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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Dreimal gefunden

Handbücher behandeln die selbständigen Werke über Blüten fast nur noch die
Anpassung, besonders an die blütenbesuchenden Insekten und Vögel. Der Gute
hatte offenbar geglaubt, über dieses große Problem hinaus, das in Wirklichkeit
höchst nebeusüchlich ist, brauche niemand zu schauen, der sich um Blüten kümmere.

Ich aber danke der Königin der Nacht, daß sie mir einen Dämmer¬
strahl darüber hinausgeworfen hat. Zwar sollte von Rechts wegen jede Gras¬
blüte und jedes Mvosbecherchen denselben tiefen Eindruck machen, aber es ist
doch wirksamer, wenn uns in dem großen Märchenbuch der Schöpfung ein so
glänzendes Blatt gezeigt wird. War es doch die schönste der Blumen, die
dein Sernphinischen Wandersmann einen der größten Gedanken eingab, die
je in zwei Zeilen ausgesprochen worden sind:




Dreimal gefunden
Magdale ne Thoresen^) Novelle von

le Junisonne stand hoch am Himmel, als die Passagiere des Dampf¬
schiffs, das nach den nördlich von Dovrefjeld liegenden Gegenden
bestimmt war, einer nach dem andern den Kopf ans der Kajüten¬
thür streckten, um Wetter und Wind zu erforschen. Sie schauerten
alle zusammen, denn es war bitter kalt, und wenn das den schönsten
Monat des Sommers vorstellen sollte, fühlte man sich versucht, sich
für den Rest schönstens zu bedanken.

Aber bei den Passagieren der ersten Klasse hielt dieses Gefühl nicht lange um,
denn schöne und erwärmte Räume winkten ihnen verlockend und hielten auch, was
sie versprachen. Mit den Deckpassagieren verhielt es sich anders, und davon gab es
eine große Anzahl, Männer und Frauen, sogar Mütter mit ihren kleinen Kindern,
die die Nacht unter freiem Himmel zugebracht hatten. Aber da war nichts zu
machen -- jeder hatte so viel Bequemlichkeit, wie er zu bezahlen imstande war.

Unter diesen Deckpassagieren waren die am besten daran, die sich um den
Dampfschlot zusammengedrängt hatten, obgleich es dabei freilich vorkam, daß, wenn
die Hitze auf der einen Seite fast zu groß war, die Kälte auf der andern darum
um so empfindlicher biß -- aber dann konnte man sich ja umwenden.

An den untern Teil des Dampfrohrs gelehnt hatten sich zwei Mädchen nieder¬
gekauert. Kopf und Gesicht hatten sie in große wollne Tücher gehüllt, und es
schien, als ob sie den Schlaf des Gerechten schliefen, denn obgleich die Leute be¬
ständig an ihnen vorübergingen, und ein junger Bursche, der sich an die Kajüte
des Postiuspektors lehnte und sie beobachtete, bald auf das Verdeck stampfte, bald
eine Melodie pfiff, um sich der Kälte zu erwehren, so ließen sie sich dadurch nicht
im geringsten stören.



Aus dem nächstens im Verlage von Fr. Wilh. Grunom erscheinenden Bande "An
einsamen Küsten." Übersetzt aus dem Norwegischen von Pauline Klaibcr.
Dreimal gefunden

Handbücher behandeln die selbständigen Werke über Blüten fast nur noch die
Anpassung, besonders an die blütenbesuchenden Insekten und Vögel. Der Gute
hatte offenbar geglaubt, über dieses große Problem hinaus, das in Wirklichkeit
höchst nebeusüchlich ist, brauche niemand zu schauen, der sich um Blüten kümmere.

Ich aber danke der Königin der Nacht, daß sie mir einen Dämmer¬
strahl darüber hinausgeworfen hat. Zwar sollte von Rechts wegen jede Gras¬
blüte und jedes Mvosbecherchen denselben tiefen Eindruck machen, aber es ist
doch wirksamer, wenn uns in dem großen Märchenbuch der Schöpfung ein so
glänzendes Blatt gezeigt wird. War es doch die schönste der Blumen, die
dein Sernphinischen Wandersmann einen der größten Gedanken eingab, die
je in zwei Zeilen ausgesprochen worden sind:




Dreimal gefunden
Magdale ne Thoresen^) Novelle von

le Junisonne stand hoch am Himmel, als die Passagiere des Dampf¬
schiffs, das nach den nördlich von Dovrefjeld liegenden Gegenden
bestimmt war, einer nach dem andern den Kopf ans der Kajüten¬
thür streckten, um Wetter und Wind zu erforschen. Sie schauerten
alle zusammen, denn es war bitter kalt, und wenn das den schönsten
Monat des Sommers vorstellen sollte, fühlte man sich versucht, sich
für den Rest schönstens zu bedanken.

Aber bei den Passagieren der ersten Klasse hielt dieses Gefühl nicht lange um,
denn schöne und erwärmte Räume winkten ihnen verlockend und hielten auch, was
sie versprachen. Mit den Deckpassagieren verhielt es sich anders, und davon gab es
eine große Anzahl, Männer und Frauen, sogar Mütter mit ihren kleinen Kindern,
die die Nacht unter freiem Himmel zugebracht hatten. Aber da war nichts zu
machen — jeder hatte so viel Bequemlichkeit, wie er zu bezahlen imstande war.

Unter diesen Deckpassagieren waren die am besten daran, die sich um den
Dampfschlot zusammengedrängt hatten, obgleich es dabei freilich vorkam, daß, wenn
die Hitze auf der einen Seite fast zu groß war, die Kälte auf der andern darum
um so empfindlicher biß — aber dann konnte man sich ja umwenden.

An den untern Teil des Dampfrohrs gelehnt hatten sich zwei Mädchen nieder¬
gekauert. Kopf und Gesicht hatten sie in große wollne Tücher gehüllt, und es
schien, als ob sie den Schlaf des Gerechten schliefen, denn obgleich die Leute be¬
ständig an ihnen vorübergingen, und ein junger Bursche, der sich an die Kajüte
des Postiuspektors lehnte und sie beobachtete, bald auf das Verdeck stampfte, bald
eine Melodie pfiff, um sich der Kälte zu erwehren, so ließen sie sich dadurch nicht
im geringsten stören.



Aus dem nächstens im Verlage von Fr. Wilh. Grunom erscheinenden Bande „An
einsamen Küsten." Übersetzt aus dem Norwegischen von Pauline Klaibcr.
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[0052] Dreimal gefunden Handbücher behandeln die selbständigen Werke über Blüten fast nur noch die Anpassung, besonders an die blütenbesuchenden Insekten und Vögel. Der Gute hatte offenbar geglaubt, über dieses große Problem hinaus, das in Wirklichkeit höchst nebeusüchlich ist, brauche niemand zu schauen, der sich um Blüten kümmere. Ich aber danke der Königin der Nacht, daß sie mir einen Dämmer¬ strahl darüber hinausgeworfen hat. Zwar sollte von Rechts wegen jede Gras¬ blüte und jedes Mvosbecherchen denselben tiefen Eindruck machen, aber es ist doch wirksamer, wenn uns in dem großen Märchenbuch der Schöpfung ein so glänzendes Blatt gezeigt wird. War es doch die schönste der Blumen, die dein Sernphinischen Wandersmann einen der größten Gedanken eingab, die je in zwei Zeilen ausgesprochen worden sind: Dreimal gefunden Magdale ne Thoresen^) Novelle von le Junisonne stand hoch am Himmel, als die Passagiere des Dampf¬ schiffs, das nach den nördlich von Dovrefjeld liegenden Gegenden bestimmt war, einer nach dem andern den Kopf ans der Kajüten¬ thür streckten, um Wetter und Wind zu erforschen. Sie schauerten alle zusammen, denn es war bitter kalt, und wenn das den schönsten Monat des Sommers vorstellen sollte, fühlte man sich versucht, sich für den Rest schönstens zu bedanken. Aber bei den Passagieren der ersten Klasse hielt dieses Gefühl nicht lange um, denn schöne und erwärmte Räume winkten ihnen verlockend und hielten auch, was sie versprachen. Mit den Deckpassagieren verhielt es sich anders, und davon gab es eine große Anzahl, Männer und Frauen, sogar Mütter mit ihren kleinen Kindern, die die Nacht unter freiem Himmel zugebracht hatten. Aber da war nichts zu machen — jeder hatte so viel Bequemlichkeit, wie er zu bezahlen imstande war. Unter diesen Deckpassagieren waren die am besten daran, die sich um den Dampfschlot zusammengedrängt hatten, obgleich es dabei freilich vorkam, daß, wenn die Hitze auf der einen Seite fast zu groß war, die Kälte auf der andern darum um so empfindlicher biß — aber dann konnte man sich ja umwenden. An den untern Teil des Dampfrohrs gelehnt hatten sich zwei Mädchen nieder¬ gekauert. Kopf und Gesicht hatten sie in große wollne Tücher gehüllt, und es schien, als ob sie den Schlaf des Gerechten schliefen, denn obgleich die Leute be¬ ständig an ihnen vorübergingen, und ein junger Bursche, der sich an die Kajüte des Postiuspektors lehnte und sie beobachtete, bald auf das Verdeck stampfte, bald eine Melodie pfiff, um sich der Kälte zu erwehren, so ließen sie sich dadurch nicht im geringsten stören. Aus dem nächstens im Verlage von Fr. Wilh. Grunom erscheinenden Bande „An einsamen Küsten." Übersetzt aus dem Norwegischen von Pauline Klaibcr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/52>, abgerufen am 24.05.2024.