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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Uunicißgeblichos

Eine Weile später kamen Valentin und Kunigunde, uns abzuholen. Der
Meister schloß sich von der Gesellschaft aus; er wollte ein wenig auf die Zunft¬
stube und dann auf dem bequemen Weg am Neckar hinab nach dem Anger. Wir
viere spazierten langsam nach dem Klingenteiche zu.

Valentin und seine Braut waren ein wunderschönes Paar. Alle Kopfe
wandten sich nach ihnen um, und die Leute, die an den offnen Fenstern saßen,
standen auf und schauten ihnen nach. Margarete, die hinter Kunigunde und neben
mir ging, wurde nicht müde, das stattliche Brautpaar leise zu bewundern. Immer
wieder winkte sie mit den Augen nach ihnen hin und schaute mich darauf glück¬
strahlend an. Meine selige Mutter und mein Vater waren auch ein stolzes Paar,
sagte sie nur, als wir beide noch unter der Wölbung des Klingenthores gingen,
während die zwei andern stolz und schön im Sonnenschein vor uns den Berg hinan
stiegen.

Mancher Seufzer quoll mir in der Brust, aber er kam nicht ans Licht. Auch
wollte es mir nicht gelingen, recht von Herzen traurig zu sein. Margarete an
meiner Seite war ein gar zu sanfter Trost.

Wir gingen nnter den grünen Bäumen die Schlucht hinauf. Die Vögel
sangen nicht, aber sie flatterten im Gebüsch umher, und auf den Blumen und reifen
Gräsern wiegten sich bunte Falter. So kamen wir an den Riesenstein. Hier war
es schattig und still, wie in der Kirche.

Noch heute stehn auf dem einsamen Platz die zwei Bänke, auf die wir uns
paarweise setzten. Von der einen Bank kann man nicht zur audern sehen, denn
dazwischen liegen die großen Steine, die vor alters von den Riesen auf dem
Michelsbcrg herübergeworfen worden sind. Von den beiden da drüben hinter den
Felsen hörte man keinen Laut, und anch wir zwei waren an dem stillen Ort und
auf dem trauten Sitz wie von selber ins Flüstern gekommen. Ich hatte meinen
Arm uni Margarete gelegt, und sie erzählte mir von ihrer seligen Mutter.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Brief aus China.

Die Deutschen in Ostasien haben den deutsch-
englischen Vertrag mit Befriedigung aufgenommen. Seine Ziele sind Zeichen einer
weitschnnenden Politik. Vorläufig ist England noch der erste Handelsstnat der
Erde. Der Union Jack beherrscht die Märkte Ostasiens, aber neuerdings wächst der
nicht mehr zu hemmende Wettbewerb Deutschlands, der Vereinigten Staaten und
des durch seine Lage bevorzugten Japans. Rußland will durch die Eisenbahn und
den Kosak von Norden und Westen her die ihm noch nicht botmäßigen Teile Asiens
umklammern. Was ihm kriegerische Eroberung nicht bringt, zieht es in friedlicher
Annexion an sich. Die Mandschurei soll ihm ein neues Buchara und Chiwa
werden. Alle Versicherungen von "vorübergehendem Einschreiten, um Ruhe und
Ordnung herzustellen," können nicht über die eiserne Stetigkeit der russischen Politik
hinwegtäuschen. Aber gerade bei dem rastlosen Vorwärtsschreiten des russischen
Militärstaats bleibt der russische Kaufmann, der ohnehin nicht wirtschaftlich und
spekulativ angelegt ist, weit zurück. Der fremde Kaufmann von deutscher, frcmzö-


Maßgebliches und Uunicißgeblichos

Eine Weile später kamen Valentin und Kunigunde, uns abzuholen. Der
Meister schloß sich von der Gesellschaft aus; er wollte ein wenig auf die Zunft¬
stube und dann auf dem bequemen Weg am Neckar hinab nach dem Anger. Wir
viere spazierten langsam nach dem Klingenteiche zu.

Valentin und seine Braut waren ein wunderschönes Paar. Alle Kopfe
wandten sich nach ihnen um, und die Leute, die an den offnen Fenstern saßen,
standen auf und schauten ihnen nach. Margarete, die hinter Kunigunde und neben
mir ging, wurde nicht müde, das stattliche Brautpaar leise zu bewundern. Immer
wieder winkte sie mit den Augen nach ihnen hin und schaute mich darauf glück¬
strahlend an. Meine selige Mutter und mein Vater waren auch ein stolzes Paar,
sagte sie nur, als wir beide noch unter der Wölbung des Klingenthores gingen,
während die zwei andern stolz und schön im Sonnenschein vor uns den Berg hinan
stiegen.

Mancher Seufzer quoll mir in der Brust, aber er kam nicht ans Licht. Auch
wollte es mir nicht gelingen, recht von Herzen traurig zu sein. Margarete an
meiner Seite war ein gar zu sanfter Trost.

Wir gingen nnter den grünen Bäumen die Schlucht hinauf. Die Vögel
sangen nicht, aber sie flatterten im Gebüsch umher, und auf den Blumen und reifen
Gräsern wiegten sich bunte Falter. So kamen wir an den Riesenstein. Hier war
es schattig und still, wie in der Kirche.

Noch heute stehn auf dem einsamen Platz die zwei Bänke, auf die wir uns
paarweise setzten. Von der einen Bank kann man nicht zur audern sehen, denn
dazwischen liegen die großen Steine, die vor alters von den Riesen auf dem
Michelsbcrg herübergeworfen worden sind. Von den beiden da drüben hinter den
Felsen hörte man keinen Laut, und anch wir zwei waren an dem stillen Ort und
auf dem trauten Sitz wie von selber ins Flüstern gekommen. Ich hatte meinen
Arm uni Margarete gelegt, und sie erzählte mir von ihrer seligen Mutter.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Brief aus China.

Die Deutschen in Ostasien haben den deutsch-
englischen Vertrag mit Befriedigung aufgenommen. Seine Ziele sind Zeichen einer
weitschnnenden Politik. Vorläufig ist England noch der erste Handelsstnat der
Erde. Der Union Jack beherrscht die Märkte Ostasiens, aber neuerdings wächst der
nicht mehr zu hemmende Wettbewerb Deutschlands, der Vereinigten Staaten und
des durch seine Lage bevorzugten Japans. Rußland will durch die Eisenbahn und
den Kosak von Norden und Westen her die ihm noch nicht botmäßigen Teile Asiens
umklammern. Was ihm kriegerische Eroberung nicht bringt, zieht es in friedlicher
Annexion an sich. Die Mandschurei soll ihm ein neues Buchara und Chiwa
werden. Alle Versicherungen von „vorübergehendem Einschreiten, um Ruhe und
Ordnung herzustellen," können nicht über die eiserne Stetigkeit der russischen Politik
hinwegtäuschen. Aber gerade bei dem rastlosen Vorwärtsschreiten des russischen
Militärstaats bleibt der russische Kaufmann, der ohnehin nicht wirtschaftlich und
spekulativ angelegt ist, weit zurück. Der fremde Kaufmann von deutscher, frcmzö-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/150>, abgerufen am 28.04.2024.