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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Fürsorge für die Arbeiterjugend

wegfallen zu lassen und auch den Eintritt in die Verwaltung lediglich vom
Gerichtsassessorexamen abhängig zu macheu, sodaß also der gesamte Vor¬
bereitungsdienst für Juristen und Verwaltungsbeamte derselbe sein würde.
Diese Einrichtung, die sich in verschiednen deutschen Staaten schon lange be¬
währt hat, würden wir mit Freuden begrüßen. Der jetzige Minister des
Innern, sein Nnterstaatssekretär und sein Persoualrefereut sind alle drei aus
der Justiz hervorgegangen und haben die Vorzüge der juristischen Ausbildung
an sich erfahren. Dies legt die Vermutung nahe, daß die erwähnte Strömung
an maßgebender Stelle Berücksichtigung sinden könnte.

Die Beschäftigung des Regieruugsreferendars mag vielgestaltiger sein als
die des Gerichtsrefereudnrs, aber seine Ausbildung ist oberflächlicher. Nach
unsrer Überzeugung verfügt der eben aus dem Examen gekommne Gerichts¬
assessor über ein geschulteres Denken und ein in sich abgeschlosseneres Wissen
als der Regierungsassessor unter gleichen Verhältnisse". Mau hat auch in der
Nerwaltuug oft genug die Probe hierauf gemacht. Wir erinnern an die Zeit
in den siebziger Jahren, in der gar keine Regierungsassessoren mehr vorhanden
waren. Damals mußten Kreisrichter und Gerichtsassessoren in größerer Zahl
zu den Regierungen übernommen werden, und gerade diese sind zu einem sehr
hohen Prozentsatz in höhere Verwaltungsstellen gelangt. An diese Erfahrung
sollte man denken und das Regieruugsassessorexameu ruhig abschaffen. Ent¬
schlösse man sich endlich, Licht und Schatte" wirklich gleichmüßig zu verleiten,
so würden sich dem Minister des Innern zum Übertritt in die Verwaltung
zweifellos auch die tüchtigsten Gerichtsassessoren in so reicher Zahl zur Ver¬
fügung stellen, daß er darunter bei Berücksichtigung aller Anforderungen, die
an einen jungen Verwaltungsbeamten gestellt werdeu können, eine genügende
Auswahl treffe" könnte. Der Verwaltung würde dies jedenfalls zum Segen
gereichen, dem "Regierungsreferendar" aber würde niemand eine Thräne nach¬
weinen !




Die Fürsorge für die Arbeiterjugend
(Schluß)

!le zünftigen Ethiker von heute erkennen in einem gewissen Grade
wohl an, daß der üble Stand der Dinge, den wir als schwere
Gefahr empfinden und bekämpfen Wollen, mit herbeigeführt
worden ist durch eine Korruption der sittlichen Anschauungen
kund des Verhaltens der Einzelnen, die sich unabhängig von
den äußern Verhältnissen, wie sie Dr. Voigt so treffend geschildert hat, voll¬
zogen hat. Paulsen zitiert in seinem System der Ethik (1894) folgende
Sätze eines zeitgenössischen Soziologen: "Die ganze Generation, welcher ich


Die Fürsorge für die Arbeiterjugend

wegfallen zu lassen und auch den Eintritt in die Verwaltung lediglich vom
Gerichtsassessorexamen abhängig zu macheu, sodaß also der gesamte Vor¬
bereitungsdienst für Juristen und Verwaltungsbeamte derselbe sein würde.
Diese Einrichtung, die sich in verschiednen deutschen Staaten schon lange be¬
währt hat, würden wir mit Freuden begrüßen. Der jetzige Minister des
Innern, sein Nnterstaatssekretär und sein Persoualrefereut sind alle drei aus
der Justiz hervorgegangen und haben die Vorzüge der juristischen Ausbildung
an sich erfahren. Dies legt die Vermutung nahe, daß die erwähnte Strömung
an maßgebender Stelle Berücksichtigung sinden könnte.

Die Beschäftigung des Regieruugsreferendars mag vielgestaltiger sein als
die des Gerichtsrefereudnrs, aber seine Ausbildung ist oberflächlicher. Nach
unsrer Überzeugung verfügt der eben aus dem Examen gekommne Gerichts¬
assessor über ein geschulteres Denken und ein in sich abgeschlosseneres Wissen
als der Regierungsassessor unter gleichen Verhältnisse«. Mau hat auch in der
Nerwaltuug oft genug die Probe hierauf gemacht. Wir erinnern an die Zeit
in den siebziger Jahren, in der gar keine Regierungsassessoren mehr vorhanden
waren. Damals mußten Kreisrichter und Gerichtsassessoren in größerer Zahl
zu den Regierungen übernommen werden, und gerade diese sind zu einem sehr
hohen Prozentsatz in höhere Verwaltungsstellen gelangt. An diese Erfahrung
sollte man denken und das Regieruugsassessorexameu ruhig abschaffen. Ent¬
schlösse man sich endlich, Licht und Schatte» wirklich gleichmüßig zu verleiten,
so würden sich dem Minister des Innern zum Übertritt in die Verwaltung
zweifellos auch die tüchtigsten Gerichtsassessoren in so reicher Zahl zur Ver¬
fügung stellen, daß er darunter bei Berücksichtigung aller Anforderungen, die
an einen jungen Verwaltungsbeamten gestellt werdeu können, eine genügende
Auswahl treffe» könnte. Der Verwaltung würde dies jedenfalls zum Segen
gereichen, dem „Regierungsreferendar" aber würde niemand eine Thräne nach¬
weinen !




Die Fürsorge für die Arbeiterjugend
(Schluß)

!le zünftigen Ethiker von heute erkennen in einem gewissen Grade
wohl an, daß der üble Stand der Dinge, den wir als schwere
Gefahr empfinden und bekämpfen Wollen, mit herbeigeführt
worden ist durch eine Korruption der sittlichen Anschauungen
kund des Verhaltens der Einzelnen, die sich unabhängig von
den äußern Verhältnissen, wie sie Dr. Voigt so treffend geschildert hat, voll¬
zogen hat. Paulsen zitiert in seinem System der Ethik (1894) folgende
Sätze eines zeitgenössischen Soziologen: „Die ganze Generation, welcher ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/606>, abgerufen am 23.05.2024.