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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wohnungs- und Bodenpolitik
(Fortsetzung)

le Bau- und Wohnungspolitit des Merkantilismus ist
der erste Hauptteil einer kürzlich vom Institut für Gemeinwohl
in Frankfurt ans dem Nachlaß des Verfassers herausgegebnen
Schrift eines leider im vorigen Jahre in den Alpen verunglückten
vielversprechenden jungen Berliner Nationalökonomen, Dr. Paul
Voigt, über "Grundrente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vor¬
orten,"") Der zweite Hauptteil behandelt die moderne Entwicklung der Berliner
Vororte, namentlich seit 1871. Das Werk ist leider ein Bruchstück geblieben,
aber diese beiden Hauptteile sind in sich abgeschlossene Untersuchungen, deren
wissenschaftlichen Wert auch der anerkennen muß, der nicht überall mit der
Wirtschafts- und sozialpolitischen Tendenz des Verfassers einverstanden ist. Die
jüngere staatssozialistische Schule in Berlin und die auf praktische Bethätigung
ihrer Anschauungen in Gesetzgebung und Verwaltung eifrig hinarbeitenden
Sozialreformer, deren Organ die "Soziale Praxis" ist, legen der Arbeit freilich
eine ganz außerordentliche, wie es scheint, bahnbrechende und epochemachende
Bedeutuug bei.

In der "Sozialen Praxis" hat kürzlich Dr. von Mangoldt in Dresden
über das Buch unter anderen folgendes geschrieben. Die öffentliche Meinung
habe in den letzten Jahren ein dunkles Gefühl dafür bekommen, daß bei den
grundlegenden Einrichtungen zur Befriedigung des Wvhnungsbedürfuisfes nicht
alles in Ordnung sein könne, und daß insbesondre die ungeheure Steigerung
der Werte und Preise des bebrüten und des unbebauten Bodens der Städte
eine Quelle großer Mißstände sei. Ein kleiner Kreis von Eingeweihten
wisse aber, daß unsre ganze, fast vollständig privatwirtschaftliche Art der Be¬
friedigung des Wohnungsbedürfnifses tief einschneidender Änderungen bedürfe,
und er wisse insbesondre, daß aus der gegenwärtigen Überantwortung des
Wohnungsbodeus in deu Städten, der Existenzgrundlage der ganzen städtischen
Vevölkernng, an die private Spekulation die schwersten Nbelstäude hervorgingen:
ans der einen Seite ungeheure, unverdiente Reichtümer, ans der andern Seite
Druck und Not, Elend und Entwürdigung im reichsten Maße. Woran es
bisher gefehlt habe, das sei einmal die Aufzeichnung eines wirklich großen,



Jena, Gustav Fischer, UM,


Wohnungs- und Bodenpolitik
(Fortsetzung)

le Bau- und Wohnungspolitit des Merkantilismus ist
der erste Hauptteil einer kürzlich vom Institut für Gemeinwohl
in Frankfurt ans dem Nachlaß des Verfassers herausgegebnen
Schrift eines leider im vorigen Jahre in den Alpen verunglückten
vielversprechenden jungen Berliner Nationalökonomen, Dr. Paul
Voigt, über „Grundrente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vor¬
orten,"") Der zweite Hauptteil behandelt die moderne Entwicklung der Berliner
Vororte, namentlich seit 1871. Das Werk ist leider ein Bruchstück geblieben,
aber diese beiden Hauptteile sind in sich abgeschlossene Untersuchungen, deren
wissenschaftlichen Wert auch der anerkennen muß, der nicht überall mit der
Wirtschafts- und sozialpolitischen Tendenz des Verfassers einverstanden ist. Die
jüngere staatssozialistische Schule in Berlin und die auf praktische Bethätigung
ihrer Anschauungen in Gesetzgebung und Verwaltung eifrig hinarbeitenden
Sozialreformer, deren Organ die „Soziale Praxis" ist, legen der Arbeit freilich
eine ganz außerordentliche, wie es scheint, bahnbrechende und epochemachende
Bedeutuug bei.

In der „Sozialen Praxis" hat kürzlich Dr. von Mangoldt in Dresden
über das Buch unter anderen folgendes geschrieben. Die öffentliche Meinung
habe in den letzten Jahren ein dunkles Gefühl dafür bekommen, daß bei den
grundlegenden Einrichtungen zur Befriedigung des Wvhnungsbedürfuisfes nicht
alles in Ordnung sein könne, und daß insbesondre die ungeheure Steigerung
der Werte und Preise des bebrüten und des unbebauten Bodens der Städte
eine Quelle großer Mißstände sei. Ein kleiner Kreis von Eingeweihten
wisse aber, daß unsre ganze, fast vollständig privatwirtschaftliche Art der Be¬
friedigung des Wohnungsbedürfnifses tief einschneidender Änderungen bedürfe,
und er wisse insbesondre, daß aus der gegenwärtigen Überantwortung des
Wohnungsbodeus in deu Städten, der Existenzgrundlage der ganzen städtischen
Vevölkernng, an die private Spekulation die schwersten Nbelstäude hervorgingen:
ans der einen Seite ungeheure, unverdiente Reichtümer, ans der andern Seite
Druck und Not, Elend und Entwürdigung im reichsten Maße. Woran es
bisher gefehlt habe, das sei einmal die Aufzeichnung eines wirklich großen,



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[0351] [Abbildung] Wohnungs- und Bodenpolitik (Fortsetzung) le Bau- und Wohnungspolitit des Merkantilismus ist der erste Hauptteil einer kürzlich vom Institut für Gemeinwohl in Frankfurt ans dem Nachlaß des Verfassers herausgegebnen Schrift eines leider im vorigen Jahre in den Alpen verunglückten vielversprechenden jungen Berliner Nationalökonomen, Dr. Paul Voigt, über „Grundrente und Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vor¬ orten,"") Der zweite Hauptteil behandelt die moderne Entwicklung der Berliner Vororte, namentlich seit 1871. Das Werk ist leider ein Bruchstück geblieben, aber diese beiden Hauptteile sind in sich abgeschlossene Untersuchungen, deren wissenschaftlichen Wert auch der anerkennen muß, der nicht überall mit der Wirtschafts- und sozialpolitischen Tendenz des Verfassers einverstanden ist. Die jüngere staatssozialistische Schule in Berlin und die auf praktische Bethätigung ihrer Anschauungen in Gesetzgebung und Verwaltung eifrig hinarbeitenden Sozialreformer, deren Organ die „Soziale Praxis" ist, legen der Arbeit freilich eine ganz außerordentliche, wie es scheint, bahnbrechende und epochemachende Bedeutuug bei. In der „Sozialen Praxis" hat kürzlich Dr. von Mangoldt in Dresden über das Buch unter anderen folgendes geschrieben. Die öffentliche Meinung habe in den letzten Jahren ein dunkles Gefühl dafür bekommen, daß bei den grundlegenden Einrichtungen zur Befriedigung des Wvhnungsbedürfuisfes nicht alles in Ordnung sein könne, und daß insbesondre die ungeheure Steigerung der Werte und Preise des bebrüten und des unbebauten Bodens der Städte eine Quelle großer Mißstände sei. Ein kleiner Kreis von Eingeweihten wisse aber, daß unsre ganze, fast vollständig privatwirtschaftliche Art der Be¬ friedigung des Wohnungsbedürfnifses tief einschneidender Änderungen bedürfe, und er wisse insbesondre, daß aus der gegenwärtigen Überantwortung des Wohnungsbodeus in deu Städten, der Existenzgrundlage der ganzen städtischen Vevölkernng, an die private Spekulation die schwersten Nbelstäude hervorgingen: ans der einen Seite ungeheure, unverdiente Reichtümer, ans der andern Seite Druck und Not, Elend und Entwürdigung im reichsten Maße. Woran es bisher gefehlt habe, das sei einmal die Aufzeichnung eines wirklich großen, Jena, Gustav Fischer, UM,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/351>, abgerufen am 05.05.2024.