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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der wildfang

Monate gelebt." Er starb nämlich gerade ein Jahr vor dem Kaiser, 1557.
Sehr geistreich sind die Bemerkungen über die Frauen in Mailand, Florenz
und Rom, in Paris und England, so erstaunlich konkret, daß man denkt, sie
müßten auch alle so richtig sein wie die eine über die Schönheit der englischen
Kinder, wozu dem Leser ohne weiteres Bilder von Joshua Rehnolds einfallen
werden. Am schlechtesten kommen die französischen Frauen weg, wie denn
überhaupt Stendhal wohl von sämtlichen Schriftstellern seinen Landsleuten
die stärksten Dinge gesagt hat. Davon handelt Rüttenauers reichhaltige und
lebhafte Einleitung, in der nur die Pvsauucustöße auf Nietzsche komisch stark
vvrkliugcu. Bei etmas weniger Gebläse wären sie auch noch hörbar ge¬
wesen.




9er lvildfang
v Adolf Schmitthenner on(Schluß)

er folgende Teig war trüb und windig. Vom frühe" Morgen an
war es in der Stadt lebendig, und als es nenn Uhr schlug, waren
die Gassen und Straßen, durch die Valentin geführt werden sollte,
auf beiden Seiten an den Häusern hin durch dicke Streifen harrender
Menschen eingefaßt. Die Leute warteten still, ohne zu sprechen, wie
man in der Kirche wartet. Wenn zwei zusammen redeten, dann
thaten sich flüsternd; von den schlimmen Zeiten erzählten sie sich, daß das Wasser
im Schloßgrnben am Geburtstag der Kurfürstin blutrot ausgesehen habe, und daß
der schauerliche Ausgang der Lustbarkeit in Mord und Brand nichts Gutes bedeute
für die Pfalz und für Heidelberg. Die Gemüter waren gedrückt, und die Angesichter
voll Traurigkeit, und wenn zwei miteinander von Valentin und Gerwig redeten,
traten ihnen Thränen in die Augen.

Ich hatte meinen Platz da, wo die Haspelgasse in die Hauptstraße mündet,
und konnte von meinem Standort sowohl die Straße gegen das Rathaus zu als
""es das Tnrmpförtlein im Auge behalten.

Um neun Uhr fing die Armcsüuderglvcke zu läuten an. Die zusammen ge¬
redet hatten, brachen das Gespräch ab. Die Glocke klang fest und sicher wie sonst.
^ Augen waren nach der Richtung gewandt, von wo der Zug erwartet wurde,

n". eine Viertelstunde mochte es geläutet haben. Da hörte man ein Ge-
Mfter heraurauschcn: Er kommt! Ich beugte mich vor und sah den Meister Hans,
de^ ^"^zur. dem Zuge vvranschritt. Er war im scharlachroten Wams nud hatte
nu - ' ^'in meinem armen Gesellen die Glieder gebrochen werden sollten,
c>elo ^ Schulter gelegt, Hinter ihm fuhr der Karren, von zwei schwarzen Rossen
Sonst^ Knechte, von denen einer das Gespann lenkte, saßen nach vorn,
die ^ '""^ us nichts sehen. Langsam kam der Zug näher. Der Henker hatte
^'rede erreicht. Jetzt horte es zu lauten auf. Gleich darauf faßte jemand


Der wildfang

Monate gelebt." Er starb nämlich gerade ein Jahr vor dem Kaiser, 1557.
Sehr geistreich sind die Bemerkungen über die Frauen in Mailand, Florenz
und Rom, in Paris und England, so erstaunlich konkret, daß man denkt, sie
müßten auch alle so richtig sein wie die eine über die Schönheit der englischen
Kinder, wozu dem Leser ohne weiteres Bilder von Joshua Rehnolds einfallen
werden. Am schlechtesten kommen die französischen Frauen weg, wie denn
überhaupt Stendhal wohl von sämtlichen Schriftstellern seinen Landsleuten
die stärksten Dinge gesagt hat. Davon handelt Rüttenauers reichhaltige und
lebhafte Einleitung, in der nur die Pvsauucustöße auf Nietzsche komisch stark
vvrkliugcu. Bei etmas weniger Gebläse wären sie auch noch hörbar ge¬
wesen.




9er lvildfang
v Adolf Schmitthenner on(Schluß)

er folgende Teig war trüb und windig. Vom frühe» Morgen an
war es in der Stadt lebendig, und als es nenn Uhr schlug, waren
die Gassen und Straßen, durch die Valentin geführt werden sollte,
auf beiden Seiten an den Häusern hin durch dicke Streifen harrender
Menschen eingefaßt. Die Leute warteten still, ohne zu sprechen, wie
man in der Kirche wartet. Wenn zwei zusammen redeten, dann
thaten sich flüsternd; von den schlimmen Zeiten erzählten sie sich, daß das Wasser
im Schloßgrnben am Geburtstag der Kurfürstin blutrot ausgesehen habe, und daß
der schauerliche Ausgang der Lustbarkeit in Mord und Brand nichts Gutes bedeute
für die Pfalz und für Heidelberg. Die Gemüter waren gedrückt, und die Angesichter
voll Traurigkeit, und wenn zwei miteinander von Valentin und Gerwig redeten,
traten ihnen Thränen in die Augen.

Ich hatte meinen Platz da, wo die Haspelgasse in die Hauptstraße mündet,
und konnte von meinem Standort sowohl die Straße gegen das Rathaus zu als
""es das Tnrmpförtlein im Auge behalten.

Um neun Uhr fing die Armcsüuderglvcke zu läuten an. Die zusammen ge¬
redet hatten, brachen das Gespräch ab. Die Glocke klang fest und sicher wie sonst.
^ Augen waren nach der Richtung gewandt, von wo der Zug erwartet wurde,

n». eine Viertelstunde mochte es geläutet haben. Da hörte man ein Ge-
Mfter heraurauschcn: Er kommt! Ich beugte mich vor und sah den Meister Hans,
de^ ^"^zur. dem Zuge vvranschritt. Er war im scharlachroten Wams nud hatte
nu - ' ^'in meinem armen Gesellen die Glieder gebrochen werden sollten,
c>elo ^ Schulter gelegt, Hinter ihm fuhr der Karren, von zwei schwarzen Rossen
Sonst^ Knechte, von denen einer das Gespann lenkte, saßen nach vorn,
die ^ '""^ us nichts sehen. Langsam kam der Zug näher. Der Henker hatte
^'rede erreicht. Jetzt horte es zu lauten auf. Gleich darauf faßte jemand


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[0285] Der wildfang Monate gelebt." Er starb nämlich gerade ein Jahr vor dem Kaiser, 1557. Sehr geistreich sind die Bemerkungen über die Frauen in Mailand, Florenz und Rom, in Paris und England, so erstaunlich konkret, daß man denkt, sie müßten auch alle so richtig sein wie die eine über die Schönheit der englischen Kinder, wozu dem Leser ohne weiteres Bilder von Joshua Rehnolds einfallen werden. Am schlechtesten kommen die französischen Frauen weg, wie denn überhaupt Stendhal wohl von sämtlichen Schriftstellern seinen Landsleuten die stärksten Dinge gesagt hat. Davon handelt Rüttenauers reichhaltige und lebhafte Einleitung, in der nur die Pvsauucustöße auf Nietzsche komisch stark vvrkliugcu. Bei etmas weniger Gebläse wären sie auch noch hörbar ge¬ wesen. 9er lvildfang v Adolf Schmitthenner on(Schluß) er folgende Teig war trüb und windig. Vom frühe» Morgen an war es in der Stadt lebendig, und als es nenn Uhr schlug, waren die Gassen und Straßen, durch die Valentin geführt werden sollte, auf beiden Seiten an den Häusern hin durch dicke Streifen harrender Menschen eingefaßt. Die Leute warteten still, ohne zu sprechen, wie man in der Kirche wartet. Wenn zwei zusammen redeten, dann thaten sich flüsternd; von den schlimmen Zeiten erzählten sie sich, daß das Wasser im Schloßgrnben am Geburtstag der Kurfürstin blutrot ausgesehen habe, und daß der schauerliche Ausgang der Lustbarkeit in Mord und Brand nichts Gutes bedeute für die Pfalz und für Heidelberg. Die Gemüter waren gedrückt, und die Angesichter voll Traurigkeit, und wenn zwei miteinander von Valentin und Gerwig redeten, traten ihnen Thränen in die Augen. Ich hatte meinen Platz da, wo die Haspelgasse in die Hauptstraße mündet, und konnte von meinem Standort sowohl die Straße gegen das Rathaus zu als ""es das Tnrmpförtlein im Auge behalten. Um neun Uhr fing die Armcsüuderglvcke zu läuten an. Die zusammen ge¬ redet hatten, brachen das Gespräch ab. Die Glocke klang fest und sicher wie sonst. ^ Augen waren nach der Richtung gewandt, von wo der Zug erwartet wurde, n». eine Viertelstunde mochte es geläutet haben. Da hörte man ein Ge- Mfter heraurauschcn: Er kommt! Ich beugte mich vor und sah den Meister Hans, de^ ^"^zur. dem Zuge vvranschritt. Er war im scharlachroten Wams nud hatte nu - ' ^'in meinem armen Gesellen die Glieder gebrochen werden sollten, c>elo ^ Schulter gelegt, Hinter ihm fuhr der Karren, von zwei schwarzen Rossen Sonst^ Knechte, von denen einer das Gespann lenkte, saßen nach vorn, die ^ '""^ us nichts sehen. Langsam kam der Zug näher. Der Henker hatte ^'rede erreicht. Jetzt horte es zu lauten auf. Gleich darauf faßte jemand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/285>, abgerufen am 28.04.2024.