten, die sich
freilich den neuen volkswirtschaftlichen Lehrsätzen nicht bequem einfügen wollten.
Das Stichwort war: Der alte Zopf muß abgeschnitten werden. Ju mancher
Hinsicht ging man viel zu weit und verunstaltete den Kopf, statt daß man
die Haartracht der neuen Zeit anpaßte. Die vielen Änderungen und Zu¬
sätze, die die Gewerbeordnung inzwischen erlitten hat, und der Umstand, daß
man in neuster Zeit die Zünfte in neuer Form mit vieler Mühe wieder ein¬
zurichten sucht, dürften dies beweisen.

Mit der Gewerbeordnung fiel auch der Schiffsjungenzwang. Die meisten
deutschen Küstenstaaten hatten nämlich, um den Nachwuchs zu sichern, die An¬
ordnung getroffen, daß auf jedem Kauffahrteischiffe je nach dessen Bemannung
einer oder mehrere Schiffsjungen angemustert werden mußten. Bei dem konser¬
vativen Sinn der Seeleute war die Aushebung dieses Zwangs jahrelang voll¬
ständig unwirksam, aber in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre traten Um¬
stände ein, die veranlaßten, daß in der großen Fahrt die Aufhebung des
Zwangs fast zu einer Aufhebung der Schiffsjungeninstitution führte. Die ein¬
setzende und langdauernde Handelskrisis und die sich drängenden Erfindungen
auf allen Gebieten der Technik hatten einen Niedergang der Segelschifsahrt
und erst ein langsames, dann aber immer schnelleres Zunehmen der Dampf¬
schiffahrt zur Folge. Die Transportfähigkeit der vorhandnen Schiffsräume
stieg mehr als das Quantum der zu transportierenden Güter, und damit
wurde ein Niedergang der Frachten bewirkt, der beispiellos genannt werden
darf. Die Reedereien waren gezwungen, den Fortschritten der Schiffbau- und


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[0352] Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe nautischen Vereins am 27. Februar dieses Jahres nicht stichhaltig. Der Leser möge deren Stenogramme, die im Buchhandel erschienen sind, selbst nachlesen und sich ein Urteil darüber bilden. Daß die Einrichtung des Kadettenschnlschiffs ein Born fließender Geldquellen sein soll, habe ich nicht gehört, wohl aber, daß dem Llohd in Anbetracht der jährlich zu zahlenden Pension von 600 Mark eigne Kosten wohl nicht entsteh» werden. Ich beabsichtige, mich nur mit deu Schlußsätzen zu befassen und als alter Kapitän und warmer Freund meiner Berufsgenossen die spöttische Abfertigung der Gegner des Kadettenschulschiffs etwas niedriger zu hängen. ^. Die Matrofen Als im Jahre 1866 der norddeutsche Bund geschaffen und 1870/71 das neue Deutsche Reich gegründet war, gingen die Regierungen und die Volks¬ vertreter rüstig ans Werk, es wohnlich einzurichten. Nachdem die staatlichen und volkswirtschaftlichen Einrichtungen viele Jahre stabil geblieben waren, und den Bedürfnissen des Volkes nur zu wenig Rechnung getragen worden war, gerieten die Behörden in eine fieberhafte manchesterliche Thätigkeit, neue Ein¬ richtungen zu schaffen, unter denen sich die Volkskraft neu sollte entfalten können. Man schuf eine neue Gewerbeordnung und vernichtete die alte mit ihren Zünften und zunftartigen Einrichtungen und Gewohnheiten, die sich freilich den neuen volkswirtschaftlichen Lehrsätzen nicht bequem einfügen wollten. Das Stichwort war: Der alte Zopf muß abgeschnitten werden. Ju mancher Hinsicht ging man viel zu weit und verunstaltete den Kopf, statt daß man die Haartracht der neuen Zeit anpaßte. Die vielen Änderungen und Zu¬ sätze, die die Gewerbeordnung inzwischen erlitten hat, und der Umstand, daß man in neuster Zeit die Zünfte in neuer Form mit vieler Mühe wieder ein¬ zurichten sucht, dürften dies beweisen. Mit der Gewerbeordnung fiel auch der Schiffsjungenzwang. Die meisten deutschen Küstenstaaten hatten nämlich, um den Nachwuchs zu sichern, die An¬ ordnung getroffen, daß auf jedem Kauffahrteischiffe je nach dessen Bemannung einer oder mehrere Schiffsjungen angemustert werden mußten. Bei dem konser¬ vativen Sinn der Seeleute war die Aushebung dieses Zwangs jahrelang voll¬ ständig unwirksam, aber in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre traten Um¬ stände ein, die veranlaßten, daß in der großen Fahrt die Aufhebung des Zwangs fast zu einer Aufhebung der Schiffsjungeninstitution führte. Die ein¬ setzende und langdauernde Handelskrisis und die sich drängenden Erfindungen auf allen Gebieten der Technik hatten einen Niedergang der Segelschifsahrt und erst ein langsames, dann aber immer schnelleres Zunehmen der Dampf¬ schiffahrt zur Folge. Die Transportfähigkeit der vorhandnen Schiffsräume stieg mehr als das Quantum der zu transportierenden Güter, und damit wurde ein Niedergang der Frachten bewirkt, der beispiellos genannt werden darf. Die Reedereien waren gezwungen, den Fortschritten der Schiffbau- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/352>, abgerufen am 24.05.2024.