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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Zchiilstreit

biete geworden, daß der polnischen und der ultramontanen Presse die Befugnis
der Negierung zur Änderung der Unterrichtssprache ganz aus dein Gedächtnis
entschwunden war, denn woher sonst das große Entrüstungsgeschrei, das sich
über die Posener Verfügung erhoben hat, als wäre damit etwas ganz Uner¬
hörtes geschehn, und als wäre es nicht eine Maßregel, die in den achtziger
Jahren zu den ständigen Vorkommnissen in der Unterrichtsverwaltung gehört
hatte, und auf deren Wiederholung mau nach dem letzten Auftreten der Re¬
gierung gegen die polnische Überhebung wohl Hütte gefaßt sein dürfen?

Wenn die Polen und ihre Freunde ein so kurzes Gedächtnis haben, dann
kaun man sich allerdings nicht darüber wundern, daß sie aus der Geschichte
ihres Kampfes um die Sprache in der Schule nichts gelernt haben und an
den notwendigen Ausgang, den der Kampf bei der Fortsetzung ihres Wider¬
stands nehmen muß, nicht zu denken scheinen. Wie sie bisher durch diesen
Widerstand die Negierung von einem Schritte zum andern gezwungen haben,
so werden sie es durch ihre Opposition noch dahin bringen, daß auch der letzte
Rest der polnischen Sprache in der Schule durch Ausdehnung der Posener
Verfügung auf sämtliche Schule" der Provinz und auf alle Uuterrichtsstufeu
beseitigt wird. Und wenn dann wirklich, wie jetzt mit Emphase versichert wird,
die religiöse Bildung der polnischen Kinder leiden sollte, nun dann mag sich
die polnische Bevölkerung bei ihre" VerHetzern dafür bedanken. Man wird
ihnen dann mit vollem Rechte sagen können: Ihr habes gewollt. Euer ist
die Schuld.

3

Bis jetzt kann von einer Verringerung der Leistungen des Religions¬
unterrichts allen ultramontanen Klagen zum Trotze keine Rede sein. Oben
haben wir der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Kinder, auf die die
Maßregel der Posener Regierung Anwendung findet, der deutscheu Sprache
so mächtig sind, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunterrichte mit dein er¬
forderlichen Verständnis folgen können. Wir haben das ohne weitere Prüfung
aus unsrer allgemeinen Kenntnis der Verhältnisse geschlossen. Die Regierung
wird sich aber mit einer solchen allgemeinen Annahme nicht begnügt, sondern
sich vor dem Erlasse ihrer Anordnung durch sorgfältige und eingehende Prü¬
fung der Zustände in allen Schulen der Stadt Posen darüber Gewißheit ver¬
schafft haben, daß die notwendige Voraussetzung gegeben war. Andernfalls
würde sie sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, die ihr nur
Bosheit und parteipolitische Verblendung zutrauen können. Denn die Ände¬
rung der Unterrichtssprache für die religiöse Schulunterweisung ist durch Her¬
kommen oder behördliche Anordnung mit solchen Vorsichtsmaßregeln umgeben,
daß jede Schädigung der religiösen Bildung ausgeschlossen ist.

Die preußische Verwaltung thut in dieser Frage gerade das Gegenteil
von dem, was die katholische Kirche in der Provinz Posen seit langer Zeit
gethan hat und noch heute täglich thut. Es ist eine eigentümliche Schicksals-


Der Posener Zchiilstreit

biete geworden, daß der polnischen und der ultramontanen Presse die Befugnis
der Negierung zur Änderung der Unterrichtssprache ganz aus dein Gedächtnis
entschwunden war, denn woher sonst das große Entrüstungsgeschrei, das sich
über die Posener Verfügung erhoben hat, als wäre damit etwas ganz Uner¬
hörtes geschehn, und als wäre es nicht eine Maßregel, die in den achtziger
Jahren zu den ständigen Vorkommnissen in der Unterrichtsverwaltung gehört
hatte, und auf deren Wiederholung mau nach dem letzten Auftreten der Re¬
gierung gegen die polnische Überhebung wohl Hütte gefaßt sein dürfen?

Wenn die Polen und ihre Freunde ein so kurzes Gedächtnis haben, dann
kaun man sich allerdings nicht darüber wundern, daß sie aus der Geschichte
ihres Kampfes um die Sprache in der Schule nichts gelernt haben und an
den notwendigen Ausgang, den der Kampf bei der Fortsetzung ihres Wider¬
stands nehmen muß, nicht zu denken scheinen. Wie sie bisher durch diesen
Widerstand die Negierung von einem Schritte zum andern gezwungen haben,
so werden sie es durch ihre Opposition noch dahin bringen, daß auch der letzte
Rest der polnischen Sprache in der Schule durch Ausdehnung der Posener
Verfügung auf sämtliche Schule» der Provinz und auf alle Uuterrichtsstufeu
beseitigt wird. Und wenn dann wirklich, wie jetzt mit Emphase versichert wird,
die religiöse Bildung der polnischen Kinder leiden sollte, nun dann mag sich
die polnische Bevölkerung bei ihre» VerHetzern dafür bedanken. Man wird
ihnen dann mit vollem Rechte sagen können: Ihr habes gewollt. Euer ist
die Schuld.

3

Bis jetzt kann von einer Verringerung der Leistungen des Religions¬
unterrichts allen ultramontanen Klagen zum Trotze keine Rede sein. Oben
haben wir der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Kinder, auf die die
Maßregel der Posener Regierung Anwendung findet, der deutscheu Sprache
so mächtig sind, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunterrichte mit dein er¬
forderlichen Verständnis folgen können. Wir haben das ohne weitere Prüfung
aus unsrer allgemeinen Kenntnis der Verhältnisse geschlossen. Die Regierung
wird sich aber mit einer solchen allgemeinen Annahme nicht begnügt, sondern
sich vor dem Erlasse ihrer Anordnung durch sorgfältige und eingehende Prü¬
fung der Zustände in allen Schulen der Stadt Posen darüber Gewißheit ver¬
schafft haben, daß die notwendige Voraussetzung gegeben war. Andernfalls
würde sie sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, die ihr nur
Bosheit und parteipolitische Verblendung zutrauen können. Denn die Ände¬
rung der Unterrichtssprache für die religiöse Schulunterweisung ist durch Her¬
kommen oder behördliche Anordnung mit solchen Vorsichtsmaßregeln umgeben,
daß jede Schädigung der religiösen Bildung ausgeschlossen ist.

Die preußische Verwaltung thut in dieser Frage gerade das Gegenteil
von dem, was die katholische Kirche in der Provinz Posen seit langer Zeit
gethan hat und noch heute täglich thut. Es ist eine eigentümliche Schicksals-


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[0086] Der Posener Zchiilstreit biete geworden, daß der polnischen und der ultramontanen Presse die Befugnis der Negierung zur Änderung der Unterrichtssprache ganz aus dein Gedächtnis entschwunden war, denn woher sonst das große Entrüstungsgeschrei, das sich über die Posener Verfügung erhoben hat, als wäre damit etwas ganz Uner¬ hörtes geschehn, und als wäre es nicht eine Maßregel, die in den achtziger Jahren zu den ständigen Vorkommnissen in der Unterrichtsverwaltung gehört hatte, und auf deren Wiederholung mau nach dem letzten Auftreten der Re¬ gierung gegen die polnische Überhebung wohl Hütte gefaßt sein dürfen? Wenn die Polen und ihre Freunde ein so kurzes Gedächtnis haben, dann kaun man sich allerdings nicht darüber wundern, daß sie aus der Geschichte ihres Kampfes um die Sprache in der Schule nichts gelernt haben und an den notwendigen Ausgang, den der Kampf bei der Fortsetzung ihres Wider¬ stands nehmen muß, nicht zu denken scheinen. Wie sie bisher durch diesen Widerstand die Negierung von einem Schritte zum andern gezwungen haben, so werden sie es durch ihre Opposition noch dahin bringen, daß auch der letzte Rest der polnischen Sprache in der Schule durch Ausdehnung der Posener Verfügung auf sämtliche Schule» der Provinz und auf alle Uuterrichtsstufeu beseitigt wird. Und wenn dann wirklich, wie jetzt mit Emphase versichert wird, die religiöse Bildung der polnischen Kinder leiden sollte, nun dann mag sich die polnische Bevölkerung bei ihre» VerHetzern dafür bedanken. Man wird ihnen dann mit vollem Rechte sagen können: Ihr habes gewollt. Euer ist die Schuld. 3 Bis jetzt kann von einer Verringerung der Leistungen des Religions¬ unterrichts allen ultramontanen Klagen zum Trotze keine Rede sein. Oben haben wir der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Kinder, auf die die Maßregel der Posener Regierung Anwendung findet, der deutscheu Sprache so mächtig sind, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunterrichte mit dein er¬ forderlichen Verständnis folgen können. Wir haben das ohne weitere Prüfung aus unsrer allgemeinen Kenntnis der Verhältnisse geschlossen. Die Regierung wird sich aber mit einer solchen allgemeinen Annahme nicht begnügt, sondern sich vor dem Erlasse ihrer Anordnung durch sorgfältige und eingehende Prü¬ fung der Zustände in allen Schulen der Stadt Posen darüber Gewißheit ver¬ schafft haben, daß die notwendige Voraussetzung gegeben war. Andernfalls würde sie sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, die ihr nur Bosheit und parteipolitische Verblendung zutrauen können. Denn die Ände¬ rung der Unterrichtssprache für die religiöse Schulunterweisung ist durch Her¬ kommen oder behördliche Anordnung mit solchen Vorsichtsmaßregeln umgeben, daß jede Schädigung der religiösen Bildung ausgeschlossen ist. Die preußische Verwaltung thut in dieser Frage gerade das Gegenteil von dem, was die katholische Kirche in der Provinz Posen seit langer Zeit gethan hat und noch heute täglich thut. Es ist eine eigentümliche Schicksals-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/86>, abgerufen am 24.05.2024.