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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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"Ich werde über Dante denken, wie ich über ihn dachte, als ich ihn zuerst
las, nämlich, daß er Milton überlegen ist, daß er mit Homer gleichen Schritt
hält, und daß mir Shakespeare entschieden über ihn hinausgegangen ist,"

So glaube ich auch, daß der Teil seines Werkes, wo er ausschließlich
litterarischer Kritiker ist, der Vergessenheit anheimfallen wird. Im übrigen aber
meine ich, daß auch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Macaulay noch
viele eifrige Leser finden wird. Mögen manchmal anch seine Weitschweifigkeiten
und Übertreibungen im einzelnen Anstoß erregen, so werden doch viele dankbar
dem klaren Worte des Mannes lauschen, der wie selten einer wissenschaftliche
Gründlichkeit und Kunst der Darstellung mit einander verband.




Altes und Neues aus der Normandie

or dreißig Jahren hatte mich die Kriegsflut "ach der Normandie
geworfen. An einem Dezembertage des Jahres 1879 standen wir
bei Les Andclys an der Seine, Eine leichte Schneedecke lag ans
den Dächern des Städtchens, der Rauch stieg, sich kräuselnd, in die
Luft. Über dem Städtchen ragten die mächtigen Trümmer der Burg
Gaillnrd empor, Richard Löwenherz hatte sie errichtet, um die Seine
gegen die französische" Könige zu sperren. Aber die Burg war gebrochen. Die
scheidende Sonne sandte ihre letzten Strahlen zu dem trotzigen Donjon hinauf,
der uus die Stelle zeigte, wo wir deu Fluß überschreiten mußten. Drüben breitete
sich eine große schneebedeckte Ebene aus, dahinter dunkler Fichtenwald. Dort lag
unser Ziel. Wir zogen in das Städtchen ein, in dessen Gassen schon das un¬
gewisse Licht der Dämmerung herrschte, und wurden von den Franzosen angegafft,
Die Hände in deu Taschen, die Pfeife im Munde, im Blnsenkittel und auf Holz¬
pantoffeln, so standen die Männer vor ihren kleinen Häusern und sahen den Bar¬
baren zu, die im Begriffe waren, ihren heiligen Strom zu überschreiten. Eine
Pontonbrücke war geschlagen, und nun Wunden sich die Kolonnen wie eine endlose
dunkle Schlange an dem Vurgfelsen vorbei über die Brücke nach dem linken Ufer.
Inzwischen war es dunkel geworden, die Sterne waren am tiefdunkeln Himmel er¬
schienen und flimmerte" in ihrer Pracht. Dann stieg der Mond über deu Ruinen
von Gaillard ans und schlug eine zweite silberne Brücke über den Fluß. Am Wege
loderte ein großes Reisigfeuer, an dem sich verschiedne Stabsoffiziere wärmten. Da
wir unmittelbar neben ihnen halten mußten, traten wir gleichfalls um das Feuer
und hörten von dem General, daß die zweite Schlacht bei Orleans geschlagen und
ein Ausfall aus Paris zurückgewiesen sei. Nach vielen Marschtagcn erhielten wir
so die ersten zuverlässigen Nachrichten, frohen Herzens gingen wir zu unsern Leuten
zurück, uni ihnen Kunde von den neusten Ereignissen zu geben. Dann ertönten
die Kommandos, und vorwärts ging es in das Dunkel der Nacht hinein, um das
Dorf zu besetzen, das uns zugewiesen war, ungewiß, welche Haltung die Bevölkerung
annehmen würde.


„Ich werde über Dante denken, wie ich über ihn dachte, als ich ihn zuerst
las, nämlich, daß er Milton überlegen ist, daß er mit Homer gleichen Schritt
hält, und daß mir Shakespeare entschieden über ihn hinausgegangen ist,"

So glaube ich auch, daß der Teil seines Werkes, wo er ausschließlich
litterarischer Kritiker ist, der Vergessenheit anheimfallen wird. Im übrigen aber
meine ich, daß auch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Macaulay noch
viele eifrige Leser finden wird. Mögen manchmal anch seine Weitschweifigkeiten
und Übertreibungen im einzelnen Anstoß erregen, so werden doch viele dankbar
dem klaren Worte des Mannes lauschen, der wie selten einer wissenschaftliche
Gründlichkeit und Kunst der Darstellung mit einander verband.




Altes und Neues aus der Normandie

or dreißig Jahren hatte mich die Kriegsflut »ach der Normandie
geworfen. An einem Dezembertage des Jahres 1879 standen wir
bei Les Andclys an der Seine, Eine leichte Schneedecke lag ans
den Dächern des Städtchens, der Rauch stieg, sich kräuselnd, in die
Luft. Über dem Städtchen ragten die mächtigen Trümmer der Burg
Gaillnrd empor, Richard Löwenherz hatte sie errichtet, um die Seine
gegen die französische» Könige zu sperren. Aber die Burg war gebrochen. Die
scheidende Sonne sandte ihre letzten Strahlen zu dem trotzigen Donjon hinauf,
der uus die Stelle zeigte, wo wir deu Fluß überschreiten mußten. Drüben breitete
sich eine große schneebedeckte Ebene aus, dahinter dunkler Fichtenwald. Dort lag
unser Ziel. Wir zogen in das Städtchen ein, in dessen Gassen schon das un¬
gewisse Licht der Dämmerung herrschte, und wurden von den Franzosen angegafft,
Die Hände in deu Taschen, die Pfeife im Munde, im Blnsenkittel und auf Holz¬
pantoffeln, so standen die Männer vor ihren kleinen Häusern und sahen den Bar¬
baren zu, die im Begriffe waren, ihren heiligen Strom zu überschreiten. Eine
Pontonbrücke war geschlagen, und nun Wunden sich die Kolonnen wie eine endlose
dunkle Schlange an dem Vurgfelsen vorbei über die Brücke nach dem linken Ufer.
Inzwischen war es dunkel geworden, die Sterne waren am tiefdunkeln Himmel er¬
schienen und flimmerte» in ihrer Pracht. Dann stieg der Mond über deu Ruinen
von Gaillard ans und schlug eine zweite silberne Brücke über den Fluß. Am Wege
loderte ein großes Reisigfeuer, an dem sich verschiedne Stabsoffiziere wärmten. Da
wir unmittelbar neben ihnen halten mußten, traten wir gleichfalls um das Feuer
und hörten von dem General, daß die zweite Schlacht bei Orleans geschlagen und
ein Ausfall aus Paris zurückgewiesen sei. Nach vielen Marschtagcn erhielten wir
so die ersten zuverlässigen Nachrichten, frohen Herzens gingen wir zu unsern Leuten
zurück, uni ihnen Kunde von den neusten Ereignissen zu geben. Dann ertönten
die Kommandos, und vorwärts ging es in das Dunkel der Nacht hinein, um das
Dorf zu besetzen, das uns zugewiesen war, ungewiß, welche Haltung die Bevölkerung
annehmen würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/140>, abgerufen am 05.05.2024.