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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

würden lieber ein Oberhaupt haben wollen, von dein sie vorher gewöhnt
waren, es über sich zu sehen, als daß sie einen ihm an Macht gleichstehenden
oder gar untergeordneten Fürsten wählten. Der König in Preußen habe
zwar in Kurbayern einen gefährlichen Konkurrenten, Kurbayern werde aber
allein Anschein nach dnrch den spanischen Erbfolgekrieg sehr gedemütigt werden,
und es sei die Frage, ob es sich den österreichischen Erbländer mehr als andre
benachbarte gewachsen zeigte. Bartholdi schließt diesen Ausblick in die Zukunft
mit den Worten: "Das Haus Brandenburg ist das einzige von denen teutschen
annoch übrigen Häusern, welches mit Abschwörung des evangelischen Glaubens
sich nie beschmutzet, dessen die Häuser Sachsen, Pfalz, Braunschweig, Hessen,
Mecklenburg sich nicht rühmen können. Der Allerhöchste erhalte es bis ans
Ende bey der reinen Lehre und segne es reichlich an geistigen und irdischen
Gütern." So wie Bartholdi es sich gedacht hat, ist seine Ahnung freilich
nicht in Erfüllung gegangen. Die durch das Aussterben des österreichisch-
habsburgischen Hauses im Mannesstamm erledigte, damals schon völlig ohn¬
mächtige Kaiserkrone des römischen Reichs deutscher Nation hat das Haus
Hohenzollern nicht erlangt, anch wohl kaum begehrt. Aber schöner und herr¬
licher, als Bartholdi es ahnen konnte, ist sein Ausblick in die Zukunft des
Hauses Hohenzollern verwirklicht worden, als wieder an einem 18. Januar
im Spiegelsaale zu Versailles König Wilhelm der Große die Wiederherstellung
des Deutschen Reichs und die Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der
Krone Preußen verkündete.




Reformgedanken und Resormansätze im heutigenItalien
Veto Raemmel von(Schluß)

lesen traurigen Zustünden gegenüber stehn Sozialpolitik und
Sozialgesetzgebung noch in den ersten Anfängen. Nicht daß
es an sozialer Fürsorge ganz fehlte, im Gegenteil. Aber sie
bewegt sich meist noch in ältern Formen, oder sie wirkt mehr
indirekt und ist im wesentlichen noch Sache der Privatthätig¬
keit, namentlich auch genossenschaftlicher Organisationen, nicht des Staats.
Von erstaunlichem und höchst rühmenswertem Umfange sind zunächst die
"frommen Stiftungen" (oxsrs xiö), besonders für Armen-, Kranken- und Waisen¬
pflege, ein glänzendes Zeugnis für den Wohlthätigkeitssinn der Italiener vom
Mittelalter bis in die neuste Zeit. Durch Gesetz vom 17. Juni 1890 sind sie in
einheitlicher Weise geregelt. Ihre Zahl beträgt jetzt über 22000, das Gesäme-


Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien

würden lieber ein Oberhaupt haben wollen, von dein sie vorher gewöhnt
waren, es über sich zu sehen, als daß sie einen ihm an Macht gleichstehenden
oder gar untergeordneten Fürsten wählten. Der König in Preußen habe
zwar in Kurbayern einen gefährlichen Konkurrenten, Kurbayern werde aber
allein Anschein nach dnrch den spanischen Erbfolgekrieg sehr gedemütigt werden,
und es sei die Frage, ob es sich den österreichischen Erbländer mehr als andre
benachbarte gewachsen zeigte. Bartholdi schließt diesen Ausblick in die Zukunft
mit den Worten: „Das Haus Brandenburg ist das einzige von denen teutschen
annoch übrigen Häusern, welches mit Abschwörung des evangelischen Glaubens
sich nie beschmutzet, dessen die Häuser Sachsen, Pfalz, Braunschweig, Hessen,
Mecklenburg sich nicht rühmen können. Der Allerhöchste erhalte es bis ans
Ende bey der reinen Lehre und segne es reichlich an geistigen und irdischen
Gütern." So wie Bartholdi es sich gedacht hat, ist seine Ahnung freilich
nicht in Erfüllung gegangen. Die durch das Aussterben des österreichisch-
habsburgischen Hauses im Mannesstamm erledigte, damals schon völlig ohn¬
mächtige Kaiserkrone des römischen Reichs deutscher Nation hat das Haus
Hohenzollern nicht erlangt, anch wohl kaum begehrt. Aber schöner und herr¬
licher, als Bartholdi es ahnen konnte, ist sein Ausblick in die Zukunft des
Hauses Hohenzollern verwirklicht worden, als wieder an einem 18. Januar
im Spiegelsaale zu Versailles König Wilhelm der Große die Wiederherstellung
des Deutschen Reichs und die Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der
Krone Preußen verkündete.




Reformgedanken und Resormansätze im heutigenItalien
Veto Raemmel von(Schluß)

lesen traurigen Zustünden gegenüber stehn Sozialpolitik und
Sozialgesetzgebung noch in den ersten Anfängen. Nicht daß
es an sozialer Fürsorge ganz fehlte, im Gegenteil. Aber sie
bewegt sich meist noch in ältern Formen, oder sie wirkt mehr
indirekt und ist im wesentlichen noch Sache der Privatthätig¬
keit, namentlich auch genossenschaftlicher Organisationen, nicht des Staats.
Von erstaunlichem und höchst rühmenswertem Umfange sind zunächst die
„frommen Stiftungen" (oxsrs xiö), besonders für Armen-, Kranken- und Waisen¬
pflege, ein glänzendes Zeugnis für den Wohlthätigkeitssinn der Italiener vom
Mittelalter bis in die neuste Zeit. Durch Gesetz vom 17. Juni 1890 sind sie in
einheitlicher Weise geregelt. Ihre Zahl beträgt jetzt über 22000, das Gesäme-


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[0660] Reformgedanken und Reformansätze im heutigen Italien würden lieber ein Oberhaupt haben wollen, von dein sie vorher gewöhnt waren, es über sich zu sehen, als daß sie einen ihm an Macht gleichstehenden oder gar untergeordneten Fürsten wählten. Der König in Preußen habe zwar in Kurbayern einen gefährlichen Konkurrenten, Kurbayern werde aber allein Anschein nach dnrch den spanischen Erbfolgekrieg sehr gedemütigt werden, und es sei die Frage, ob es sich den österreichischen Erbländer mehr als andre benachbarte gewachsen zeigte. Bartholdi schließt diesen Ausblick in die Zukunft mit den Worten: „Das Haus Brandenburg ist das einzige von denen teutschen annoch übrigen Häusern, welches mit Abschwörung des evangelischen Glaubens sich nie beschmutzet, dessen die Häuser Sachsen, Pfalz, Braunschweig, Hessen, Mecklenburg sich nicht rühmen können. Der Allerhöchste erhalte es bis ans Ende bey der reinen Lehre und segne es reichlich an geistigen und irdischen Gütern." So wie Bartholdi es sich gedacht hat, ist seine Ahnung freilich nicht in Erfüllung gegangen. Die durch das Aussterben des österreichisch- habsburgischen Hauses im Mannesstamm erledigte, damals schon völlig ohn¬ mächtige Kaiserkrone des römischen Reichs deutscher Nation hat das Haus Hohenzollern nicht erlangt, anch wohl kaum begehrt. Aber schöner und herr¬ licher, als Bartholdi es ahnen konnte, ist sein Ausblick in die Zukunft des Hauses Hohenzollern verwirklicht worden, als wieder an einem 18. Januar im Spiegelsaale zu Versailles König Wilhelm der Große die Wiederherstellung des Deutschen Reichs und die Vereinigung der deutschen Kaiserwürde mit der Krone Preußen verkündete. Reformgedanken und Resormansätze im heutigenItalien Veto Raemmel von(Schluß) lesen traurigen Zustünden gegenüber stehn Sozialpolitik und Sozialgesetzgebung noch in den ersten Anfängen. Nicht daß es an sozialer Fürsorge ganz fehlte, im Gegenteil. Aber sie bewegt sich meist noch in ältern Formen, oder sie wirkt mehr indirekt und ist im wesentlichen noch Sache der Privatthätig¬ keit, namentlich auch genossenschaftlicher Organisationen, nicht des Staats. Von erstaunlichem und höchst rühmenswertem Umfange sind zunächst die „frommen Stiftungen" (oxsrs xiö), besonders für Armen-, Kranken- und Waisen¬ pflege, ein glänzendes Zeugnis für den Wohlthätigkeitssinn der Italiener vom Mittelalter bis in die neuste Zeit. Durch Gesetz vom 17. Juni 1890 sind sie in einheitlicher Weise geregelt. Ihre Zahl beträgt jetzt über 22000, das Gesäme-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/660>, abgerufen am 23.05.2024.