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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Änderungen der Reichsverfassung

führung ist. Wie bei uns der höchste Ehrgeiz des jungen Offiziers dahin
geht, zum Generalstab kommandiert zu werden, so strebte, wer in der franzö¬
sischen Verwaltung nach oben kommen wollte, in den Staatsrat. Dessen
Weisheit mochte in den grauen Häuptern der mit Sitz und Stimme aus¬
gestatteten eoussillors beruhn, das treibende Leben lag in den jüngern und
jugendlichen Berichterstattern und Hilfsarbeitern, die ein- und ausgingen, die
örtliche Verwaltung mit den Traditionell und Erfahrungen der Zentralstelle
befruchteten und dafür diese immer wieder mit Frische und neuen Gedanken
versahen. Alle, jung und alt, fühlten fich als Elite, Aller Liebe, Ehrgeiz
und Einfluß kamen der Zentralstelle zu gute. Und diese hatte als Sachver¬
ständigenkollegium die größte Macht, ohne je, nach der einen oder andern
Seite, politisch unbequem zu werden.

Auch bei uns ist das Rezept anwendbar: ein deutscher Generalstab des
Zivildienstes wird für diesen ebensoviel leisten wie der militärische für unser
Heer. Der Austausch zwischen Zentralstelle und örtlicher Verwaltung ist etwas
umständlicher, aber mit gutem Willen läßt sich das leicht ausgleichen, und wenn
auch hier wieder der Haupteinfluß Preußen zufallen muß, so können doch auch
die Ankläger des preußische" "Partikularismus" nicht behaupten, daß im Reichs¬
dienst die Richtpreisen zurückgesetzt seien. Und es werden wie in Frankreich
die Besten des ganzen Vcamtennachwnchses sein, die in den Staatsrat "streben"
werden. Das ist berechtigter Ehrgeiz. Jetzt suchen sie ins Parlament zu
kommen, um sich geltend zu machen. Das ist verwerfliches Strebertum. Es
wird dann eine Zeit kommen, wo die Ausschließung der Beamten vom Reichs¬
tage -- ein Lieblingsgedanke Fürst Bismarcks -- gesetzlich ausgesprochen
werden kann. Sie gehören nicht hinein, denn ihre parlamentarische Unab¬
hängigkeit oder Abhängigkeit wirkt gleich verderblich, jene für die Autorität,
diese für das echte Ehrgefühl. Jetzt sind sie noch unentbehrlich. Schlimm
genug und ein Grund mehr dafür, die parlamentarische Beratung und Beschlu߬
fassung in dem hier verfochtnen Sinne von Zuthaten zu entlasten, die nur
durch eine besondre, technische Schulung bewältigt werden können.

Nicht alle hier vorgctmgnen Anregungen stammen von Fürst Bismarck,
sie lehnen sich jedoch alle an Gedanken an, die er ausgesprochen hat; sie sind
eine Frucht des Bemühens, in seinem Sinne zu wirken und seine Tradition,
fortzupflanzen. So möchten sie aufgenommen, beherzigt und weiterentwickelt
sein. Eigentlich gehört noch die weitere Frage hierher, wie das Bismarckische
Kompromiß in betreff des allgemeinen Wahlrechts vor fernerer Anfechtung zu
schützen sei, sie ist jedoch schon in den Tages- und Parteistreit gezogen und
x deshalb besser besouders zu behandeln.




Änderungen der Reichsverfassung

führung ist. Wie bei uns der höchste Ehrgeiz des jungen Offiziers dahin
geht, zum Generalstab kommandiert zu werden, so strebte, wer in der franzö¬
sischen Verwaltung nach oben kommen wollte, in den Staatsrat. Dessen
Weisheit mochte in den grauen Häuptern der mit Sitz und Stimme aus¬
gestatteten eoussillors beruhn, das treibende Leben lag in den jüngern und
jugendlichen Berichterstattern und Hilfsarbeitern, die ein- und ausgingen, die
örtliche Verwaltung mit den Traditionell und Erfahrungen der Zentralstelle
befruchteten und dafür diese immer wieder mit Frische und neuen Gedanken
versahen. Alle, jung und alt, fühlten fich als Elite, Aller Liebe, Ehrgeiz
und Einfluß kamen der Zentralstelle zu gute. Und diese hatte als Sachver¬
ständigenkollegium die größte Macht, ohne je, nach der einen oder andern
Seite, politisch unbequem zu werden.

Auch bei uns ist das Rezept anwendbar: ein deutscher Generalstab des
Zivildienstes wird für diesen ebensoviel leisten wie der militärische für unser
Heer. Der Austausch zwischen Zentralstelle und örtlicher Verwaltung ist etwas
umständlicher, aber mit gutem Willen läßt sich das leicht ausgleichen, und wenn
auch hier wieder der Haupteinfluß Preußen zufallen muß, so können doch auch
die Ankläger des preußische« „Partikularismus" nicht behaupten, daß im Reichs¬
dienst die Richtpreisen zurückgesetzt seien. Und es werden wie in Frankreich
die Besten des ganzen Vcamtennachwnchses sein, die in den Staatsrat „streben"
werden. Das ist berechtigter Ehrgeiz. Jetzt suchen sie ins Parlament zu
kommen, um sich geltend zu machen. Das ist verwerfliches Strebertum. Es
wird dann eine Zeit kommen, wo die Ausschließung der Beamten vom Reichs¬
tage — ein Lieblingsgedanke Fürst Bismarcks — gesetzlich ausgesprochen
werden kann. Sie gehören nicht hinein, denn ihre parlamentarische Unab¬
hängigkeit oder Abhängigkeit wirkt gleich verderblich, jene für die Autorität,
diese für das echte Ehrgefühl. Jetzt sind sie noch unentbehrlich. Schlimm
genug und ein Grund mehr dafür, die parlamentarische Beratung und Beschlu߬
fassung in dem hier verfochtnen Sinne von Zuthaten zu entlasten, die nur
durch eine besondre, technische Schulung bewältigt werden können.

Nicht alle hier vorgctmgnen Anregungen stammen von Fürst Bismarck,
sie lehnen sich jedoch alle an Gedanken an, die er ausgesprochen hat; sie sind
eine Frucht des Bemühens, in seinem Sinne zu wirken und seine Tradition,
fortzupflanzen. So möchten sie aufgenommen, beherzigt und weiterentwickelt
sein. Eigentlich gehört noch die weitere Frage hierher, wie das Bismarckische
Kompromiß in betreff des allgemeinen Wahlrechts vor fernerer Anfechtung zu
schützen sei, sie ist jedoch schon in den Tages- und Parteistreit gezogen und
x deshalb besser besouders zu behandeln.




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[0350] Änderungen der Reichsverfassung führung ist. Wie bei uns der höchste Ehrgeiz des jungen Offiziers dahin geht, zum Generalstab kommandiert zu werden, so strebte, wer in der franzö¬ sischen Verwaltung nach oben kommen wollte, in den Staatsrat. Dessen Weisheit mochte in den grauen Häuptern der mit Sitz und Stimme aus¬ gestatteten eoussillors beruhn, das treibende Leben lag in den jüngern und jugendlichen Berichterstattern und Hilfsarbeitern, die ein- und ausgingen, die örtliche Verwaltung mit den Traditionell und Erfahrungen der Zentralstelle befruchteten und dafür diese immer wieder mit Frische und neuen Gedanken versahen. Alle, jung und alt, fühlten fich als Elite, Aller Liebe, Ehrgeiz und Einfluß kamen der Zentralstelle zu gute. Und diese hatte als Sachver¬ ständigenkollegium die größte Macht, ohne je, nach der einen oder andern Seite, politisch unbequem zu werden. Auch bei uns ist das Rezept anwendbar: ein deutscher Generalstab des Zivildienstes wird für diesen ebensoviel leisten wie der militärische für unser Heer. Der Austausch zwischen Zentralstelle und örtlicher Verwaltung ist etwas umständlicher, aber mit gutem Willen läßt sich das leicht ausgleichen, und wenn auch hier wieder der Haupteinfluß Preußen zufallen muß, so können doch auch die Ankläger des preußische« „Partikularismus" nicht behaupten, daß im Reichs¬ dienst die Richtpreisen zurückgesetzt seien. Und es werden wie in Frankreich die Besten des ganzen Vcamtennachwnchses sein, die in den Staatsrat „streben" werden. Das ist berechtigter Ehrgeiz. Jetzt suchen sie ins Parlament zu kommen, um sich geltend zu machen. Das ist verwerfliches Strebertum. Es wird dann eine Zeit kommen, wo die Ausschließung der Beamten vom Reichs¬ tage — ein Lieblingsgedanke Fürst Bismarcks — gesetzlich ausgesprochen werden kann. Sie gehören nicht hinein, denn ihre parlamentarische Unab¬ hängigkeit oder Abhängigkeit wirkt gleich verderblich, jene für die Autorität, diese für das echte Ehrgefühl. Jetzt sind sie noch unentbehrlich. Schlimm genug und ein Grund mehr dafür, die parlamentarische Beratung und Beschlu߬ fassung in dem hier verfochtnen Sinne von Zuthaten zu entlasten, die nur durch eine besondre, technische Schulung bewältigt werden können. Nicht alle hier vorgctmgnen Anregungen stammen von Fürst Bismarck, sie lehnen sich jedoch alle an Gedanken an, die er ausgesprochen hat; sie sind eine Frucht des Bemühens, in seinem Sinne zu wirken und seine Tradition, fortzupflanzen. So möchten sie aufgenommen, beherzigt und weiterentwickelt sein. Eigentlich gehört noch die weitere Frage hierher, wie das Bismarckische Kompromiß in betreff des allgemeinen Wahlrechts vor fernerer Anfechtung zu schützen sei, sie ist jedoch schon in den Tages- und Parteistreit gezogen und x deshalb besser besouders zu behandeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/350>, abgerufen am 26.05.2024.