Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Haben der Signore bemerkt das Fresko von Rafael? LsUissiwo oriZinalö!
San Lucca, unser Patron, wie er die Madonna porträtiert -- auch von Rafael.
Wir haben alles hier: Titian, Giulio Romano, Rafael ... Er fuhr mit den
Händen durch die Luft, jedesmal in der Richtung, wo die angedeuteten Werke
hingen.

Dies da ist zum Beispiel der Triumph der Galathea -- und das dort --
das sind die Fremden!

Das letzte war im Augenblick ein Ausdruck seiner Betroffenheit. In diesen
stillen Räumen schien es noch andre Überraschungen zu geben als solche künstlerischer
Natur.

Die Schar der blondhaariger Eroberer hatte sich an der Ausgangsthür zu¬
sammengerottet und schien mit Gewalt ausbrechen zu wollen.

Sor Cesare erhob die Hände: Sousi, entschuldigen Sie -- aber ich muß hin.

Im Nu war er neben der Thür, öffnete das Schloß und warf die Flügel
auseinander. Dieser Aufbruch schien keine Verzögerung zu leiden. Ein kurzes
Drängen und Stampfen, ein dumpfes Echo von der Treppe her -- und Sor Cesare
stand allein neben der Thür und starrte auf seine leere Handfläche. Seinem
Munde entrang sich ein langer Fluch: Nicht einmal ein Trinkgeld!

Das sind die Barbaren!

Als gleich darauf die Lokomotive an ihm vorbei ins Freie dampfte, traf ihn
ein gutmütig lächelnder Blick aus den Augen des jungen Mannes, den sie im Geleise
hinter sich führte, und in Sor Cescires Hand blieb ein Zweifrankenstück zurück. Der
neue Römer zweifelte nicht, daß das neue Zeitalter doch bei weitem jenem heroischen
vorzuziehn sei, aus dem die blonde Schar aufgetaucht sein mußte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aus dem kleinsten deutschen Lande. Es werden uns folgende unsern
Artikel in Heft 33 berichtigende Mitteilungen zugesandt:

Was den angeblich seit dem Jahre 1866 fortbestehenden Kriegszustand zwischen
Preußen und dem Fürstentum betrifft, so hat Liechtenstein allerdings an dem Be¬
schluß des deutschen Bundestags vom 14. Juni 1866 teilgenommen, mit dem über
den Antrag Bayerns beschlossen wurde, die vier Armeekorps der deutschen Mittel¬
staaten auf den Kriegsfuß zu setzen. Dieser Antrag war jedoch seinem Wortlaut
nach nicht gegen Preußen gerichtet und wurde damit begründet, daß Vorkehrungen
zu treffen seien, daß etwaigen Störungen des Friedens entgegengetreten werden konnte.
Den Anlaß zu diesem Beschluß boten die bekannten Vorgänge in Schleswig-Holstein,
durch die General Gablenz gezwungen wurde, die eben erst gemeinsam mit Preußen
befreiten Herzogtümer zu räumen. Eine Kriegserklärung ist bekanntlich überhaupt
nicht erfolgt und konnte wohl seitens des Bundes auch nicht erfolgen. Das
Licchtensteinsche Kontingent wurde thatsächlich weder gegen Preußen noch gegen
dessen Bundesgenossen Italien, sondern zur Mithilfe bei der Abwehr der über die
Grenzen Tirols eingedrungnen Garibnldischen Freischaren am Stilfser Joch aufgestellt.
Schon vermöge der geographischen Einheit, in der das Fürstentum mit Tirol ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Haben der Signore bemerkt das Fresko von Rafael? LsUissiwo oriZinalö!
San Lucca, unser Patron, wie er die Madonna porträtiert — auch von Rafael.
Wir haben alles hier: Titian, Giulio Romano, Rafael ... Er fuhr mit den
Händen durch die Luft, jedesmal in der Richtung, wo die angedeuteten Werke
hingen.

Dies da ist zum Beispiel der Triumph der Galathea — und das dort —
das sind die Fremden!

Das letzte war im Augenblick ein Ausdruck seiner Betroffenheit. In diesen
stillen Räumen schien es noch andre Überraschungen zu geben als solche künstlerischer
Natur.

Die Schar der blondhaariger Eroberer hatte sich an der Ausgangsthür zu¬
sammengerottet und schien mit Gewalt ausbrechen zu wollen.

Sor Cesare erhob die Hände: Sousi, entschuldigen Sie — aber ich muß hin.

Im Nu war er neben der Thür, öffnete das Schloß und warf die Flügel
auseinander. Dieser Aufbruch schien keine Verzögerung zu leiden. Ein kurzes
Drängen und Stampfen, ein dumpfes Echo von der Treppe her — und Sor Cesare
stand allein neben der Thür und starrte auf seine leere Handfläche. Seinem
Munde entrang sich ein langer Fluch: Nicht einmal ein Trinkgeld!

Das sind die Barbaren!

Als gleich darauf die Lokomotive an ihm vorbei ins Freie dampfte, traf ihn
ein gutmütig lächelnder Blick aus den Augen des jungen Mannes, den sie im Geleise
hinter sich führte, und in Sor Cescires Hand blieb ein Zweifrankenstück zurück. Der
neue Römer zweifelte nicht, daß das neue Zeitalter doch bei weitem jenem heroischen
vorzuziehn sei, aus dem die blonde Schar aufgetaucht sein mußte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aus dem kleinsten deutschen Lande. Es werden uns folgende unsern
Artikel in Heft 33 berichtigende Mitteilungen zugesandt:

Was den angeblich seit dem Jahre 1866 fortbestehenden Kriegszustand zwischen
Preußen und dem Fürstentum betrifft, so hat Liechtenstein allerdings an dem Be¬
schluß des deutschen Bundestags vom 14. Juni 1866 teilgenommen, mit dem über
den Antrag Bayerns beschlossen wurde, die vier Armeekorps der deutschen Mittel¬
staaten auf den Kriegsfuß zu setzen. Dieser Antrag war jedoch seinem Wortlaut
nach nicht gegen Preußen gerichtet und wurde damit begründet, daß Vorkehrungen
zu treffen seien, daß etwaigen Störungen des Friedens entgegengetreten werden konnte.
Den Anlaß zu diesem Beschluß boten die bekannten Vorgänge in Schleswig-Holstein,
durch die General Gablenz gezwungen wurde, die eben erst gemeinsam mit Preußen
befreiten Herzogtümer zu räumen. Eine Kriegserklärung ist bekanntlich überhaupt
nicht erfolgt und konnte wohl seitens des Bundes auch nicht erfolgen. Das
Licchtensteinsche Kontingent wurde thatsächlich weder gegen Preußen noch gegen
dessen Bundesgenossen Italien, sondern zur Mithilfe bei der Abwehr der über die
Grenzen Tirols eingedrungnen Garibnldischen Freischaren am Stilfser Joch aufgestellt.
Schon vermöge der geographischen Einheit, in der das Fürstentum mit Tirol ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291506"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1435"> Haben der Signore bemerkt das Fresko von Rafael? LsUissiwo oriZinalö!<lb/>
San Lucca, unser Patron, wie er die Madonna porträtiert &#x2014; auch von Rafael.<lb/>
Wir haben alles hier: Titian, Giulio Romano, Rafael ... Er fuhr mit den<lb/>
Händen durch die Luft, jedesmal in der Richtung, wo die angedeuteten Werke<lb/>
hingen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1436"> Dies da ist zum Beispiel der Triumph der Galathea &#x2014; und das dort &#x2014;<lb/>
das sind die Fremden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1437"> Das letzte war im Augenblick ein Ausdruck seiner Betroffenheit. In diesen<lb/>
stillen Räumen schien es noch andre Überraschungen zu geben als solche künstlerischer<lb/>
Natur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1438"> Die Schar der blondhaariger Eroberer hatte sich an der Ausgangsthür zu¬<lb/>
sammengerottet und schien mit Gewalt ausbrechen zu wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Sor Cesare erhob die Hände: Sousi, entschuldigen Sie &#x2014; aber ich muß hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1440"> Im Nu war er neben der Thür, öffnete das Schloß und warf die Flügel<lb/>
auseinander. Dieser Aufbruch schien keine Verzögerung zu leiden. Ein kurzes<lb/>
Drängen und Stampfen, ein dumpfes Echo von der Treppe her &#x2014; und Sor Cesare<lb/>
stand allein neben der Thür und starrte auf seine leere Handfläche. Seinem<lb/>
Munde entrang sich ein langer Fluch: Nicht einmal ein Trinkgeld!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441"> Das sind die Barbaren!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1442"> Als gleich darauf die Lokomotive an ihm vorbei ins Freie dampfte, traf ihn<lb/>
ein gutmütig lächelnder Blick aus den Augen des jungen Mannes, den sie im Geleise<lb/>
hinter sich führte, und in Sor Cescires Hand blieb ein Zweifrankenstück zurück. Der<lb/>
neue Römer zweifelte nicht, daß das neue Zeitalter doch bei weitem jenem heroischen<lb/>
vorzuziehn sei, aus dem die blonde Schar aufgetaucht sein mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1444"> Aus dem kleinsten deutschen Lande. Es werden uns folgende unsern<lb/>
Artikel in Heft 33 berichtigende Mitteilungen zugesandt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Was den angeblich seit dem Jahre 1866 fortbestehenden Kriegszustand zwischen<lb/>
Preußen und dem Fürstentum betrifft, so hat Liechtenstein allerdings an dem Be¬<lb/>
schluß des deutschen Bundestags vom 14. Juni 1866 teilgenommen, mit dem über<lb/>
den Antrag Bayerns beschlossen wurde, die vier Armeekorps der deutschen Mittel¬<lb/>
staaten auf den Kriegsfuß zu setzen. Dieser Antrag war jedoch seinem Wortlaut<lb/>
nach nicht gegen Preußen gerichtet und wurde damit begründet, daß Vorkehrungen<lb/>
zu treffen seien, daß etwaigen Störungen des Friedens entgegengetreten werden konnte.<lb/>
Den Anlaß zu diesem Beschluß boten die bekannten Vorgänge in Schleswig-Holstein,<lb/>
durch die General Gablenz gezwungen wurde, die eben erst gemeinsam mit Preußen<lb/>
befreiten Herzogtümer zu räumen. Eine Kriegserklärung ist bekanntlich überhaupt<lb/>
nicht erfolgt und konnte wohl seitens des Bundes auch nicht erfolgen. Das<lb/>
Licchtensteinsche Kontingent wurde thatsächlich weder gegen Preußen noch gegen<lb/>
dessen Bundesgenossen Italien, sondern zur Mithilfe bei der Abwehr der über die<lb/>
Grenzen Tirols eingedrungnen Garibnldischen Freischaren am Stilfser Joch aufgestellt.<lb/>
Schon vermöge der geographischen Einheit, in der das Fürstentum mit Tirol ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Maßgebliches und Unmaßgebliches Haben der Signore bemerkt das Fresko von Rafael? LsUissiwo oriZinalö! San Lucca, unser Patron, wie er die Madonna porträtiert — auch von Rafael. Wir haben alles hier: Titian, Giulio Romano, Rafael ... Er fuhr mit den Händen durch die Luft, jedesmal in der Richtung, wo die angedeuteten Werke hingen. Dies da ist zum Beispiel der Triumph der Galathea — und das dort — das sind die Fremden! Das letzte war im Augenblick ein Ausdruck seiner Betroffenheit. In diesen stillen Räumen schien es noch andre Überraschungen zu geben als solche künstlerischer Natur. Die Schar der blondhaariger Eroberer hatte sich an der Ausgangsthür zu¬ sammengerottet und schien mit Gewalt ausbrechen zu wollen. Sor Cesare erhob die Hände: Sousi, entschuldigen Sie — aber ich muß hin. Im Nu war er neben der Thür, öffnete das Schloß und warf die Flügel auseinander. Dieser Aufbruch schien keine Verzögerung zu leiden. Ein kurzes Drängen und Stampfen, ein dumpfes Echo von der Treppe her — und Sor Cesare stand allein neben der Thür und starrte auf seine leere Handfläche. Seinem Munde entrang sich ein langer Fluch: Nicht einmal ein Trinkgeld! Das sind die Barbaren! Als gleich darauf die Lokomotive an ihm vorbei ins Freie dampfte, traf ihn ein gutmütig lächelnder Blick aus den Augen des jungen Mannes, den sie im Geleise hinter sich führte, und in Sor Cescires Hand blieb ein Zweifrankenstück zurück. Der neue Römer zweifelte nicht, daß das neue Zeitalter doch bei weitem jenem heroischen vorzuziehn sei, aus dem die blonde Schar aufgetaucht sein mußte. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Aus dem kleinsten deutschen Lande. Es werden uns folgende unsern Artikel in Heft 33 berichtigende Mitteilungen zugesandt: Was den angeblich seit dem Jahre 1866 fortbestehenden Kriegszustand zwischen Preußen und dem Fürstentum betrifft, so hat Liechtenstein allerdings an dem Be¬ schluß des deutschen Bundestags vom 14. Juni 1866 teilgenommen, mit dem über den Antrag Bayerns beschlossen wurde, die vier Armeekorps der deutschen Mittel¬ staaten auf den Kriegsfuß zu setzen. Dieser Antrag war jedoch seinem Wortlaut nach nicht gegen Preußen gerichtet und wurde damit begründet, daß Vorkehrungen zu treffen seien, daß etwaigen Störungen des Friedens entgegengetreten werden konnte. Den Anlaß zu diesem Beschluß boten die bekannten Vorgänge in Schleswig-Holstein, durch die General Gablenz gezwungen wurde, die eben erst gemeinsam mit Preußen befreiten Herzogtümer zu räumen. Eine Kriegserklärung ist bekanntlich überhaupt nicht erfolgt und konnte wohl seitens des Bundes auch nicht erfolgen. Das Licchtensteinsche Kontingent wurde thatsächlich weder gegen Preußen noch gegen dessen Bundesgenossen Italien, sondern zur Mithilfe bei der Abwehr der über die Grenzen Tirols eingedrungnen Garibnldischen Freischaren am Stilfser Joch aufgestellt. Schon vermöge der geographischen Einheit, in der das Fürstentum mit Tirol ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/429>, abgerufen am 23.05.2024.