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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Gifel
Julius R. Haar Haus Kultur- und Landschaftsbilder von
2

eim Wirfter Schulhause führt ein schmaler Waldweg zu einen"
Hochplateau empor, auf dessen höchster Erhebung ein Heiligen-
Häuschen steht. Eine rohgezimmerteHolzbauk, durch dieses Häuschen
vor dem Wiude geschützt, ladet zu kurzer Rast ein. Von diesem
Punkte aus genießt man eine Aussicht, die, ganz abgesehen von
ihren malerischen Reizen, besser als die längsten Beschreibungen es
vermöchte", den Besucher über Charakter und Formation der Eifel belehrt. Ein
Rundgemälde, von diesem Luginsland aufgenommen und an einem dem großen
Publikum zugänglichen Orte, vielleicht in einer Großstadt, ausgestellt, müßte
meines Trachtens in den weitesten Kreisen die Lust wachrufen, sich genauer
mit dem außerhalb der Rheinprovinz kaum dem Namen nach bekannten, merk¬
würdigen Gebirgskunde vertraut zu macheu.

Schon ein flüchtiger Blick auf die Spezialkarte der Gegend genügt, diese
Behauptung zu rechtfertigen. Die Ahr, die bisher in südöstlicher Richtung
geflossen ist, wendet sich unmittelbar unter unserm Standorte nach Norden und
bildet mit drei an dieser Stelle in sie einmündenden Bächen strahlenförmig
zusammentreffende Thäler. Die von diesen eingeschlossenen Bergrücken in der
durchschnittlichen Höhe von 500 Metern erscheinen als ein ausgedehntes, tief
zerklüftetes Hochplateau, über das sich ostwärts der noch 200 bis 300 Meter
höhere Gebirgsstock der Hohen Eifel mit seinen schön geformten Kuppen und
Spitzen erhebt. Wir sehen auf der Thalsohle grüne Wiesen, an den Abhängen
der Berge Wälder und auf der welligen Hochfläche Heide, Ödland und Stoppel¬
felder. Hier und da zeigt sich dort oben ein Dörfchen, so in nordöstlicher
Richtung Neiferscheid, dessen weißer Kirchturm auf viele Meilen im Umkreise
sichtbar ist, und in nordwestlicher Aremberg, am Fuße des über dein Ahrthale
aufsteigenden hohen Burgberges. Die von verwilderten Gärten umgebnen
letzten'Trümmer der einst sehr ansehnlichen Burganlage, des Stammschlosses
des noch blühenden Aremberger Herzogsgeschlechts, liegen auf der Nordseite
des Berges. Die herzogliche Familie, die zum größten Leidwesen der Eifel-
bevölkerunq in Brüssel wohnt, nenerdings auch in Berlin ein Palais erworben
hat, zeigt 'leider für ihre Stammburg wenig Interesse und thut so gut wie
nichts, die Ruinen vor dem gänzlichen Verfalle zu bewahren. Der jetzige
noch junge Herzog, der zu den begütertsten Magnaten Europas gehört, soll
allerdings vor einigen Jahren die Absicht gehabt haben, seine Residenz für die
Sommermonate nach dem Schlosse zu Schleiden zu verlegen, in dessen Nähe
viele tausend Morgen Waldlandes sein Eigentum sind. Man erzählt jedoch,
die Gegend sei ihn: durch einen Unfall auf der Jagd, bei dem einer seiner
Freunde ums Leben kam, so verleidet worden, daß er von der Ausführung
seines Vorsatzes endgiltig abgesehen habe. Dies ist an so mehr zu bedauern,


Grenzboten IV 1900 48


Herbsttage in der Gifel
Julius R. Haar Haus Kultur- und Landschaftsbilder von
2

eim Wirfter Schulhause führt ein schmaler Waldweg zu einen«
Hochplateau empor, auf dessen höchster Erhebung ein Heiligen-
Häuschen steht. Eine rohgezimmerteHolzbauk, durch dieses Häuschen
vor dem Wiude geschützt, ladet zu kurzer Rast ein. Von diesem
Punkte aus genießt man eine Aussicht, die, ganz abgesehen von
ihren malerischen Reizen, besser als die längsten Beschreibungen es
vermöchte», den Besucher über Charakter und Formation der Eifel belehrt. Ein
Rundgemälde, von diesem Luginsland aufgenommen und an einem dem großen
Publikum zugänglichen Orte, vielleicht in einer Großstadt, ausgestellt, müßte
meines Trachtens in den weitesten Kreisen die Lust wachrufen, sich genauer
mit dem außerhalb der Rheinprovinz kaum dem Namen nach bekannten, merk¬
würdigen Gebirgskunde vertraut zu macheu.

Schon ein flüchtiger Blick auf die Spezialkarte der Gegend genügt, diese
Behauptung zu rechtfertigen. Die Ahr, die bisher in südöstlicher Richtung
geflossen ist, wendet sich unmittelbar unter unserm Standorte nach Norden und
bildet mit drei an dieser Stelle in sie einmündenden Bächen strahlenförmig
zusammentreffende Thäler. Die von diesen eingeschlossenen Bergrücken in der
durchschnittlichen Höhe von 500 Metern erscheinen als ein ausgedehntes, tief
zerklüftetes Hochplateau, über das sich ostwärts der noch 200 bis 300 Meter
höhere Gebirgsstock der Hohen Eifel mit seinen schön geformten Kuppen und
Spitzen erhebt. Wir sehen auf der Thalsohle grüne Wiesen, an den Abhängen
der Berge Wälder und auf der welligen Hochfläche Heide, Ödland und Stoppel¬
felder. Hier und da zeigt sich dort oben ein Dörfchen, so in nordöstlicher
Richtung Neiferscheid, dessen weißer Kirchturm auf viele Meilen im Umkreise
sichtbar ist, und in nordwestlicher Aremberg, am Fuße des über dein Ahrthale
aufsteigenden hohen Burgberges. Die von verwilderten Gärten umgebnen
letzten'Trümmer der einst sehr ansehnlichen Burganlage, des Stammschlosses
des noch blühenden Aremberger Herzogsgeschlechts, liegen auf der Nordseite
des Berges. Die herzogliche Familie, die zum größten Leidwesen der Eifel-
bevölkerunq in Brüssel wohnt, nenerdings auch in Berlin ein Palais erworben
hat, zeigt 'leider für ihre Stammburg wenig Interesse und thut so gut wie
nichts, die Ruinen vor dem gänzlichen Verfalle zu bewahren. Der jetzige
noch junge Herzog, der zu den begütertsten Magnaten Europas gehört, soll
allerdings vor einigen Jahren die Absicht gehabt haben, seine Residenz für die
Sommermonate nach dem Schlosse zu Schleiden zu verlegen, in dessen Nähe
viele tausend Morgen Waldlandes sein Eigentum sind. Man erzählt jedoch,
die Gegend sei ihn: durch einen Unfall auf der Jagd, bei dem einer seiner
Freunde ums Leben kam, so verleidet worden, daß er von der Ausführung
seines Vorsatzes endgiltig abgesehen habe. Dies ist an so mehr zu bedauern,


Grenzboten IV 1900 48
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[0415] [Abbildung] Herbsttage in der Gifel Julius R. Haar Haus Kultur- und Landschaftsbilder von 2 eim Wirfter Schulhause führt ein schmaler Waldweg zu einen« Hochplateau empor, auf dessen höchster Erhebung ein Heiligen- Häuschen steht. Eine rohgezimmerteHolzbauk, durch dieses Häuschen vor dem Wiude geschützt, ladet zu kurzer Rast ein. Von diesem Punkte aus genießt man eine Aussicht, die, ganz abgesehen von ihren malerischen Reizen, besser als die längsten Beschreibungen es vermöchte», den Besucher über Charakter und Formation der Eifel belehrt. Ein Rundgemälde, von diesem Luginsland aufgenommen und an einem dem großen Publikum zugänglichen Orte, vielleicht in einer Großstadt, ausgestellt, müßte meines Trachtens in den weitesten Kreisen die Lust wachrufen, sich genauer mit dem außerhalb der Rheinprovinz kaum dem Namen nach bekannten, merk¬ würdigen Gebirgskunde vertraut zu macheu. Schon ein flüchtiger Blick auf die Spezialkarte der Gegend genügt, diese Behauptung zu rechtfertigen. Die Ahr, die bisher in südöstlicher Richtung geflossen ist, wendet sich unmittelbar unter unserm Standorte nach Norden und bildet mit drei an dieser Stelle in sie einmündenden Bächen strahlenförmig zusammentreffende Thäler. Die von diesen eingeschlossenen Bergrücken in der durchschnittlichen Höhe von 500 Metern erscheinen als ein ausgedehntes, tief zerklüftetes Hochplateau, über das sich ostwärts der noch 200 bis 300 Meter höhere Gebirgsstock der Hohen Eifel mit seinen schön geformten Kuppen und Spitzen erhebt. Wir sehen auf der Thalsohle grüne Wiesen, an den Abhängen der Berge Wälder und auf der welligen Hochfläche Heide, Ödland und Stoppel¬ felder. Hier und da zeigt sich dort oben ein Dörfchen, so in nordöstlicher Richtung Neiferscheid, dessen weißer Kirchturm auf viele Meilen im Umkreise sichtbar ist, und in nordwestlicher Aremberg, am Fuße des über dein Ahrthale aufsteigenden hohen Burgberges. Die von verwilderten Gärten umgebnen letzten'Trümmer der einst sehr ansehnlichen Burganlage, des Stammschlosses des noch blühenden Aremberger Herzogsgeschlechts, liegen auf der Nordseite des Berges. Die herzogliche Familie, die zum größten Leidwesen der Eifel- bevölkerunq in Brüssel wohnt, nenerdings auch in Berlin ein Palais erworben hat, zeigt 'leider für ihre Stammburg wenig Interesse und thut so gut wie nichts, die Ruinen vor dem gänzlichen Verfalle zu bewahren. Der jetzige noch junge Herzog, der zu den begütertsten Magnaten Europas gehört, soll allerdings vor einigen Jahren die Absicht gehabt haben, seine Residenz für die Sommermonate nach dem Schlosse zu Schleiden zu verlegen, in dessen Nähe viele tausend Morgen Waldlandes sein Eigentum sind. Man erzählt jedoch, die Gegend sei ihn: durch einen Unfall auf der Jagd, bei dem einer seiner Freunde ums Leben kam, so verleidet worden, daß er von der Ausführung seines Vorsatzes endgiltig abgesehen habe. Dies ist an so mehr zu bedauern, Grenzboten IV 1900 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/415>, abgerufen am 24.05.2024.