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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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nicht hoch auf, weil ich mis Erfahrung weiß, daß eine braune Dünnnerung,
vereint mit einem guten Trunk, Balsam in die Wunden von "tausend Pfeilen
des Geschickes" gießt, und daß diese Heilmittel vor vielen andern den Vorzug
rascher Wirkung haben, meistens schon nach dem ersten Krug.

Vou der Decke meines kleinen Gemachs hängt über dein alten Tisch die
Lampe, deren Licht man dämpfen kann. Man läßt sie ohnehin so spät wie
möglich anzünden, denn es ist nicht zu verkennen, daß ihr gelber Schein ein
Fremdling in diesen Räumen ist, der die darin nrheimische Dämmerung in die
Ecken und Winkel verdrängt und sich mit einem stimmnngswidrigen Lichtkreis,
den er auf Tisch und Decke wirft, als Herrschender bekunden möchte. Man
braucht kein Licht, um zu sinnen. Um aber Zeitungen zu lesen oder maschige
Speisen zu genießen, zu deren kritischer Verzehrung man Licht nötig hätte, ist
das offenbar nicht der Ort. Psychologisch kann ich es nicht begründen, kenne
und fühle es aber als sichere Thatsache, daß Helles Licht den Gehalt der Luft
an irgend einem tranmfördernden Etwas beeinträchtigt. Nervenmüden sollte
man dämmerige Räume unweisen, sie uicht auf sonnige Meeresufer oder in
Thäler versetzen, wo das Licht von Hellgrauen Kalkfelsen zurückstrahlt. Unsre
Voreltern fühlten sich in ihren kleinfenstrigen Stuben wohler als wir in unsern
liebereichen, und so thun es noch heute die Bauern. Licht mag für vieles gut
sein, aber in der Dämmerung ruht sich der Geist in Träumen aus.

So saß ich eines Spätsommertags im braunen Stübchen, sann dem Grün
des heißen Waldes nach, den ich eben durchwandert hatte, und probierte es mit
der Erinnerung an die seltsamen Lichtgestalten, die die Sonnenstrahlen, wenn
sie noch in starkem Winkel einfallen, zwischen den Blättern der Bäume dnrch
aus den Boden zeichnen.

Es gelang nicht recht. Klar war mir wohl die Eigentümlichkeit der
Lichtumrisse, die die krausen Zwischenräume des Eichenbanluschlags zeichnet,
und daß sie auch anders gefärbt sind als unter Buchen, deren Blätter wie
griwe Transparente wirken, und unter Föhren, an deren Rinde rötliche Tone
herabrinnen. Aber es war so schwer, die höchst willkürlichen Gestalten fest¬
zuhalten. Man muß sie einmal photographisch festlegen, sagte ich mir, wie
es sicherlich schon längst gewissenhafte Landschafter gethan haben. Schade,
daß die Wissenschaft nicht engere Freundschaft mit der Kunst hält, meditierte
ich weiter. Hier ist nun ein Gegenstand, der wissenswert ist, den z. B. die
Naturschilderung recht wohl beachten sollte, und von dem doch wahrscheinlich
mir ein paar sinnige Landschafter Bericht zu geben wissen. Kann mir einer
der vielen reisenden Botaniker sagen, wie sich der Schatten und das Licht in
den Wäldern der verschiednen Zonen abstufen und nebeneinander legen, und
in was für Farben? Ich erinnere mich an tropische Landschaftsskizzen, ich
glaube aus Brasilien, von dem Karlsruher Keller; da war eine überwältigende
Masse von grünem Licht unter den Bäumen, eine wahre grüne Dämmerung,
aber nicht nur zu fühlen, zu greifen, war es. Ob nun dort die Menschen
ebenso grünmüd werden wie wir Bewohner von Städten und Kultursteppen


nicht hoch auf, weil ich mis Erfahrung weiß, daß eine braune Dünnnerung,
vereint mit einem guten Trunk, Balsam in die Wunden von „tausend Pfeilen
des Geschickes" gießt, und daß diese Heilmittel vor vielen andern den Vorzug
rascher Wirkung haben, meistens schon nach dem ersten Krug.

Vou der Decke meines kleinen Gemachs hängt über dein alten Tisch die
Lampe, deren Licht man dämpfen kann. Man läßt sie ohnehin so spät wie
möglich anzünden, denn es ist nicht zu verkennen, daß ihr gelber Schein ein
Fremdling in diesen Räumen ist, der die darin nrheimische Dämmerung in die
Ecken und Winkel verdrängt und sich mit einem stimmnngswidrigen Lichtkreis,
den er auf Tisch und Decke wirft, als Herrschender bekunden möchte. Man
braucht kein Licht, um zu sinnen. Um aber Zeitungen zu lesen oder maschige
Speisen zu genießen, zu deren kritischer Verzehrung man Licht nötig hätte, ist
das offenbar nicht der Ort. Psychologisch kann ich es nicht begründen, kenne
und fühle es aber als sichere Thatsache, daß Helles Licht den Gehalt der Luft
an irgend einem tranmfördernden Etwas beeinträchtigt. Nervenmüden sollte
man dämmerige Räume unweisen, sie uicht auf sonnige Meeresufer oder in
Thäler versetzen, wo das Licht von Hellgrauen Kalkfelsen zurückstrahlt. Unsre
Voreltern fühlten sich in ihren kleinfenstrigen Stuben wohler als wir in unsern
liebereichen, und so thun es noch heute die Bauern. Licht mag für vieles gut
sein, aber in der Dämmerung ruht sich der Geist in Träumen aus.

So saß ich eines Spätsommertags im braunen Stübchen, sann dem Grün
des heißen Waldes nach, den ich eben durchwandert hatte, und probierte es mit
der Erinnerung an die seltsamen Lichtgestalten, die die Sonnenstrahlen, wenn
sie noch in starkem Winkel einfallen, zwischen den Blättern der Bäume dnrch
aus den Boden zeichnen.

Es gelang nicht recht. Klar war mir wohl die Eigentümlichkeit der
Lichtumrisse, die die krausen Zwischenräume des Eichenbanluschlags zeichnet,
und daß sie auch anders gefärbt sind als unter Buchen, deren Blätter wie
griwe Transparente wirken, und unter Föhren, an deren Rinde rötliche Tone
herabrinnen. Aber es war so schwer, die höchst willkürlichen Gestalten fest¬
zuhalten. Man muß sie einmal photographisch festlegen, sagte ich mir, wie
es sicherlich schon längst gewissenhafte Landschafter gethan haben. Schade,
daß die Wissenschaft nicht engere Freundschaft mit der Kunst hält, meditierte
ich weiter. Hier ist nun ein Gegenstand, der wissenswert ist, den z. B. die
Naturschilderung recht wohl beachten sollte, und von dem doch wahrscheinlich
mir ein paar sinnige Landschafter Bericht zu geben wissen. Kann mir einer
der vielen reisenden Botaniker sagen, wie sich der Schatten und das Licht in
den Wäldern der verschiednen Zonen abstufen und nebeneinander legen, und
in was für Farben? Ich erinnere mich an tropische Landschaftsskizzen, ich
glaube aus Brasilien, von dem Karlsruher Keller; da war eine überwältigende
Masse von grünem Licht unter den Bäumen, eine wahre grüne Dämmerung,
aber nicht nur zu fühlen, zu greifen, war es. Ob nun dort die Menschen
ebenso grünmüd werden wie wir Bewohner von Städten und Kultursteppen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/42>, abgerufen am 16.06.2024.