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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Aeue Weltgeschichten

Aus dieser emsigen Vorarbeit von vier Jahrzehnten erklärt es sich wohl
am leichtesten, daß Defregger, als er mit seinen Schilderungen aus dem häus¬
lichen Leben der Tiroler in den Kreis der deutschen Genremaler trat, trotz
des zunächst noch fremd anmutenden Kostüms und GeHabens seiner Figuren
gerade in Mittel- und Norvdeutschland zuerst verstanden wurde. Später ist
dann die Beliebtheit Defreggerscher Bilder mehr Mode- als Herzenssache ge¬
worden. Jeder Berliner Börsenjobber, der jährlich nach Tirol ging, wollte
auch einen echten Defregger haben, und es ist uicht zu leugnen, daß der Künstler
sich eine Zeit lang von der Mode, die er gemacht hatte, lässig tragen ließ. Wenn
kein figurenreiches Genrebild von ihm zu haben war, begnügten sich die Lieb¬
haber auch mit Studienköpfen, und bei ihrer Produktion hat Defregger dem
Drängen der Kunsthändler vielleicht mehr nachgegeben, als seinem künstlerischen
Rufe zuträglich war.

Wenn wir dies beiläufig berühren, geschieht es nicht in der Absicht, unserm
Bilde des Künstlers auch einige Schattenstriche beizufügen, sondern nur zur
Abwehr gegen die gewerbsmäßigen Verkleinerer, die an einem Künstler uur
die angrisfsfähigen Stellen sehen. Wenn wir Defreggers künstlerische Schwächen
oder Nachgiebigkeiten nicht verschweigen, wird das Gesamtbild seiner Kunst
dadurch nur reiner, aber nicht schwächer vor die Augen unsrer Leser treten.




Neue Weltgeschichten

>eltgeschichte. Unter Mitarbeit von Fachmännern herausgegeben
von Hans F. Helmvlt. Dritter Band, erste Hülste: Westasien,
Afrika. Vierter Band: Die Nandländer des Mittelmeers. Leipzig
und Wien, Bibliographisches Institut, 1899, 1900. 388 S. und
Ix und 574 S.

"Amucißlich find ich, daß zur schlechten Frist man etwas sein will, wo
man nichts mehr ist," so sagt der Baccalaureus im zweiten Teile von Goethes
Faust zu Mephistopheles, den er für den gealterten Faust hält und im Voll¬
gefühl seiner Jugendkraft für einen abgelebten Greis erklärt. Diese Verse sind
mir leider immer wieder eingefallen, wenn ich sah, wie diese neue Weltgeschichte
die "alte" Methode als veraltet und überwunden von oben her abfertigte und
ihre eigne Methode selbst nicht etwa als eine mögliche und als einen kühnen
Versuch, sondern als die einzig mögliche und allein berechtigte Methode hin¬
stellte. Meinen prinzipiell ablehnenden Standpunkt habe ich in einem Auf¬
satze Ur. 32 der Grenzboten von 1899, als dessen vermuteten Verfasser ich
mich hiermit feierlich bekenne, begründet. Ich betonte, daß es ein logischer


Aeue Weltgeschichten

Aus dieser emsigen Vorarbeit von vier Jahrzehnten erklärt es sich wohl
am leichtesten, daß Defregger, als er mit seinen Schilderungen aus dem häus¬
lichen Leben der Tiroler in den Kreis der deutschen Genremaler trat, trotz
des zunächst noch fremd anmutenden Kostüms und GeHabens seiner Figuren
gerade in Mittel- und Norvdeutschland zuerst verstanden wurde. Später ist
dann die Beliebtheit Defreggerscher Bilder mehr Mode- als Herzenssache ge¬
worden. Jeder Berliner Börsenjobber, der jährlich nach Tirol ging, wollte
auch einen echten Defregger haben, und es ist uicht zu leugnen, daß der Künstler
sich eine Zeit lang von der Mode, die er gemacht hatte, lässig tragen ließ. Wenn
kein figurenreiches Genrebild von ihm zu haben war, begnügten sich die Lieb¬
haber auch mit Studienköpfen, und bei ihrer Produktion hat Defregger dem
Drängen der Kunsthändler vielleicht mehr nachgegeben, als seinem künstlerischen
Rufe zuträglich war.

Wenn wir dies beiläufig berühren, geschieht es nicht in der Absicht, unserm
Bilde des Künstlers auch einige Schattenstriche beizufügen, sondern nur zur
Abwehr gegen die gewerbsmäßigen Verkleinerer, die an einem Künstler uur
die angrisfsfähigen Stellen sehen. Wenn wir Defreggers künstlerische Schwächen
oder Nachgiebigkeiten nicht verschweigen, wird das Gesamtbild seiner Kunst
dadurch nur reiner, aber nicht schwächer vor die Augen unsrer Leser treten.




Neue Weltgeschichten

>eltgeschichte. Unter Mitarbeit von Fachmännern herausgegeben
von Hans F. Helmvlt. Dritter Band, erste Hülste: Westasien,
Afrika. Vierter Band: Die Nandländer des Mittelmeers. Leipzig
und Wien, Bibliographisches Institut, 1899, 1900. 388 S. und
Ix und 574 S.

„Amucißlich find ich, daß zur schlechten Frist man etwas sein will, wo
man nichts mehr ist," so sagt der Baccalaureus im zweiten Teile von Goethes
Faust zu Mephistopheles, den er für den gealterten Faust hält und im Voll¬
gefühl seiner Jugendkraft für einen abgelebten Greis erklärt. Diese Verse sind
mir leider immer wieder eingefallen, wenn ich sah, wie diese neue Weltgeschichte
die „alte" Methode als veraltet und überwunden von oben her abfertigte und
ihre eigne Methode selbst nicht etwa als eine mögliche und als einen kühnen
Versuch, sondern als die einzig mögliche und allein berechtigte Methode hin¬
stellte. Meinen prinzipiell ablehnenden Standpunkt habe ich in einem Auf¬
satze Ur. 32 der Grenzboten von 1899, als dessen vermuteten Verfasser ich
mich hiermit feierlich bekenne, begründet. Ich betonte, daß es ein logischer


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[0516] Aeue Weltgeschichten Aus dieser emsigen Vorarbeit von vier Jahrzehnten erklärt es sich wohl am leichtesten, daß Defregger, als er mit seinen Schilderungen aus dem häus¬ lichen Leben der Tiroler in den Kreis der deutschen Genremaler trat, trotz des zunächst noch fremd anmutenden Kostüms und GeHabens seiner Figuren gerade in Mittel- und Norvdeutschland zuerst verstanden wurde. Später ist dann die Beliebtheit Defreggerscher Bilder mehr Mode- als Herzenssache ge¬ worden. Jeder Berliner Börsenjobber, der jährlich nach Tirol ging, wollte auch einen echten Defregger haben, und es ist uicht zu leugnen, daß der Künstler sich eine Zeit lang von der Mode, die er gemacht hatte, lässig tragen ließ. Wenn kein figurenreiches Genrebild von ihm zu haben war, begnügten sich die Lieb¬ haber auch mit Studienköpfen, und bei ihrer Produktion hat Defregger dem Drängen der Kunsthändler vielleicht mehr nachgegeben, als seinem künstlerischen Rufe zuträglich war. Wenn wir dies beiläufig berühren, geschieht es nicht in der Absicht, unserm Bilde des Künstlers auch einige Schattenstriche beizufügen, sondern nur zur Abwehr gegen die gewerbsmäßigen Verkleinerer, die an einem Künstler uur die angrisfsfähigen Stellen sehen. Wenn wir Defreggers künstlerische Schwächen oder Nachgiebigkeiten nicht verschweigen, wird das Gesamtbild seiner Kunst dadurch nur reiner, aber nicht schwächer vor die Augen unsrer Leser treten. Neue Weltgeschichten >eltgeschichte. Unter Mitarbeit von Fachmännern herausgegeben von Hans F. Helmvlt. Dritter Band, erste Hülste: Westasien, Afrika. Vierter Band: Die Nandländer des Mittelmeers. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut, 1899, 1900. 388 S. und Ix und 574 S. „Amucißlich find ich, daß zur schlechten Frist man etwas sein will, wo man nichts mehr ist," so sagt der Baccalaureus im zweiten Teile von Goethes Faust zu Mephistopheles, den er für den gealterten Faust hält und im Voll¬ gefühl seiner Jugendkraft für einen abgelebten Greis erklärt. Diese Verse sind mir leider immer wieder eingefallen, wenn ich sah, wie diese neue Weltgeschichte die „alte" Methode als veraltet und überwunden von oben her abfertigte und ihre eigne Methode selbst nicht etwa als eine mögliche und als einen kühnen Versuch, sondern als die einzig mögliche und allein berechtigte Methode hin¬ stellte. Meinen prinzipiell ablehnenden Standpunkt habe ich in einem Auf¬ satze Ur. 32 der Grenzboten von 1899, als dessen vermuteten Verfasser ich mich hiermit feierlich bekenne, begründet. Ich betonte, daß es ein logischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/516>, abgerufen am 24.05.2024.