Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Holland und Deutschland

Bedeutung für Deutschland. Wenn sie in der Absicht geplant sein sollte, daß
sie im Falle eines Kriegs nur zu einer mechanischen Hilfeleistung bereit sein
solle, wie etwa die Truppen und Seestreitkräfte des Dreibunds zu gegenseitiger
Unterstützung unter ganz bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sind, so kann
uns mit einem solchen Vorhaben nicht im mindesten gedient sein.

Nicht auf einen Vertrag kommt es uns an, den das Umsetzen des Windes
wieder wegbläst, sondern auf eine Verschmelzung, die auf einem von beiden
Völkern anerkannten Gesetze beruht. Deutschland und Holland stehn und
fallen miteinander, dem einen muß an der Erhaltung des andern gleich viel
gelegen sein. Dies ist der Grundsatz, der in dem ersten Paragraphen des
einigenden Gesetzes zum Ausdruck kommen müßte. Dahin drangt alles: die
gleiche Lage und das gleiche Volkstum, derselbe Geist und dieselbe Sprache,
die gleiche Richtung der realen und der idealen Interessen, vor allem aber
die Notlage, in der Holland ist.

Was ist es denn, was in den Niederländern innerlich so schwer zu über¬
winden ist, was sich immer wieder sperrt und' mit schattenhaften Gründen da¬
gegen auflehnt, den rückhaltlosen Anschluß an das mächtige Deutschland zu
suchen? Nichts andres, als der Widerspruch gegen den Geist einheitlicher
straffer Ordnung, der einstmals der eines de Richter und der Oranier war,
und der jetzt von ihren deutschen Nachbarn in die feste dauernde Regel und
in das allen gleiche System gebracht ist. In der Zeit der Blüte und des
Glanzes hat diese Auflehnung mehr als einmal Holland in schwere Krisen ge¬
zogen. Später ist sie eine der Ursachen für den Verfall der holländischen
Macht und die einzige für ihr tiefes Sinken gewesen. Auch jetzt "och, wo
die Entscheidungsstuude über die Existenz der Niederlande vor der Thür steht,
sind diese Gewalten thätig, den einzigen Weg zu verlegen, der bergan führt.

Wenn die Niederländer sich Deutschland anschließen wollen, so wird ihnen
folgendes in Aussicht gestellt: erstens die wirtschaftliche Gleichstellung auf
Grund einer durch Vertrag herbeigeführten Zolleinigung, zweitens die Gewähr¬
leistung ihrer inncrpolitischen Selbständigkeit, drittens in allen außerpolitischen
Angelegenheiten ein Bündnis mit Deutschland, das durch ein für beide Staaten
verbindliches Gesetz garantiert wird. Ist es da so schwer, die Wahl zu treffen?
Auf seine Sicherstellung unter dem Schutz der Neutralität auch jetzt uoch zu
rechnen, kann Holland das eine kosten, worauf es Wert legen muß, zugleich
mit dem andern, worauf Wert zu legen eine Thorheit wäre. Freiwillig die
Führung in den auswärtigen politischen Angelegenheiten und besonders in den
Dingen des Kriegs in die Hand des Starken zu legen, bringt immer Ehre,
aber aus unverständigen Trotz und aus unberechtigten Stolz die Freiheit des
volkswirtschaftlichen Lebens und die Selbständigkeit seiner Gesetzgebung preis¬
zugeben, hat nicht bloß den Schaden, sondern auch den Schimpf zur Folge.




Holland und Deutschland

Bedeutung für Deutschland. Wenn sie in der Absicht geplant sein sollte, daß
sie im Falle eines Kriegs nur zu einer mechanischen Hilfeleistung bereit sein
solle, wie etwa die Truppen und Seestreitkräfte des Dreibunds zu gegenseitiger
Unterstützung unter ganz bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sind, so kann
uns mit einem solchen Vorhaben nicht im mindesten gedient sein.

Nicht auf einen Vertrag kommt es uns an, den das Umsetzen des Windes
wieder wegbläst, sondern auf eine Verschmelzung, die auf einem von beiden
Völkern anerkannten Gesetze beruht. Deutschland und Holland stehn und
fallen miteinander, dem einen muß an der Erhaltung des andern gleich viel
gelegen sein. Dies ist der Grundsatz, der in dem ersten Paragraphen des
einigenden Gesetzes zum Ausdruck kommen müßte. Dahin drangt alles: die
gleiche Lage und das gleiche Volkstum, derselbe Geist und dieselbe Sprache,
die gleiche Richtung der realen und der idealen Interessen, vor allem aber
die Notlage, in der Holland ist.

Was ist es denn, was in den Niederländern innerlich so schwer zu über¬
winden ist, was sich immer wieder sperrt und' mit schattenhaften Gründen da¬
gegen auflehnt, den rückhaltlosen Anschluß an das mächtige Deutschland zu
suchen? Nichts andres, als der Widerspruch gegen den Geist einheitlicher
straffer Ordnung, der einstmals der eines de Richter und der Oranier war,
und der jetzt von ihren deutschen Nachbarn in die feste dauernde Regel und
in das allen gleiche System gebracht ist. In der Zeit der Blüte und des
Glanzes hat diese Auflehnung mehr als einmal Holland in schwere Krisen ge¬
zogen. Später ist sie eine der Ursachen für den Verfall der holländischen
Macht und die einzige für ihr tiefes Sinken gewesen. Auch jetzt »och, wo
die Entscheidungsstuude über die Existenz der Niederlande vor der Thür steht,
sind diese Gewalten thätig, den einzigen Weg zu verlegen, der bergan führt.

Wenn die Niederländer sich Deutschland anschließen wollen, so wird ihnen
folgendes in Aussicht gestellt: erstens die wirtschaftliche Gleichstellung auf
Grund einer durch Vertrag herbeigeführten Zolleinigung, zweitens die Gewähr¬
leistung ihrer inncrpolitischen Selbständigkeit, drittens in allen außerpolitischen
Angelegenheiten ein Bündnis mit Deutschland, das durch ein für beide Staaten
verbindliches Gesetz garantiert wird. Ist es da so schwer, die Wahl zu treffen?
Auf seine Sicherstellung unter dem Schutz der Neutralität auch jetzt uoch zu
rechnen, kann Holland das eine kosten, worauf es Wert legen muß, zugleich
mit dem andern, worauf Wert zu legen eine Thorheit wäre. Freiwillig die
Führung in den auswärtigen politischen Angelegenheiten und besonders in den
Dingen des Kriegs in die Hand des Starken zu legen, bringt immer Ehre,
aber aus unverständigen Trotz und aus unberechtigten Stolz die Freiheit des
volkswirtschaftlichen Lebens und die Selbständigkeit seiner Gesetzgebung preis¬
zugeben, hat nicht bloß den Schaden, sondern auch den Schimpf zur Folge.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235452"/>
          <fw type="header" place="top"> Holland und Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1311" prev="#ID_1310"> Bedeutung für Deutschland. Wenn sie in der Absicht geplant sein sollte, daß<lb/>
sie im Falle eines Kriegs nur zu einer mechanischen Hilfeleistung bereit sein<lb/>
solle, wie etwa die Truppen und Seestreitkräfte des Dreibunds zu gegenseitiger<lb/>
Unterstützung unter ganz bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sind, so kann<lb/>
uns mit einem solchen Vorhaben nicht im mindesten gedient sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1312"> Nicht auf einen Vertrag kommt es uns an, den das Umsetzen des Windes<lb/>
wieder wegbläst, sondern auf eine Verschmelzung, die auf einem von beiden<lb/>
Völkern anerkannten Gesetze beruht. Deutschland und Holland stehn und<lb/>
fallen miteinander, dem einen muß an der Erhaltung des andern gleich viel<lb/>
gelegen sein. Dies ist der Grundsatz, der in dem ersten Paragraphen des<lb/>
einigenden Gesetzes zum Ausdruck kommen müßte. Dahin drangt alles: die<lb/>
gleiche Lage und das gleiche Volkstum, derselbe Geist und dieselbe Sprache,<lb/>
die gleiche Richtung der realen und der idealen Interessen, vor allem aber<lb/>
die Notlage, in der Holland ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1313"> Was ist es denn, was in den Niederländern innerlich so schwer zu über¬<lb/>
winden ist, was sich immer wieder sperrt und' mit schattenhaften Gründen da¬<lb/>
gegen auflehnt, den rückhaltlosen Anschluß an das mächtige Deutschland zu<lb/>
suchen? Nichts andres, als der Widerspruch gegen den Geist einheitlicher<lb/>
straffer Ordnung, der einstmals der eines de Richter und der Oranier war,<lb/>
und der jetzt von ihren deutschen Nachbarn in die feste dauernde Regel und<lb/>
in das allen gleiche System gebracht ist. In der Zeit der Blüte und des<lb/>
Glanzes hat diese Auflehnung mehr als einmal Holland in schwere Krisen ge¬<lb/>
zogen. Später ist sie eine der Ursachen für den Verfall der holländischen<lb/>
Macht und die einzige für ihr tiefes Sinken gewesen. Auch jetzt »och, wo<lb/>
die Entscheidungsstuude über die Existenz der Niederlande vor der Thür steht,<lb/>
sind diese Gewalten thätig, den einzigen Weg zu verlegen, der bergan führt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1314"> Wenn die Niederländer sich Deutschland anschließen wollen, so wird ihnen<lb/>
folgendes in Aussicht gestellt: erstens die wirtschaftliche Gleichstellung auf<lb/>
Grund einer durch Vertrag herbeigeführten Zolleinigung, zweitens die Gewähr¬<lb/>
leistung ihrer inncrpolitischen Selbständigkeit, drittens in allen außerpolitischen<lb/>
Angelegenheiten ein Bündnis mit Deutschland, das durch ein für beide Staaten<lb/>
verbindliches Gesetz garantiert wird. Ist es da so schwer, die Wahl zu treffen?<lb/>
Auf seine Sicherstellung unter dem Schutz der Neutralität auch jetzt uoch zu<lb/>
rechnen, kann Holland das eine kosten, worauf es Wert legen muß, zugleich<lb/>
mit dem andern, worauf Wert zu legen eine Thorheit wäre. Freiwillig die<lb/>
Führung in den auswärtigen politischen Angelegenheiten und besonders in den<lb/>
Dingen des Kriegs in die Hand des Starken zu legen, bringt immer Ehre,<lb/>
aber aus unverständigen Trotz und aus unberechtigten Stolz die Freiheit des<lb/>
volkswirtschaftlichen Lebens und die Selbständigkeit seiner Gesetzgebung preis¬<lb/>
zugeben, hat nicht bloß den Schaden, sondern auch den Schimpf zur Folge.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] Holland und Deutschland Bedeutung für Deutschland. Wenn sie in der Absicht geplant sein sollte, daß sie im Falle eines Kriegs nur zu einer mechanischen Hilfeleistung bereit sein solle, wie etwa die Truppen und Seestreitkräfte des Dreibunds zu gegenseitiger Unterstützung unter ganz bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sind, so kann uns mit einem solchen Vorhaben nicht im mindesten gedient sein. Nicht auf einen Vertrag kommt es uns an, den das Umsetzen des Windes wieder wegbläst, sondern auf eine Verschmelzung, die auf einem von beiden Völkern anerkannten Gesetze beruht. Deutschland und Holland stehn und fallen miteinander, dem einen muß an der Erhaltung des andern gleich viel gelegen sein. Dies ist der Grundsatz, der in dem ersten Paragraphen des einigenden Gesetzes zum Ausdruck kommen müßte. Dahin drangt alles: die gleiche Lage und das gleiche Volkstum, derselbe Geist und dieselbe Sprache, die gleiche Richtung der realen und der idealen Interessen, vor allem aber die Notlage, in der Holland ist. Was ist es denn, was in den Niederländern innerlich so schwer zu über¬ winden ist, was sich immer wieder sperrt und' mit schattenhaften Gründen da¬ gegen auflehnt, den rückhaltlosen Anschluß an das mächtige Deutschland zu suchen? Nichts andres, als der Widerspruch gegen den Geist einheitlicher straffer Ordnung, der einstmals der eines de Richter und der Oranier war, und der jetzt von ihren deutschen Nachbarn in die feste dauernde Regel und in das allen gleiche System gebracht ist. In der Zeit der Blüte und des Glanzes hat diese Auflehnung mehr als einmal Holland in schwere Krisen ge¬ zogen. Später ist sie eine der Ursachen für den Verfall der holländischen Macht und die einzige für ihr tiefes Sinken gewesen. Auch jetzt »och, wo die Entscheidungsstuude über die Existenz der Niederlande vor der Thür steht, sind diese Gewalten thätig, den einzigen Weg zu verlegen, der bergan führt. Wenn die Niederländer sich Deutschland anschließen wollen, so wird ihnen folgendes in Aussicht gestellt: erstens die wirtschaftliche Gleichstellung auf Grund einer durch Vertrag herbeigeführten Zolleinigung, zweitens die Gewähr¬ leistung ihrer inncrpolitischen Selbständigkeit, drittens in allen außerpolitischen Angelegenheiten ein Bündnis mit Deutschland, das durch ein für beide Staaten verbindliches Gesetz garantiert wird. Ist es da so schwer, die Wahl zu treffen? Auf seine Sicherstellung unter dem Schutz der Neutralität auch jetzt uoch zu rechnen, kann Holland das eine kosten, worauf es Wert legen muß, zugleich mit dem andern, worauf Wert zu legen eine Thorheit wäre. Freiwillig die Führung in den auswärtigen politischen Angelegenheiten und besonders in den Dingen des Kriegs in die Hand des Starken zu legen, bringt immer Ehre, aber aus unverständigen Trotz und aus unberechtigten Stolz die Freiheit des volkswirtschaftlichen Lebens und die Selbständigkeit seiner Gesetzgebung preis¬ zugeben, hat nicht bloß den Schaden, sondern auch den Schimpf zur Folge.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/280>, abgerufen am 14.05.2024.