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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Königin der Nacht

as Märchen bringt die Verlorne Krone dem unerkannten Königs-
kind in Höhlen, im Waldesdunkel, in düstern Köhlerhütten zurück,
und in ähnlichen dämmerigen Umgebungen findet der in süßer
Hoffnung die Welt durchfragende Prinz die Prinzessin, die seiner
harrt wie ein Veilchen im Gebüsch, und wenn sie hinaustreten,
wissen sie nicht, ob ihr Glück sie mehr blendet oder der Lichtstrom des hellen Tags
der wirklichen Welt. Auch ich sitze manchmal in einem lichtarmer und düm-
mernngsreichen braunen Kümmerlein, von Mürchendnft umweht, in Träume
versunken. Es ist aber ein gastlicher, ob seiner gemütlichen "Umwelt" berühmter
Raum: die Trinkkemenate des .... Hoff in einer Stadt Mitteldeutschlands.
Nur handelt es sich für mich nicht um Märchen, die mich darin besuchen; von
denen muß ich leider mit Rudolf Vanmbnch sagen:


Also wars in alten Zeiten,
Heute kommt das nicht mehr vor!

Vielmehr trage ich selbst die Märchcngednnken hinein und suche sie dort mir
zu deuten und zu erklären. Denn mir ist die ganze Schöpfung ein Niesen-
märchen, und jede Schuppe von einem Schmetterlingsflügel ein tiefes Ge¬
heimnis. Deshalb erlebe ich jeden Tag merk- und denkwürdige Geschichten,
und über diese Rätsel der Wirklichkeit sinne ich dann in dämmernder Erholung in
diesen vier dunkelgetüfelten Knbikmetern, deren zwei weißverhängte Fensterchen
auf einen Gang gehn, der einen andern, im rechten Winkel auf ihn stoßenden
fragen muß, wie es draußen aussieht, wenn er vom Wetter und von der Gasse
etwas wissen will. Ein Luftloch, das man glücklicherweise schließen kann,
durchbricht die braune Rückwand nach einem andern Dämmcrraum, aus dein
die Stimmen gedämpfter Unterhaltungen und der zinnerne Wohlklang zu¬
geklappter Deckelkrüge herübcrdriugt. Meist sitzen einsame Zecher darin, und
man muß ihr Idiom kennen, um mit ihnen Zwiesprache halten zu können.
Durch lange Übung verstehe ich ein bischen davon; das langsame Öffnen des
Deckels, dem ein stiller Blick auf den rahmigen Schaum folgt, dann ein Schluck,
und ein sanstes Znklnppen verraten mir den Gast, der gute Stimmung, etwas
wie Weihe, mitgebracht hat. Wenn ich das höre, fühle ich mich von gleich¬
gestimmter Seele angehaucht und antworte, indem ich mein eignes Behagen
"och vertiefe, hoffend, es werde durch Lehne und Wand hinüberwirken. Disso¬
nanzen von heftig zugeklappten Deckeln, die wie Ausrufe des Ärgers klingen,
oder von unmutig weggerückten Krügen, die an Seufzer erinnern, nehme ich




Die Königin der Nacht

as Märchen bringt die Verlorne Krone dem unerkannten Königs-
kind in Höhlen, im Waldesdunkel, in düstern Köhlerhütten zurück,
und in ähnlichen dämmerigen Umgebungen findet der in süßer
Hoffnung die Welt durchfragende Prinz die Prinzessin, die seiner
harrt wie ein Veilchen im Gebüsch, und wenn sie hinaustreten,
wissen sie nicht, ob ihr Glück sie mehr blendet oder der Lichtstrom des hellen Tags
der wirklichen Welt. Auch ich sitze manchmal in einem lichtarmer und düm-
mernngsreichen braunen Kümmerlein, von Mürchendnft umweht, in Träume
versunken. Es ist aber ein gastlicher, ob seiner gemütlichen „Umwelt" berühmter
Raum: die Trinkkemenate des .... Hoff in einer Stadt Mitteldeutschlands.
Nur handelt es sich für mich nicht um Märchen, die mich darin besuchen; von
denen muß ich leider mit Rudolf Vanmbnch sagen:


Also wars in alten Zeiten,
Heute kommt das nicht mehr vor!

Vielmehr trage ich selbst die Märchcngednnken hinein und suche sie dort mir
zu deuten und zu erklären. Denn mir ist die ganze Schöpfung ein Niesen-
märchen, und jede Schuppe von einem Schmetterlingsflügel ein tiefes Ge¬
heimnis. Deshalb erlebe ich jeden Tag merk- und denkwürdige Geschichten,
und über diese Rätsel der Wirklichkeit sinne ich dann in dämmernder Erholung in
diesen vier dunkelgetüfelten Knbikmetern, deren zwei weißverhängte Fensterchen
auf einen Gang gehn, der einen andern, im rechten Winkel auf ihn stoßenden
fragen muß, wie es draußen aussieht, wenn er vom Wetter und von der Gasse
etwas wissen will. Ein Luftloch, das man glücklicherweise schließen kann,
durchbricht die braune Rückwand nach einem andern Dämmcrraum, aus dein
die Stimmen gedämpfter Unterhaltungen und der zinnerne Wohlklang zu¬
geklappter Deckelkrüge herübcrdriugt. Meist sitzen einsame Zecher darin, und
man muß ihr Idiom kennen, um mit ihnen Zwiesprache halten zu können.
Durch lange Übung verstehe ich ein bischen davon; das langsame Öffnen des
Deckels, dem ein stiller Blick auf den rahmigen Schaum folgt, dann ein Schluck,
und ein sanstes Znklnppen verraten mir den Gast, der gute Stimmung, etwas
wie Weihe, mitgebracht hat. Wenn ich das höre, fühle ich mich von gleich¬
gestimmter Seele angehaucht und antworte, indem ich mein eignes Behagen
"och vertiefe, hoffend, es werde durch Lehne und Wand hinüberwirken. Disso¬
nanzen von heftig zugeklappten Deckeln, die wie Ausrufe des Ärgers klingen,
oder von unmutig weggerückten Krügen, die an Seufzer erinnern, nehme ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/41>, abgerufen am 03.06.2024.