Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.Der Zeugeneid die Gefahr hin, von Hohlköpfen als unmodern über die Achsel angesehen zu werdem Der Zeugeneid urch den Klewischen Aufsatz in der Nummer 46, der dieselbe Der angezogne Aufsatz behandelt nur eine Seite der Frage, die Art, wie Der Zeugeneid die Gefahr hin, von Hohlköpfen als unmodern über die Achsel angesehen zu werdem Der Zeugeneid urch den Klewischen Aufsatz in der Nummer 46, der dieselbe Der angezogne Aufsatz behandelt nur eine Seite der Frage, die Art, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291689"/> <fw type="header" place="top"> Der Zeugeneid</fw><lb/> <p xml:id="ID_2268" prev="#ID_2267"> die Gefahr hin, von Hohlköpfen als unmodern über die Achsel angesehen zu werdem<lb/> Sie sollen, jeder in seinem privaten Kreis, ein Beispiel dafür zu geben suchen,<lb/> daß es mit der christlichen Nächstenliebe zwischen den Einzelnen noch lange nicht<lb/> aus und vorbei ist, und daß der „Appell a» ethische Momente" und das<lb/> Streben nach „Belebung der moralischen Kräfte des Menschen," wovon man,<lb/> wie 7)r. Voigt sagt, heute nichts mehr wissen will, nach wie vor ihre alte,<lb/> volle Berechtigung haben. Sie sollen dem greulichen Aberglauben von der<lb/> unabänderlichen Korruption des persönlichen sittlichen Pflichtbewußtseins der<lb/> Einzelnen überall entgegentreten als der ärgsten Schmach für die moderne<lb/> Kultur und dem Todfeind sozialen Fortschritts. Sie sollen die Politik ethi-<lb/> sieren, aber die Ethik und das Christentum nicht verstaatlichen lassen, sie sollen<lb/> dem Gesetz, dem Richter, der Polizei geben, was ihnen zusteht, aber endlich<lb/><note type="byline"> /?</note> auch Gott wieder geben, was Gottes ist. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Zeugeneid</head><lb/> <p xml:id="ID_2269"> urch den Klewischen Aufsatz in der Nummer 46, der dieselbe<lb/> Überschrift führt, ist in den Grenzboten die Frage des Zeugen¬<lb/> eides wieder zur Sprache gekommen. Sie ist so wichtig, daß<lb/> Iste weitere Erörterung verdient, man darf sie ohne Emphase<lb/> ! als eine kriminalpolitische Frage ersten Ranges bezeichnen. So<lb/> ist es denn kein Schade, wenn dabei treffende Erwägungen und Anregungen,<lb/> wie sie z. B. Carl Jentsch geliefert hat, wiederholt werden: für die intellek-<lb/> tuelle Wirkung mag es genügen, wenn das Nichtige einmal gut gesagt worden<lb/> ist, die politische Wirkung setzt Befruchtung des Willens vieler voraus, und<lb/> die läßt sich ohne immer erneute Bearbeitung nicht erreichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2270" next="#ID_2271"> Der angezogne Aufsatz behandelt nur eine Seite der Frage, die Art, wie<lb/> den Zeugen der Eid abgenommen und dadurch in vielen Fällen herabgewürdigt<lb/> wird. Was der Verfasser sagt und vorschlägt, scheint mir durchaus richtig<lb/> und praktisch zu sein, er Hütte jedoch noch eins hinzufügen können. Der Eid<lb/> ist so gefaßt: „Ich schwöre . . . daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts ver¬<lb/> schweigen und nichts hinzusetzen werde ..." Ich bin auf dem Lande Richter<lb/> gewesen, und da ist es mir in mehr als der Hälfte aller Fälle passiert, daß<lb/> die Leute „daß ich" nachsprachen, aber bei „sagen" angekommen ein „zu" ein¬<lb/> schalteten. Die Jnfinitivkonstruktion scheint ihnen mundgerechter zu sein, und<lb/> man darf darin einen Wink an den Gesetzgeber erkennen, der gerade hier eine<lb/> volksmäßige Fassung wählen sollte. Und noch ein Weiteres darf ich aus<lb/> meiner Erfahrung erwähnen. Um die Verwarnung vor dem „Falscheide"<lb/> möglichst wirksam zu machen, pflegte ich bei Beginn der Sitzung die geladner<lb/> Zeugen sämtlich, wenn auch ohne Einzelaufrus, vortreten zu lassen und an sie<lb/> eine Ansprache über die Bedeutung des Eides zu halten. Ich habe dabei alles</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0612]
Der Zeugeneid
die Gefahr hin, von Hohlköpfen als unmodern über die Achsel angesehen zu werdem
Sie sollen, jeder in seinem privaten Kreis, ein Beispiel dafür zu geben suchen,
daß es mit der christlichen Nächstenliebe zwischen den Einzelnen noch lange nicht
aus und vorbei ist, und daß der „Appell a» ethische Momente" und das
Streben nach „Belebung der moralischen Kräfte des Menschen," wovon man,
wie 7)r. Voigt sagt, heute nichts mehr wissen will, nach wie vor ihre alte,
volle Berechtigung haben. Sie sollen dem greulichen Aberglauben von der
unabänderlichen Korruption des persönlichen sittlichen Pflichtbewußtseins der
Einzelnen überall entgegentreten als der ärgsten Schmach für die moderne
Kultur und dem Todfeind sozialen Fortschritts. Sie sollen die Politik ethi-
sieren, aber die Ethik und das Christentum nicht verstaatlichen lassen, sie sollen
dem Gesetz, dem Richter, der Polizei geben, was ihnen zusteht, aber endlich
/? auch Gott wieder geben, was Gottes ist.
Der Zeugeneid
urch den Klewischen Aufsatz in der Nummer 46, der dieselbe
Überschrift führt, ist in den Grenzboten die Frage des Zeugen¬
eides wieder zur Sprache gekommen. Sie ist so wichtig, daß
Iste weitere Erörterung verdient, man darf sie ohne Emphase
! als eine kriminalpolitische Frage ersten Ranges bezeichnen. So
ist es denn kein Schade, wenn dabei treffende Erwägungen und Anregungen,
wie sie z. B. Carl Jentsch geliefert hat, wiederholt werden: für die intellek-
tuelle Wirkung mag es genügen, wenn das Nichtige einmal gut gesagt worden
ist, die politische Wirkung setzt Befruchtung des Willens vieler voraus, und
die läßt sich ohne immer erneute Bearbeitung nicht erreichen.
Der angezogne Aufsatz behandelt nur eine Seite der Frage, die Art, wie
den Zeugen der Eid abgenommen und dadurch in vielen Fällen herabgewürdigt
wird. Was der Verfasser sagt und vorschlägt, scheint mir durchaus richtig
und praktisch zu sein, er Hütte jedoch noch eins hinzufügen können. Der Eid
ist so gefaßt: „Ich schwöre . . . daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts ver¬
schweigen und nichts hinzusetzen werde ..." Ich bin auf dem Lande Richter
gewesen, und da ist es mir in mehr als der Hälfte aller Fälle passiert, daß
die Leute „daß ich" nachsprachen, aber bei „sagen" angekommen ein „zu" ein¬
schalteten. Die Jnfinitivkonstruktion scheint ihnen mundgerechter zu sein, und
man darf darin einen Wink an den Gesetzgeber erkennen, der gerade hier eine
volksmäßige Fassung wählen sollte. Und noch ein Weiteres darf ich aus
meiner Erfahrung erwähnen. Um die Verwarnung vor dem „Falscheide"
möglichst wirksam zu machen, pflegte ich bei Beginn der Sitzung die geladner
Zeugen sämtlich, wenn auch ohne Einzelaufrus, vortreten zu lassen und an sie
eine Ansprache über die Bedeutung des Eides zu halten. Ich habe dabei alles
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