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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Auf klassischem Boden

als Vertreters Bayerns im Bundesrat am 22. November die Augen vollends
öffnen müssen. Wo die Spitzen in dem bei den Haaren herbeigezognen Kampf
hinzielen, ist ja mit Händen zu greifen. Wenn sich die Reichstagsparteien dadurch
in Respekt zu setzen glauben, daß sie das Ansehen des Kaisers beim Volk zu
schädigen suchen, so werden die Pfeile sie selbst treffen, mögen sie aus dem
Hinterhalt und aus Deckung schießen oder nach sozialdemokratischer Taktik.
Graf Bülow ist, so dürfen wir hoffen, der Mann, diesem Hauptnnfug das
fadenscheinige Mäntelchen loyaler Reichstreue von der Schulter zu nehmen und
damit den Kunstschützen das Handwerk, von dem sie, wie es scheint, parla¬
mentarisch allein noch leben zu können glauben -- des Kaisers Reden waren ja
vom 19. bis 23. November wieder ihr A und O --, gründlich zu legen. Es lohnt
nicht, weiter ernsthaft darauf einzugehn. Wer etwas politische Prognose hat,
muß in dieser Einseitigkeit der Lebensbethätigung den Krüfteverfall erkennen.

Es wird die schwerste aber auch die dankenswerteste Aufgabe des neuen
Kanzlers werden, den Reichstag vor der Mißachtung, in die er infolge des
ungesunden Parteilebens zu verfallen droht, zu bewahren. Das Deutsche Reich
braucht einen gesunden, in voller, verdienter Achtung stehenden Reichstag weit
mehr als ein Einheitsstaat, und niemand im Reich weiß das besser, empfindet
das mehr als der Kaiser. Aber auch das Volk und die große, erdrückende
Mehrheit der Reichstagsmitglieder wissen und empfinden es als unverrückbare
Überzeugung, daß wir ohne die monarchische Spitze, ohne den Kaiser aufhören
würden als Nation und als Reich zu leben. Sollen wir da an der Zukunft
verzweifeln? Sollte der neue Reichskanzler nicht alles daran setzen, das zu er¬
halten und auszubauen im Dienst seines kaiserlichen Herrn und zum Segen
des Vaterlands, was der erste Kanzler im Dienst des ersten Kaisers begründet
hat? Wir haben wieder einen Kanzler, und wir werden auch wieder einen
Reichstag haben, dem wir vertrauen, und auf den wir stolz sein können.


/S


Auf klassischem Boden
Beate Borns-Ieex Novelle von (Fortsetzung)

ich begab sich am Vormittag eines Frühlingstags gegen Ende Februar
in Rom.

Auf der Straße angekommen fanden Kurtchen und die Lokomotive
das blonde Geschlecht mit Heftigkeit bestrebt, von dem Mietwagen
der beiden Besitz zu nehmen. Das Italienisch des Kutschers drang
gegen die Übermacht der fünf germanischen Lungen nicht durch.

Aber so steige doch ein, Mama, wir bezahlen ja doch den Kerl . . . wurde eben


Auf klassischem Boden

als Vertreters Bayerns im Bundesrat am 22. November die Augen vollends
öffnen müssen. Wo die Spitzen in dem bei den Haaren herbeigezognen Kampf
hinzielen, ist ja mit Händen zu greifen. Wenn sich die Reichstagsparteien dadurch
in Respekt zu setzen glauben, daß sie das Ansehen des Kaisers beim Volk zu
schädigen suchen, so werden die Pfeile sie selbst treffen, mögen sie aus dem
Hinterhalt und aus Deckung schießen oder nach sozialdemokratischer Taktik.
Graf Bülow ist, so dürfen wir hoffen, der Mann, diesem Hauptnnfug das
fadenscheinige Mäntelchen loyaler Reichstreue von der Schulter zu nehmen und
damit den Kunstschützen das Handwerk, von dem sie, wie es scheint, parla¬
mentarisch allein noch leben zu können glauben — des Kaisers Reden waren ja
vom 19. bis 23. November wieder ihr A und O —, gründlich zu legen. Es lohnt
nicht, weiter ernsthaft darauf einzugehn. Wer etwas politische Prognose hat,
muß in dieser Einseitigkeit der Lebensbethätigung den Krüfteverfall erkennen.

Es wird die schwerste aber auch die dankenswerteste Aufgabe des neuen
Kanzlers werden, den Reichstag vor der Mißachtung, in die er infolge des
ungesunden Parteilebens zu verfallen droht, zu bewahren. Das Deutsche Reich
braucht einen gesunden, in voller, verdienter Achtung stehenden Reichstag weit
mehr als ein Einheitsstaat, und niemand im Reich weiß das besser, empfindet
das mehr als der Kaiser. Aber auch das Volk und die große, erdrückende
Mehrheit der Reichstagsmitglieder wissen und empfinden es als unverrückbare
Überzeugung, daß wir ohne die monarchische Spitze, ohne den Kaiser aufhören
würden als Nation und als Reich zu leben. Sollen wir da an der Zukunft
verzweifeln? Sollte der neue Reichskanzler nicht alles daran setzen, das zu er¬
halten und auszubauen im Dienst seines kaiserlichen Herrn und zum Segen
des Vaterlands, was der erste Kanzler im Dienst des ersten Kaisers begründet
hat? Wir haben wieder einen Kanzler, und wir werden auch wieder einen
Reichstag haben, dem wir vertrauen, und auf den wir stolz sein können.


/S


Auf klassischem Boden
Beate Borns-Ieex Novelle von (Fortsetzung)

ich begab sich am Vormittag eines Frühlingstags gegen Ende Februar
in Rom.

Auf der Straße angekommen fanden Kurtchen und die Lokomotive
das blonde Geschlecht mit Heftigkeit bestrebt, von dem Mietwagen
der beiden Besitz zu nehmen. Das Italienisch des Kutschers drang
gegen die Übermacht der fünf germanischen Lungen nicht durch.

Aber so steige doch ein, Mama, wir bezahlen ja doch den Kerl . . . wurde eben


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[0470] Auf klassischem Boden als Vertreters Bayerns im Bundesrat am 22. November die Augen vollends öffnen müssen. Wo die Spitzen in dem bei den Haaren herbeigezognen Kampf hinzielen, ist ja mit Händen zu greifen. Wenn sich die Reichstagsparteien dadurch in Respekt zu setzen glauben, daß sie das Ansehen des Kaisers beim Volk zu schädigen suchen, so werden die Pfeile sie selbst treffen, mögen sie aus dem Hinterhalt und aus Deckung schießen oder nach sozialdemokratischer Taktik. Graf Bülow ist, so dürfen wir hoffen, der Mann, diesem Hauptnnfug das fadenscheinige Mäntelchen loyaler Reichstreue von der Schulter zu nehmen und damit den Kunstschützen das Handwerk, von dem sie, wie es scheint, parla¬ mentarisch allein noch leben zu können glauben — des Kaisers Reden waren ja vom 19. bis 23. November wieder ihr A und O —, gründlich zu legen. Es lohnt nicht, weiter ernsthaft darauf einzugehn. Wer etwas politische Prognose hat, muß in dieser Einseitigkeit der Lebensbethätigung den Krüfteverfall erkennen. Es wird die schwerste aber auch die dankenswerteste Aufgabe des neuen Kanzlers werden, den Reichstag vor der Mißachtung, in die er infolge des ungesunden Parteilebens zu verfallen droht, zu bewahren. Das Deutsche Reich braucht einen gesunden, in voller, verdienter Achtung stehenden Reichstag weit mehr als ein Einheitsstaat, und niemand im Reich weiß das besser, empfindet das mehr als der Kaiser. Aber auch das Volk und die große, erdrückende Mehrheit der Reichstagsmitglieder wissen und empfinden es als unverrückbare Überzeugung, daß wir ohne die monarchische Spitze, ohne den Kaiser aufhören würden als Nation und als Reich zu leben. Sollen wir da an der Zukunft verzweifeln? Sollte der neue Reichskanzler nicht alles daran setzen, das zu er¬ halten und auszubauen im Dienst seines kaiserlichen Herrn und zum Segen des Vaterlands, was der erste Kanzler im Dienst des ersten Kaisers begründet hat? Wir haben wieder einen Kanzler, und wir werden auch wieder einen Reichstag haben, dem wir vertrauen, und auf den wir stolz sein können. /S Auf klassischem Boden Beate Borns-Ieex Novelle von (Fortsetzung) ich begab sich am Vormittag eines Frühlingstags gegen Ende Februar in Rom. Auf der Straße angekommen fanden Kurtchen und die Lokomotive das blonde Geschlecht mit Heftigkeit bestrebt, von dem Mietwagen der beiden Besitz zu nehmen. Das Italienisch des Kutschers drang gegen die Übermacht der fünf germanischen Lungen nicht durch. Aber so steige doch ein, Mama, wir bezahlen ja doch den Kerl . . . wurde eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/470>, abgerufen am 24.05.2024.