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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Stendhal

er unter seinem Schriftstelleruameu Stendhal bekannte, 1842 in
Paris gestorbne Henri Beyle war ein Gegner sowohl des hohen,
rhetorischen Stils der französischen klassischen Tragödie wie der
mit Gefühlserregungen wirkenden, wortreichen Romantik, sein
Ideal war ein Ausdruck, der das klare Bild der Sache geben
und womöglich nichts von der Kunst des Schriftstellers merken lassen sollte;
außerdem vermißte er als feiner Kenner der bildende" Künste und der Musik
in der bisherigen französischen Litteratur die Nutzbarmachung dieser Kräfte für
das menschliche Denken und seine Äußerung durch die Sprache. Montaigne,
so sagt er, kam siebzehn Jahre nach dem Tode Michelangelos durch Florenz,
aber diesem Manne, dessen Genie darin bestand, die Besonderheiten eines Volks
zu ergründen, hatten die damals in ihrer ganzen Frische blühenden Fresken
offenbar nichts zu sagen. Voltaires esxrit würde für sie höchstens ein Achsel¬
zucken und ein witziges Epigramm gehabt haben. Frau von Staels Kunst-
Pathos, das alle Zwischentöne ausschließe, müsse edle Seelen empören. Rousseau,
der hinreißendste französische Prosaschriftsteller, in Bezug auf die Künste be¬
kanntlich ein Barbar, übertreibe die Wirkungen der Natur, um sie fühlbarer
zu machen, diese erste Stufe des Geschmacks vermöge wohl einen Augenblick
stark zu wirken, aber auf einer höhern Stufe kämen die ärgerlichen Rück¬
wirkungen: in den feiner fühlenden Menschen des neunzehnten Jahrhunderts
rege sich, wenn sie Übertreibung wittern, nur noch die Ironie. Diderots
Herzenswärme für die Kunst konnte Stendhal nicht entgehn, aber, so meint
er, hätte er mit zwanzig Jahren die Schule der Welt in den, Salon einer
großen Dame durchgemacht, so wäre seine Emphase verschwunden, denn sie sei
"ur ein Nest provenzalischer Jugcndunreife. Stendhal nun möchte seine eigne
Drache, die im Vergleich zu der der meisten andern wortkarg ist, wie ein
Präzisionsinstrument auf die feinsten Eindrücke der Seele einstellen, und dazu
'uusz eine weitgetriebne Selbstbeobachtung mithelfen, eine nicht mehr gesunde
espiegelung der eignen Seele, die wie ein über die Quelle gebeugter Narziß
Ach an ihrem Bilde freut und dessen einzelne Züge gewissermaßen nach-
.Mhncnd uns andern zum Bewußtsein bringt. Dieser ssM ä'^g-l^öl, so lautet
^r Kunstausdruck, führt zum ä6äoublömsi,t, dessen litterarischer Niederschlag
^ounml intim" ist, ein vor und nach Stendhal vielgebrauchtes Wort,
und' >^ ^rkung dieser Kunstmittel bei Stendhal anlangt, der einige Romane
eme große Menge tagebuchartiger Mitteilungen hinterlassen hat, so finden
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Stendhal

er unter seinem Schriftstelleruameu Stendhal bekannte, 1842 in
Paris gestorbne Henri Beyle war ein Gegner sowohl des hohen,
rhetorischen Stils der französischen klassischen Tragödie wie der
mit Gefühlserregungen wirkenden, wortreichen Romantik, sein
Ideal war ein Ausdruck, der das klare Bild der Sache geben
und womöglich nichts von der Kunst des Schriftstellers merken lassen sollte;
außerdem vermißte er als feiner Kenner der bildende» Künste und der Musik
in der bisherigen französischen Litteratur die Nutzbarmachung dieser Kräfte für
das menschliche Denken und seine Äußerung durch die Sprache. Montaigne,
so sagt er, kam siebzehn Jahre nach dem Tode Michelangelos durch Florenz,
aber diesem Manne, dessen Genie darin bestand, die Besonderheiten eines Volks
zu ergründen, hatten die damals in ihrer ganzen Frische blühenden Fresken
offenbar nichts zu sagen. Voltaires esxrit würde für sie höchstens ein Achsel¬
zucken und ein witziges Epigramm gehabt haben. Frau von Staels Kunst-
Pathos, das alle Zwischentöne ausschließe, müsse edle Seelen empören. Rousseau,
der hinreißendste französische Prosaschriftsteller, in Bezug auf die Künste be¬
kanntlich ein Barbar, übertreibe die Wirkungen der Natur, um sie fühlbarer
zu machen, diese erste Stufe des Geschmacks vermöge wohl einen Augenblick
stark zu wirken, aber auf einer höhern Stufe kämen die ärgerlichen Rück¬
wirkungen: in den feiner fühlenden Menschen des neunzehnten Jahrhunderts
rege sich, wenn sie Übertreibung wittern, nur noch die Ironie. Diderots
Herzenswärme für die Kunst konnte Stendhal nicht entgehn, aber, so meint
er, hätte er mit zwanzig Jahren die Schule der Welt in den, Salon einer
großen Dame durchgemacht, so wäre seine Emphase verschwunden, denn sie sei
"ur ein Nest provenzalischer Jugcndunreife. Stendhal nun möchte seine eigne
Drache, die im Vergleich zu der der meisten andern wortkarg ist, wie ein
Präzisionsinstrument auf die feinsten Eindrücke der Seele einstellen, und dazu
'uusz eine weitgetriebne Selbstbeobachtung mithelfen, eine nicht mehr gesunde
espiegelung der eignen Seele, die wie ein über die Quelle gebeugter Narziß
Ach an ihrem Bilde freut und dessen einzelne Züge gewissermaßen nach-
.Mhncnd uns andern zum Bewußtsein bringt. Dieser ssM ä'^g-l^öl, so lautet
^r Kunstausdruck, führt zum ä6äoublömsi,t, dessen litterarischer Niederschlag
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eme große Menge tagebuchartiger Mitteilungen hinterlassen hat, so finden
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[0281] [Abbildung] Stendhal er unter seinem Schriftstelleruameu Stendhal bekannte, 1842 in Paris gestorbne Henri Beyle war ein Gegner sowohl des hohen, rhetorischen Stils der französischen klassischen Tragödie wie der mit Gefühlserregungen wirkenden, wortreichen Romantik, sein Ideal war ein Ausdruck, der das klare Bild der Sache geben und womöglich nichts von der Kunst des Schriftstellers merken lassen sollte; außerdem vermißte er als feiner Kenner der bildende» Künste und der Musik in der bisherigen französischen Litteratur die Nutzbarmachung dieser Kräfte für das menschliche Denken und seine Äußerung durch die Sprache. Montaigne, so sagt er, kam siebzehn Jahre nach dem Tode Michelangelos durch Florenz, aber diesem Manne, dessen Genie darin bestand, die Besonderheiten eines Volks zu ergründen, hatten die damals in ihrer ganzen Frische blühenden Fresken offenbar nichts zu sagen. Voltaires esxrit würde für sie höchstens ein Achsel¬ zucken und ein witziges Epigramm gehabt haben. Frau von Staels Kunst- Pathos, das alle Zwischentöne ausschließe, müsse edle Seelen empören. Rousseau, der hinreißendste französische Prosaschriftsteller, in Bezug auf die Künste be¬ kanntlich ein Barbar, übertreibe die Wirkungen der Natur, um sie fühlbarer zu machen, diese erste Stufe des Geschmacks vermöge wohl einen Augenblick stark zu wirken, aber auf einer höhern Stufe kämen die ärgerlichen Rück¬ wirkungen: in den feiner fühlenden Menschen des neunzehnten Jahrhunderts rege sich, wenn sie Übertreibung wittern, nur noch die Ironie. Diderots Herzenswärme für die Kunst konnte Stendhal nicht entgehn, aber, so meint er, hätte er mit zwanzig Jahren die Schule der Welt in den, Salon einer großen Dame durchgemacht, so wäre seine Emphase verschwunden, denn sie sei "ur ein Nest provenzalischer Jugcndunreife. Stendhal nun möchte seine eigne Drache, die im Vergleich zu der der meisten andern wortkarg ist, wie ein Präzisionsinstrument auf die feinsten Eindrücke der Seele einstellen, und dazu 'uusz eine weitgetriebne Selbstbeobachtung mithelfen, eine nicht mehr gesunde espiegelung der eignen Seele, die wie ein über die Quelle gebeugter Narziß Ach an ihrem Bilde freut und dessen einzelne Züge gewissermaßen nach- .Mhncnd uns andern zum Bewußtsein bringt. Dieser ssM ä'^g-l^öl, so lautet ^r Kunstausdruck, führt zum ä6äoublömsi,t, dessen litterarischer Niederschlag ^ounml intim« ist, ein vor und nach Stendhal vielgebrauchtes Wort, und' >^ ^rkung dieser Kunstmittel bei Stendhal anlangt, der einige Romane eme große Menge tagebuchartiger Mitteilungen hinterlassen hat, so finden ^>^. nzbote» III igg; ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/281>, abgerufen am 28.04.2024.