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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

innegehalten sind. Alles Lärmen dagegen kann den Staat nur in seiner
Stellung befestigen und höchstens zu strengern Maßregeln reizen. Wollen die
Polen ihren Besitzstand erhalten, so mögen sie sich fügen und ihre Kinder an¬
halten, recht fleißig deutsch zu lernen; wollen sie aber auch ans ihrer letzten
Position verdrängt werden, dann mögen sie nnr noch viel lauter schreien und
sich von ihren deutschen Parteigängern dabei sekundieren lassen. Der Erfolg
für das Deutschtum wird denn nicht ausbleiben.




Briefe eines Zurückgekehrten

!er Deutschland durchwandert hat, weiß von dieser oder jener
Stelle mit ziemlicher Bestimmtheit zu sagen: Hier fängt Nord-
deutschland an, hier hört süddeutsches Wesen, süddeutsche Land¬
schaft auf. Frankfurt und Kassel, Bamberg und Hof, Bonn und
iKöln sind bekannte Grenzpunkte. Nicht so leicht ist der Gegen¬
satz zwischen oft- und westdeutsch zu stellen. Doch fürchte ich keinen Wider¬
spruch, wenn ich Naumburg als eine der am weitesten ostwärts vorgeschobnen
Städte mitteldeutscher Art nenne. Ja, in seiner Lage an einem müßigen
rundlichen Berg, den große Obstbäume umsteh", mit dem Blick auf das friedlich
umbuschte Wiesenthal der Saale und auf die Rebenhügel der Unstrut, ist etwas
schwäbisches. Und dazu kommt an der ersten Schlinge der Saale oberhalb
Naumburgs an einem waldigen, quellenreichen Hag das turn- und zinnenreiche
Kloster Pforta. Verglichen mit den roten Backsteinbauten des Tieflandes haben
schon alle die Saalestädte und Dörfer reichere Farben, die dem Auge wohlthun.
Die graue" Dächer strahlen hell in dem trüben Blau des leichtbewölkten Sommer¬
morgenhimmels. Eines fehlt leider heute in Thüringen fast ganz, was sich
Niederdeutschland bewahrt hat und in Oberdeutschland in schnellem Absterben
begriffen ist: das alte Grau der tief herabreichenden Strohdächer, die tief
schwärzlich-blau schimmern, wen" sie vom Regen feucht find, und deren weiche,
volle Formen das glänzende Grün der Moospolster erhellt. Die Feuer¬
versicherungen drücken das Strohdach ebenso wie manche altertümlichen Holz-
konstruktionen im Bauernhaus durch hohe Prämien aus dem Wettbewerb.
Zwar wurmt es den Bauern, aber dafür will er nicht besonders zahlen. Da
nun much, wie man behauptet, die früher jedem Bauern vertraute Kunst, Stroh¬
dächer auszubessern, in manchen Gegenden völlig abhanden gekommen ist
-- eine der "Verlornen Künste," über die mau Bücher schreiben könnte --,
werden die Ziegeldächer immer allgemeiner. Und hohe, steile Dächer sind es,
die über thüringisch-hessischen Fachwerkbauteu ansteigen.


Briefe eines Zurückgekehrten

innegehalten sind. Alles Lärmen dagegen kann den Staat nur in seiner
Stellung befestigen und höchstens zu strengern Maßregeln reizen. Wollen die
Polen ihren Besitzstand erhalten, so mögen sie sich fügen und ihre Kinder an¬
halten, recht fleißig deutsch zu lernen; wollen sie aber auch ans ihrer letzten
Position verdrängt werden, dann mögen sie nnr noch viel lauter schreien und
sich von ihren deutschen Parteigängern dabei sekundieren lassen. Der Erfolg
für das Deutschtum wird denn nicht ausbleiben.




Briefe eines Zurückgekehrten

!er Deutschland durchwandert hat, weiß von dieser oder jener
Stelle mit ziemlicher Bestimmtheit zu sagen: Hier fängt Nord-
deutschland an, hier hört süddeutsches Wesen, süddeutsche Land¬
schaft auf. Frankfurt und Kassel, Bamberg und Hof, Bonn und
iKöln sind bekannte Grenzpunkte. Nicht so leicht ist der Gegen¬
satz zwischen oft- und westdeutsch zu stellen. Doch fürchte ich keinen Wider¬
spruch, wenn ich Naumburg als eine der am weitesten ostwärts vorgeschobnen
Städte mitteldeutscher Art nenne. Ja, in seiner Lage an einem müßigen
rundlichen Berg, den große Obstbäume umsteh«, mit dem Blick auf das friedlich
umbuschte Wiesenthal der Saale und auf die Rebenhügel der Unstrut, ist etwas
schwäbisches. Und dazu kommt an der ersten Schlinge der Saale oberhalb
Naumburgs an einem waldigen, quellenreichen Hag das turn- und zinnenreiche
Kloster Pforta. Verglichen mit den roten Backsteinbauten des Tieflandes haben
schon alle die Saalestädte und Dörfer reichere Farben, die dem Auge wohlthun.
Die graue» Dächer strahlen hell in dem trüben Blau des leichtbewölkten Sommer¬
morgenhimmels. Eines fehlt leider heute in Thüringen fast ganz, was sich
Niederdeutschland bewahrt hat und in Oberdeutschland in schnellem Absterben
begriffen ist: das alte Grau der tief herabreichenden Strohdächer, die tief
schwärzlich-blau schimmern, wen» sie vom Regen feucht find, und deren weiche,
volle Formen das glänzende Grün der Moospolster erhellt. Die Feuer¬
versicherungen drücken das Strohdach ebenso wie manche altertümlichen Holz-
konstruktionen im Bauernhaus durch hohe Prämien aus dem Wettbewerb.
Zwar wurmt es den Bauern, aber dafür will er nicht besonders zahlen. Da
nun much, wie man behauptet, die früher jedem Bauern vertraute Kunst, Stroh¬
dächer auszubessern, in manchen Gegenden völlig abhanden gekommen ist
— eine der „Verlornen Künste," über die mau Bücher schreiben könnte —,
werden die Ziegeldächer immer allgemeiner. Und hohe, steile Dächer sind es,
die über thüringisch-hessischen Fachwerkbauteu ansteigen.


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[0091] Briefe eines Zurückgekehrten innegehalten sind. Alles Lärmen dagegen kann den Staat nur in seiner Stellung befestigen und höchstens zu strengern Maßregeln reizen. Wollen die Polen ihren Besitzstand erhalten, so mögen sie sich fügen und ihre Kinder an¬ halten, recht fleißig deutsch zu lernen; wollen sie aber auch ans ihrer letzten Position verdrängt werden, dann mögen sie nnr noch viel lauter schreien und sich von ihren deutschen Parteigängern dabei sekundieren lassen. Der Erfolg für das Deutschtum wird denn nicht ausbleiben. Briefe eines Zurückgekehrten !er Deutschland durchwandert hat, weiß von dieser oder jener Stelle mit ziemlicher Bestimmtheit zu sagen: Hier fängt Nord- deutschland an, hier hört süddeutsches Wesen, süddeutsche Land¬ schaft auf. Frankfurt und Kassel, Bamberg und Hof, Bonn und iKöln sind bekannte Grenzpunkte. Nicht so leicht ist der Gegen¬ satz zwischen oft- und westdeutsch zu stellen. Doch fürchte ich keinen Wider¬ spruch, wenn ich Naumburg als eine der am weitesten ostwärts vorgeschobnen Städte mitteldeutscher Art nenne. Ja, in seiner Lage an einem müßigen rundlichen Berg, den große Obstbäume umsteh«, mit dem Blick auf das friedlich umbuschte Wiesenthal der Saale und auf die Rebenhügel der Unstrut, ist etwas schwäbisches. Und dazu kommt an der ersten Schlinge der Saale oberhalb Naumburgs an einem waldigen, quellenreichen Hag das turn- und zinnenreiche Kloster Pforta. Verglichen mit den roten Backsteinbauten des Tieflandes haben schon alle die Saalestädte und Dörfer reichere Farben, die dem Auge wohlthun. Die graue» Dächer strahlen hell in dem trüben Blau des leichtbewölkten Sommer¬ morgenhimmels. Eines fehlt leider heute in Thüringen fast ganz, was sich Niederdeutschland bewahrt hat und in Oberdeutschland in schnellem Absterben begriffen ist: das alte Grau der tief herabreichenden Strohdächer, die tief schwärzlich-blau schimmern, wen» sie vom Regen feucht find, und deren weiche, volle Formen das glänzende Grün der Moospolster erhellt. Die Feuer¬ versicherungen drücken das Strohdach ebenso wie manche altertümlichen Holz- konstruktionen im Bauernhaus durch hohe Prämien aus dem Wettbewerb. Zwar wurmt es den Bauern, aber dafür will er nicht besonders zahlen. Da nun much, wie man behauptet, die früher jedem Bauern vertraute Kunst, Stroh¬ dächer auszubessern, in manchen Gegenden völlig abhanden gekommen ist — eine der „Verlornen Künste," über die mau Bücher schreiben könnte —, werden die Ziegeldächer immer allgemeiner. Und hohe, steile Dächer sind es, die über thüringisch-hessischen Fachwerkbauteu ansteigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/91>, abgerufen am 24.05.2024.