Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wohnnugs- und Bodenpolitik

anfeuernden Thatsachenbeispiels, wie es anders sein könnte, und zweitens die
genaue, statistische wissenschaftliche Erforschung der Bewegung der Grundrente,
der damit zusammenhängenden Übelstände und der das ganze treibenden Ur¬
sachen. Das Voigtsche Buch leiste beides: das erste durch die Darlegung
der glänzende" Boden- und Wvhnnngspolitik der Hohenzollern von der Mitte
des siebzehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts; das zweite
durch die wissenschaftliche Erforschung der Entwicklung der Berliner Vororte
bis zur jüngsten Vergangenheit, Das ist in der That viel gesagt, beweist
ein sehr kräftiges Selbstgefühl der jüngern historischen Staatssozialisten und
berechtigt zu hohen Erwartungen. Übrigens haben sich die öffentliche Meinung
und auch kleinere Kreise Eingeweihter unter anderm auch gerade vor dreißig
Jahren sehr eingehend mit dem Problem und den Mitteln zu seiner Lösung
beschäftigt, wie das Referat Ernst Engels in der Eisenacher Versammlung
1872 über "die moderne Wohnungsnot" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1873)
am besten zeigt. Dieses Referat kann aus jeder Seite als eine so sehr vor¬
bildliche und grundlegende Vorarbeit auch für die Voigtschen Untersuchungen
anerkannt werden, daß wenigstens hier daran erinnert werden möge, wenn es
die jungen Forscher für unnötig halten. Die jungen Herren haben weder das
Problem entdeckt, uoch die Ursachen und die Wirkungen zuerst aufgedeckt, noch
auch neue Mittel zur radikalen Lösung gezeigt.

In Voigts Darstellung der Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik bis 1800,
mit der sich die nachstehenden Betrachtungen hauptsächlich beschäftige" sollen,
spiegelt sich die Vorliebe wieder, die Schmoller für die Nationalökonomie der
großen brandcnburgisch-preußischen Regenten vom Großen Kurfürsten bis zu
Friedrich dem Großen in seineu langjährigen archivalischen Forschungen ge¬
wonnen und bethätigt hat, und wer seit anderthalb Menschenaltern und vou
Eltern und Großeltern her gewöhnt ist, das Ganze der staatsmännischen
Leistungen dieser gewaltigen, einzeln wie vollends in ihrer Reihenfolge bei¬
spiellos in der deutschen Geschichte dastehenden Fürsten mit ehrfurchtsvoller
Vewundrung vor Augen zu haben, den wird dieser Zug in dem Voigtschen
Bilde von vornherein sehr sympathisch berühren. Der wird es auch versteh",
wie junge Forscher, von dem Gegenstand hingerissen, der ihnen viele über¬
raschend schöne Seiten zeigt, haben dazu kommen können, was ihnen neu war
für neu entdeckt zu halten und sich hier und da durch eine gewisse Liebhaberei
für die Zeiten vor 1800 zu etwas einseitiger, ungerechter Beurteilung des
neunzehnten Jahrhunderts verleiten zu lassen.

In der innern Politik -- sagt Voigt am Eingang seiner Darstellung
der Bau- und Wohnungspolitik des Merkantilismus -- sei dieser Zeitraum
charakterisiert durch die Ausbildung des absoluten Fürstentums, das in hartem
Ringen die Selbständigkeit der ständischen Gewalten vollends vernichtete, das
den moderne" Staat schuf und mit ihm erst die nationale Volkswirtschaft be¬
gründete. "Es ist die Periode des Merkantilismus, jeues gewaltigen Systems
einer umfassenden staatlichen oder staatssozialistischen Wirtschaftspolitik, die sich


Wohnnugs- und Bodenpolitik

anfeuernden Thatsachenbeispiels, wie es anders sein könnte, und zweitens die
genaue, statistische wissenschaftliche Erforschung der Bewegung der Grundrente,
der damit zusammenhängenden Übelstände und der das ganze treibenden Ur¬
sachen. Das Voigtsche Buch leiste beides: das erste durch die Darlegung
der glänzende» Boden- und Wvhnnngspolitik der Hohenzollern von der Mitte
des siebzehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts; das zweite
durch die wissenschaftliche Erforschung der Entwicklung der Berliner Vororte
bis zur jüngsten Vergangenheit, Das ist in der That viel gesagt, beweist
ein sehr kräftiges Selbstgefühl der jüngern historischen Staatssozialisten und
berechtigt zu hohen Erwartungen. Übrigens haben sich die öffentliche Meinung
und auch kleinere Kreise Eingeweihter unter anderm auch gerade vor dreißig
Jahren sehr eingehend mit dem Problem und den Mitteln zu seiner Lösung
beschäftigt, wie das Referat Ernst Engels in der Eisenacher Versammlung
1872 über „die moderne Wohnungsnot" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1873)
am besten zeigt. Dieses Referat kann aus jeder Seite als eine so sehr vor¬
bildliche und grundlegende Vorarbeit auch für die Voigtschen Untersuchungen
anerkannt werden, daß wenigstens hier daran erinnert werden möge, wenn es
die jungen Forscher für unnötig halten. Die jungen Herren haben weder das
Problem entdeckt, uoch die Ursachen und die Wirkungen zuerst aufgedeckt, noch
auch neue Mittel zur radikalen Lösung gezeigt.

In Voigts Darstellung der Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik bis 1800,
mit der sich die nachstehenden Betrachtungen hauptsächlich beschäftige» sollen,
spiegelt sich die Vorliebe wieder, die Schmoller für die Nationalökonomie der
großen brandcnburgisch-preußischen Regenten vom Großen Kurfürsten bis zu
Friedrich dem Großen in seineu langjährigen archivalischen Forschungen ge¬
wonnen und bethätigt hat, und wer seit anderthalb Menschenaltern und vou
Eltern und Großeltern her gewöhnt ist, das Ganze der staatsmännischen
Leistungen dieser gewaltigen, einzeln wie vollends in ihrer Reihenfolge bei¬
spiellos in der deutschen Geschichte dastehenden Fürsten mit ehrfurchtsvoller
Vewundrung vor Augen zu haben, den wird dieser Zug in dem Voigtschen
Bilde von vornherein sehr sympathisch berühren. Der wird es auch versteh»,
wie junge Forscher, von dem Gegenstand hingerissen, der ihnen viele über¬
raschend schöne Seiten zeigt, haben dazu kommen können, was ihnen neu war
für neu entdeckt zu halten und sich hier und da durch eine gewisse Liebhaberei
für die Zeiten vor 1800 zu etwas einseitiger, ungerechter Beurteilung des
neunzehnten Jahrhunderts verleiten zu lassen.

In der innern Politik — sagt Voigt am Eingang seiner Darstellung
der Bau- und Wohnungspolitik des Merkantilismus — sei dieser Zeitraum
charakterisiert durch die Ausbildung des absoluten Fürstentums, das in hartem
Ringen die Selbständigkeit der ständischen Gewalten vollends vernichtete, das
den moderne» Staat schuf und mit ihm erst die nationale Volkswirtschaft be¬
gründete. „Es ist die Periode des Merkantilismus, jeues gewaltigen Systems
einer umfassenden staatlichen oder staatssozialistischen Wirtschaftspolitik, die sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234882"/>
          <fw type="header" place="top"> Wohnnugs- und Bodenpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1041" prev="#ID_1040"> anfeuernden Thatsachenbeispiels, wie es anders sein könnte, und zweitens die<lb/>
genaue, statistische wissenschaftliche Erforschung der Bewegung der Grundrente,<lb/>
der damit zusammenhängenden Übelstände und der das ganze treibenden Ur¬<lb/>
sachen. Das Voigtsche Buch leiste beides: das erste durch die Darlegung<lb/>
der glänzende» Boden- und Wvhnnngspolitik der Hohenzollern von der Mitte<lb/>
des siebzehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts; das zweite<lb/>
durch die wissenschaftliche Erforschung der Entwicklung der Berliner Vororte<lb/>
bis zur jüngsten Vergangenheit, Das ist in der That viel gesagt, beweist<lb/>
ein sehr kräftiges Selbstgefühl der jüngern historischen Staatssozialisten und<lb/>
berechtigt zu hohen Erwartungen. Übrigens haben sich die öffentliche Meinung<lb/>
und auch kleinere Kreise Eingeweihter unter anderm auch gerade vor dreißig<lb/>
Jahren sehr eingehend mit dem Problem und den Mitteln zu seiner Lösung<lb/>
beschäftigt, wie das Referat Ernst Engels in der Eisenacher Versammlung<lb/>
1872 über &#x201E;die moderne Wohnungsnot" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1873)<lb/>
am besten zeigt. Dieses Referat kann aus jeder Seite als eine so sehr vor¬<lb/>
bildliche und grundlegende Vorarbeit auch für die Voigtschen Untersuchungen<lb/>
anerkannt werden, daß wenigstens hier daran erinnert werden möge, wenn es<lb/>
die jungen Forscher für unnötig halten. Die jungen Herren haben weder das<lb/>
Problem entdeckt, uoch die Ursachen und die Wirkungen zuerst aufgedeckt, noch<lb/>
auch neue Mittel zur radikalen Lösung gezeigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1042"> In Voigts Darstellung der Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik bis 1800,<lb/>
mit der sich die nachstehenden Betrachtungen hauptsächlich beschäftige» sollen,<lb/>
spiegelt sich die Vorliebe wieder, die Schmoller für die Nationalökonomie der<lb/>
großen brandcnburgisch-preußischen Regenten vom Großen Kurfürsten bis zu<lb/>
Friedrich dem Großen in seineu langjährigen archivalischen Forschungen ge¬<lb/>
wonnen und bethätigt hat, und wer seit anderthalb Menschenaltern und vou<lb/>
Eltern und Großeltern her gewöhnt ist, das Ganze der staatsmännischen<lb/>
Leistungen dieser gewaltigen, einzeln wie vollends in ihrer Reihenfolge bei¬<lb/>
spiellos in der deutschen Geschichte dastehenden Fürsten mit ehrfurchtsvoller<lb/>
Vewundrung vor Augen zu haben, den wird dieser Zug in dem Voigtschen<lb/>
Bilde von vornherein sehr sympathisch berühren. Der wird es auch versteh»,<lb/>
wie junge Forscher, von dem Gegenstand hingerissen, der ihnen viele über¬<lb/>
raschend schöne Seiten zeigt, haben dazu kommen können, was ihnen neu war<lb/>
für neu entdeckt zu halten und sich hier und da durch eine gewisse Liebhaberei<lb/>
für die Zeiten vor 1800 zu etwas einseitiger, ungerechter Beurteilung des<lb/>
neunzehnten Jahrhunderts verleiten zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1043" next="#ID_1044"> In der innern Politik &#x2014; sagt Voigt am Eingang seiner Darstellung<lb/>
der Bau- und Wohnungspolitik des Merkantilismus &#x2014; sei dieser Zeitraum<lb/>
charakterisiert durch die Ausbildung des absoluten Fürstentums, das in hartem<lb/>
Ringen die Selbständigkeit der ständischen Gewalten vollends vernichtete, das<lb/>
den moderne» Staat schuf und mit ihm erst die nationale Volkswirtschaft be¬<lb/>
gründete. &#x201E;Es ist die Periode des Merkantilismus, jeues gewaltigen Systems<lb/>
einer umfassenden staatlichen oder staatssozialistischen Wirtschaftspolitik, die sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] Wohnnugs- und Bodenpolitik anfeuernden Thatsachenbeispiels, wie es anders sein könnte, und zweitens die genaue, statistische wissenschaftliche Erforschung der Bewegung der Grundrente, der damit zusammenhängenden Übelstände und der das ganze treibenden Ur¬ sachen. Das Voigtsche Buch leiste beides: das erste durch die Darlegung der glänzende» Boden- und Wvhnnngspolitik der Hohenzollern von der Mitte des siebzehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts; das zweite durch die wissenschaftliche Erforschung der Entwicklung der Berliner Vororte bis zur jüngsten Vergangenheit, Das ist in der That viel gesagt, beweist ein sehr kräftiges Selbstgefühl der jüngern historischen Staatssozialisten und berechtigt zu hohen Erwartungen. Übrigens haben sich die öffentliche Meinung und auch kleinere Kreise Eingeweihter unter anderm auch gerade vor dreißig Jahren sehr eingehend mit dem Problem und den Mitteln zu seiner Lösung beschäftigt, wie das Referat Ernst Engels in der Eisenacher Versammlung 1872 über „die moderne Wohnungsnot" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1873) am besten zeigt. Dieses Referat kann aus jeder Seite als eine so sehr vor¬ bildliche und grundlegende Vorarbeit auch für die Voigtschen Untersuchungen anerkannt werden, daß wenigstens hier daran erinnert werden möge, wenn es die jungen Forscher für unnötig halten. Die jungen Herren haben weder das Problem entdeckt, uoch die Ursachen und die Wirkungen zuerst aufgedeckt, noch auch neue Mittel zur radikalen Lösung gezeigt. In Voigts Darstellung der Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik bis 1800, mit der sich die nachstehenden Betrachtungen hauptsächlich beschäftige» sollen, spiegelt sich die Vorliebe wieder, die Schmoller für die Nationalökonomie der großen brandcnburgisch-preußischen Regenten vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen in seineu langjährigen archivalischen Forschungen ge¬ wonnen und bethätigt hat, und wer seit anderthalb Menschenaltern und vou Eltern und Großeltern her gewöhnt ist, das Ganze der staatsmännischen Leistungen dieser gewaltigen, einzeln wie vollends in ihrer Reihenfolge bei¬ spiellos in der deutschen Geschichte dastehenden Fürsten mit ehrfurchtsvoller Vewundrung vor Augen zu haben, den wird dieser Zug in dem Voigtschen Bilde von vornherein sehr sympathisch berühren. Der wird es auch versteh», wie junge Forscher, von dem Gegenstand hingerissen, der ihnen viele über¬ raschend schöne Seiten zeigt, haben dazu kommen können, was ihnen neu war für neu entdeckt zu halten und sich hier und da durch eine gewisse Liebhaberei für die Zeiten vor 1800 zu etwas einseitiger, ungerechter Beurteilung des neunzehnten Jahrhunderts verleiten zu lassen. In der innern Politik — sagt Voigt am Eingang seiner Darstellung der Bau- und Wohnungspolitik des Merkantilismus — sei dieser Zeitraum charakterisiert durch die Ausbildung des absoluten Fürstentums, das in hartem Ringen die Selbständigkeit der ständischen Gewalten vollends vernichtete, das den moderne» Staat schuf und mit ihm erst die nationale Volkswirtschaft be¬ gründete. „Es ist die Periode des Merkantilismus, jeues gewaltigen Systems einer umfassenden staatlichen oder staatssozialistischen Wirtschaftspolitik, die sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/352>, abgerufen am 26.05.2024.