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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Auf klassischem Boden

unterbrochen dahin, sie drehte sich hauptsächlich um die Landwirtschafts¬
und Forstverhaltnisse der Gegend, um Viehzucht, Fischfang und Jagd.
Ein Pferdekenner belehrte mich hierbei über die Ursachen des Rückgangs der
einst so bedeutenden Eifeler Pferdezucht. Er glaubte das Körgesetz oder
dessen unrichtige Anwendung dafür verantwortlich machen zu müssen. Von
den gepriesenen Vorzügen der alten Landrasse, aus der noch Napoleon mit
Vorliebe das Pferdematerial für seine Kavallerie wählte, von der Ausdauer,
Bedürfnislosigkeit und Zähigkeit sei bei den Produkten der heutigen Zucht
nichts mehr vorhanden. Die Kreuzung mit dem ostpreußischen Schlage, zu
der man sich aus militärischen Gründen habe verleiten lassen, habe das ein¬
heimische Pferd verdorben, es sei als Remontepferd wie als Arbeitspferd
nahezu unbrauchbar geworden. Kraft und Schnelligkeit ließen, sich nun einmal
nicht vereinigen. Der Fehler sei eben der, daß mit der Überwachung der
Pferdezucht meist Offiziere betraut würden, deren Pferdeidenl ein andres als
das des Bauern sei.

Als der Gesprächstoff ausging, wurden unter die noch Anwesenden kleine
Liederbücher verteilt, das Mädchen, dein die Bedienung der Gäste oblag, setzte
sich mit an den Tisch, und zu den Klängen des dünnstimmigen oder doch
wenigstens zartbesaiteten Klaviers schollen aus der kleinen Klause alte deutsche
Volks- und Jügerlieder in die stille Herbstnacht hinaus. Es war zu später
Stunde, als sich die Stammgäste verabschiedeten. Dem fremden Wandrer zu
Ehren waren sie über die gewohnte Aufbruchzeit hinaus geblieben. Als ich
am nächsten Morgen nach einem Spaziergange durch das plötzlich blitzsauber
ausschaueude freundliche Städtchen meinen Rucksack packte und meine Rechnung
erbat, wurde ich durch deu unglaublich bescheidnen Preis, den man mir für
Abendessen, Nachtlager und ein sehr, reichhaltiges Frühstück abverlangte, an¬
genehm überrascht. Ich nahm die Überzeugung mit ans den Weg, daß die
schnöde Habsucht, dieser Kardinalfehler so mancher rheinischen Wirte, ihren
Weg in diese stillen Thäler noch nicht gefunden hat.




Auf klassischem Voden
Beate Borns-Ieep Novelle von

urtchen Giesicke hatte schwarze Haare und war interessant. Er war
als Kind schwächlich gewesen. Halstücher und wollne Kniewärmer
und Gummischuhe, damit waren sein Gedächtnis und seine Phantasie
und sein Gewissen gesättigt worden. Von alle dem zur rechten Zeit
dran denken, daß weder das eine noch das andre Schutzmittel
verabsäumt wurde, hatte sein Blick und sein Augenaufschlag etwas
Beschwertes bekommen. So etwas Sinnendes, als wenn hinter diesen Auge" etwas
lastete. Es waren aber die wollnen Strümpfe, die Hals- und Kniewärmer, die da
lasteten; aber in den dunkeln Augen war es wie Schwermut zu lesen.MM)
MIM
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Und dann hatte er trotz aller Vorsicht einmal die Kopfrose bekommen. Davon
waren die Haare vom Wirbel weggegangen, und es war da eine kleine Tonsur


Auf klassischem Boden

unterbrochen dahin, sie drehte sich hauptsächlich um die Landwirtschafts¬
und Forstverhaltnisse der Gegend, um Viehzucht, Fischfang und Jagd.
Ein Pferdekenner belehrte mich hierbei über die Ursachen des Rückgangs der
einst so bedeutenden Eifeler Pferdezucht. Er glaubte das Körgesetz oder
dessen unrichtige Anwendung dafür verantwortlich machen zu müssen. Von
den gepriesenen Vorzügen der alten Landrasse, aus der noch Napoleon mit
Vorliebe das Pferdematerial für seine Kavallerie wählte, von der Ausdauer,
Bedürfnislosigkeit und Zähigkeit sei bei den Produkten der heutigen Zucht
nichts mehr vorhanden. Die Kreuzung mit dem ostpreußischen Schlage, zu
der man sich aus militärischen Gründen habe verleiten lassen, habe das ein¬
heimische Pferd verdorben, es sei als Remontepferd wie als Arbeitspferd
nahezu unbrauchbar geworden. Kraft und Schnelligkeit ließen, sich nun einmal
nicht vereinigen. Der Fehler sei eben der, daß mit der Überwachung der
Pferdezucht meist Offiziere betraut würden, deren Pferdeidenl ein andres als
das des Bauern sei.

Als der Gesprächstoff ausging, wurden unter die noch Anwesenden kleine
Liederbücher verteilt, das Mädchen, dein die Bedienung der Gäste oblag, setzte
sich mit an den Tisch, und zu den Klängen des dünnstimmigen oder doch
wenigstens zartbesaiteten Klaviers schollen aus der kleinen Klause alte deutsche
Volks- und Jügerlieder in die stille Herbstnacht hinaus. Es war zu später
Stunde, als sich die Stammgäste verabschiedeten. Dem fremden Wandrer zu
Ehren waren sie über die gewohnte Aufbruchzeit hinaus geblieben. Als ich
am nächsten Morgen nach einem Spaziergange durch das plötzlich blitzsauber
ausschaueude freundliche Städtchen meinen Rucksack packte und meine Rechnung
erbat, wurde ich durch deu unglaublich bescheidnen Preis, den man mir für
Abendessen, Nachtlager und ein sehr, reichhaltiges Frühstück abverlangte, an¬
genehm überrascht. Ich nahm die Überzeugung mit ans den Weg, daß die
schnöde Habsucht, dieser Kardinalfehler so mancher rheinischen Wirte, ihren
Weg in diese stillen Thäler noch nicht gefunden hat.




Auf klassischem Voden
Beate Borns-Ieep Novelle von

urtchen Giesicke hatte schwarze Haare und war interessant. Er war
als Kind schwächlich gewesen. Halstücher und wollne Kniewärmer
und Gummischuhe, damit waren sein Gedächtnis und seine Phantasie
und sein Gewissen gesättigt worden. Von alle dem zur rechten Zeit
dran denken, daß weder das eine noch das andre Schutzmittel
verabsäumt wurde, hatte sein Blick und sein Augenaufschlag etwas
Beschwertes bekommen. So etwas Sinnendes, als wenn hinter diesen Auge» etwas
lastete. Es waren aber die wollnen Strümpfe, die Hals- und Kniewärmer, die da
lasteten; aber in den dunkeln Augen war es wie Schwermut zu lesen.MM)
MIM
^^«-^K/

Und dann hatte er trotz aller Vorsicht einmal die Kopfrose bekommen. Davon
waren die Haare vom Wirbel weggegangen, und es war da eine kleine Tonsur


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[0422] Auf klassischem Boden unterbrochen dahin, sie drehte sich hauptsächlich um die Landwirtschafts¬ und Forstverhaltnisse der Gegend, um Viehzucht, Fischfang und Jagd. Ein Pferdekenner belehrte mich hierbei über die Ursachen des Rückgangs der einst so bedeutenden Eifeler Pferdezucht. Er glaubte das Körgesetz oder dessen unrichtige Anwendung dafür verantwortlich machen zu müssen. Von den gepriesenen Vorzügen der alten Landrasse, aus der noch Napoleon mit Vorliebe das Pferdematerial für seine Kavallerie wählte, von der Ausdauer, Bedürfnislosigkeit und Zähigkeit sei bei den Produkten der heutigen Zucht nichts mehr vorhanden. Die Kreuzung mit dem ostpreußischen Schlage, zu der man sich aus militärischen Gründen habe verleiten lassen, habe das ein¬ heimische Pferd verdorben, es sei als Remontepferd wie als Arbeitspferd nahezu unbrauchbar geworden. Kraft und Schnelligkeit ließen, sich nun einmal nicht vereinigen. Der Fehler sei eben der, daß mit der Überwachung der Pferdezucht meist Offiziere betraut würden, deren Pferdeidenl ein andres als das des Bauern sei. Als der Gesprächstoff ausging, wurden unter die noch Anwesenden kleine Liederbücher verteilt, das Mädchen, dein die Bedienung der Gäste oblag, setzte sich mit an den Tisch, und zu den Klängen des dünnstimmigen oder doch wenigstens zartbesaiteten Klaviers schollen aus der kleinen Klause alte deutsche Volks- und Jügerlieder in die stille Herbstnacht hinaus. Es war zu später Stunde, als sich die Stammgäste verabschiedeten. Dem fremden Wandrer zu Ehren waren sie über die gewohnte Aufbruchzeit hinaus geblieben. Als ich am nächsten Morgen nach einem Spaziergange durch das plötzlich blitzsauber ausschaueude freundliche Städtchen meinen Rucksack packte und meine Rechnung erbat, wurde ich durch deu unglaublich bescheidnen Preis, den man mir für Abendessen, Nachtlager und ein sehr, reichhaltiges Frühstück abverlangte, an¬ genehm überrascht. Ich nahm die Überzeugung mit ans den Weg, daß die schnöde Habsucht, dieser Kardinalfehler so mancher rheinischen Wirte, ihren Weg in diese stillen Thäler noch nicht gefunden hat. Auf klassischem Voden Beate Borns-Ieep Novelle von urtchen Giesicke hatte schwarze Haare und war interessant. Er war als Kind schwächlich gewesen. Halstücher und wollne Kniewärmer und Gummischuhe, damit waren sein Gedächtnis und seine Phantasie und sein Gewissen gesättigt worden. Von alle dem zur rechten Zeit dran denken, daß weder das eine noch das andre Schutzmittel verabsäumt wurde, hatte sein Blick und sein Augenaufschlag etwas Beschwertes bekommen. So etwas Sinnendes, als wenn hinter diesen Auge» etwas lastete. Es waren aber die wollnen Strümpfe, die Hals- und Kniewärmer, die da lasteten; aber in den dunkeln Augen war es wie Schwermut zu lesen.MM) MIM ^^«-^K/ Und dann hatte er trotz aller Vorsicht einmal die Kopfrose bekommen. Davon waren die Haare vom Wirbel weggegangen, und es war da eine kleine Tonsur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/422>, abgerufen am 23.05.2024.