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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Zur innern Kolonisation in Preußen

Meisterwerk, vatkölatte, Milchkaffee). Auch bei den Italienern beginnt also die
praktische Rücksicht zu überwiegen.

Was aber jetzt Italien vor allem not thut, das scheint zu sein, soweit ein
Fremder darüber urteilen darf: eine starke, von der alles vergiftenden parlamen¬
tarischen Cliquenwirtschaft möglichst unabhängige, stetige monarchische Regie¬
rung, eine gründliche Steuer- und Agrarreform und die Weiterführung der
Arbeiterschutzgesetzgebung, endlich Reformen des Unterrichtswesens in den ein-
gcschlagnen Richtungen. Sehr viel wird dabei freilich ans die Einsicht und
den Patriotismus der führenden Stände ankommen. Daß sie, wie kürzlich in
einer angesehenen deutschen Monatsschrift zu lesen war, "impotent" seien, kann
man doch angesichts ihrer Leistungen in der Einigung und im Ausbau des
Königreichs nicht so schlankweg behaupten. Ein modernes Land in der Weise
Englands und Nordamerikas wird freilich Italien niemals werden, in diesen
Bahnen wird es schwerlich jemals eine führende Stellung erringen. Dazu ist
dieses Volk zu schönheitsfroh und lebensfreudig, zu fein organisiert. Und das
ist ein Glück für die Kultur der Welt, die sich zu einer form- und geistlosen,
materialistischen Einseitigkeit entwickeln würde, wenn die Sätze Dollar is KmZ
und ?mis is inonözs jemals allgemeine Geltung erhielten. Welchen Wert
hat denn schließlich die wirtschaftliche Arbeit, wenn sie Selbstzweck und nicht
vielmehr Mittel zum Zweck, zu geistiger und sittlicher Vervollkommnung wird?
Auch der Rat, den man den Italienern gern geben möchte, auf eine große
auswärtige Politik und ihr kostspieliges Rüstzeug zu verzichten, um sich ganz
der innern Arbeit zu widmen, ist für sie unannehmbar. Denn das materielle
Wohl der vielen ist zwar ein wichtiges Ziel der Politik, aber weder das einzige
noch das höchste. Ein Verzicht auf die Großmachtstcllung würde Italien in
den Augen auch der Italiener entehren, und so notwendig die Selbstachtung
für den Einzelnen ist, so notwendig ist sie auch für ein Volk.




Zur innern Kolonisation in Preußen

lie innere Kolonisation und ihr richtiger Betrieb ist nach dem
Urteil wohl aller vaterländisch gesinnten Kreise eine hochwichtige
nationale, wirtschaftliche, sozialpolitische, kurz eine große Frage
des allgemeinen Staatsinteresses, eine Frage, bedeutungsvoll
I nicht bloß für unsern engern Osten, als das eigentliche Koloni¬
sationsland, sondern für ganz Preußen und damit für unser ganzes deutsches
Vaterland. Denn wir brauchen, wie die Verhältnisse liegen, ein gesundes,
lebensfrisches und lebensfrohes, deutschnationales bäuerliches Bollwerk gegen
das Slawentum nicht bloß in den sogenannten Ansiedlungsprovinzen (Posen


Zur innern Kolonisation in Preußen

Meisterwerk, vatkölatte, Milchkaffee). Auch bei den Italienern beginnt also die
praktische Rücksicht zu überwiegen.

Was aber jetzt Italien vor allem not thut, das scheint zu sein, soweit ein
Fremder darüber urteilen darf: eine starke, von der alles vergiftenden parlamen¬
tarischen Cliquenwirtschaft möglichst unabhängige, stetige monarchische Regie¬
rung, eine gründliche Steuer- und Agrarreform und die Weiterführung der
Arbeiterschutzgesetzgebung, endlich Reformen des Unterrichtswesens in den ein-
gcschlagnen Richtungen. Sehr viel wird dabei freilich ans die Einsicht und
den Patriotismus der führenden Stände ankommen. Daß sie, wie kürzlich in
einer angesehenen deutschen Monatsschrift zu lesen war, „impotent" seien, kann
man doch angesichts ihrer Leistungen in der Einigung und im Ausbau des
Königreichs nicht so schlankweg behaupten. Ein modernes Land in der Weise
Englands und Nordamerikas wird freilich Italien niemals werden, in diesen
Bahnen wird es schwerlich jemals eine führende Stellung erringen. Dazu ist
dieses Volk zu schönheitsfroh und lebensfreudig, zu fein organisiert. Und das
ist ein Glück für die Kultur der Welt, die sich zu einer form- und geistlosen,
materialistischen Einseitigkeit entwickeln würde, wenn die Sätze Dollar is KmZ
und ?mis is inonözs jemals allgemeine Geltung erhielten. Welchen Wert
hat denn schließlich die wirtschaftliche Arbeit, wenn sie Selbstzweck und nicht
vielmehr Mittel zum Zweck, zu geistiger und sittlicher Vervollkommnung wird?
Auch der Rat, den man den Italienern gern geben möchte, auf eine große
auswärtige Politik und ihr kostspieliges Rüstzeug zu verzichten, um sich ganz
der innern Arbeit zu widmen, ist für sie unannehmbar. Denn das materielle
Wohl der vielen ist zwar ein wichtiges Ziel der Politik, aber weder das einzige
noch das höchste. Ein Verzicht auf die Großmachtstcllung würde Italien in
den Augen auch der Italiener entehren, und so notwendig die Selbstachtung
für den Einzelnen ist, so notwendig ist sie auch für ein Volk.




Zur innern Kolonisation in Preußen

lie innere Kolonisation und ihr richtiger Betrieb ist nach dem
Urteil wohl aller vaterländisch gesinnten Kreise eine hochwichtige
nationale, wirtschaftliche, sozialpolitische, kurz eine große Frage
des allgemeinen Staatsinteresses, eine Frage, bedeutungsvoll
I nicht bloß für unsern engern Osten, als das eigentliche Koloni¬
sationsland, sondern für ganz Preußen und damit für unser ganzes deutsches
Vaterland. Denn wir brauchen, wie die Verhältnisse liegen, ein gesundes,
lebensfrisches und lebensfrohes, deutschnationales bäuerliches Bollwerk gegen
das Slawentum nicht bloß in den sogenannten Ansiedlungsprovinzen (Posen


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[0672] Zur innern Kolonisation in Preußen Meisterwerk, vatkölatte, Milchkaffee). Auch bei den Italienern beginnt also die praktische Rücksicht zu überwiegen. Was aber jetzt Italien vor allem not thut, das scheint zu sein, soweit ein Fremder darüber urteilen darf: eine starke, von der alles vergiftenden parlamen¬ tarischen Cliquenwirtschaft möglichst unabhängige, stetige monarchische Regie¬ rung, eine gründliche Steuer- und Agrarreform und die Weiterführung der Arbeiterschutzgesetzgebung, endlich Reformen des Unterrichtswesens in den ein- gcschlagnen Richtungen. Sehr viel wird dabei freilich ans die Einsicht und den Patriotismus der führenden Stände ankommen. Daß sie, wie kürzlich in einer angesehenen deutschen Monatsschrift zu lesen war, „impotent" seien, kann man doch angesichts ihrer Leistungen in der Einigung und im Ausbau des Königreichs nicht so schlankweg behaupten. Ein modernes Land in der Weise Englands und Nordamerikas wird freilich Italien niemals werden, in diesen Bahnen wird es schwerlich jemals eine führende Stellung erringen. Dazu ist dieses Volk zu schönheitsfroh und lebensfreudig, zu fein organisiert. Und das ist ein Glück für die Kultur der Welt, die sich zu einer form- und geistlosen, materialistischen Einseitigkeit entwickeln würde, wenn die Sätze Dollar is KmZ und ?mis is inonözs jemals allgemeine Geltung erhielten. Welchen Wert hat denn schließlich die wirtschaftliche Arbeit, wenn sie Selbstzweck und nicht vielmehr Mittel zum Zweck, zu geistiger und sittlicher Vervollkommnung wird? Auch der Rat, den man den Italienern gern geben möchte, auf eine große auswärtige Politik und ihr kostspieliges Rüstzeug zu verzichten, um sich ganz der innern Arbeit zu widmen, ist für sie unannehmbar. Denn das materielle Wohl der vielen ist zwar ein wichtiges Ziel der Politik, aber weder das einzige noch das höchste. Ein Verzicht auf die Großmachtstcllung würde Italien in den Augen auch der Italiener entehren, und so notwendig die Selbstachtung für den Einzelnen ist, so notwendig ist sie auch für ein Volk. Zur innern Kolonisation in Preußen lie innere Kolonisation und ihr richtiger Betrieb ist nach dem Urteil wohl aller vaterländisch gesinnten Kreise eine hochwichtige nationale, wirtschaftliche, sozialpolitische, kurz eine große Frage des allgemeinen Staatsinteresses, eine Frage, bedeutungsvoll I nicht bloß für unsern engern Osten, als das eigentliche Koloni¬ sationsland, sondern für ganz Preußen und damit für unser ganzes deutsches Vaterland. Denn wir brauchen, wie die Verhältnisse liegen, ein gesundes, lebensfrisches und lebensfrohes, deutschnationales bäuerliches Bollwerk gegen das Slawentum nicht bloß in den sogenannten Ansiedlungsprovinzen (Posen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/672>, abgerufen am 24.05.2024.