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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie und Anthropologie

durch geeignete Maßnahmen so auf die Beine helfen, daß er nicht bloß aus
eignen Kräften stehn, fondern anch laufen lernt, sodaß er sich selbst helfen
kann zum Nutzen im Frieden, zum Segen im Kriege!


Georg Baumert


Zur Psychologie und Anthropologie
(Schluß)

Vorlesungen über Psychologie von Max Dreßler. Heidelberg, Karl Winter, 1900. --
Der Ausbau der menschlichen Seele. Eine psychologische Skizze von Ol', H. Kroell,
Sanitntsrat in Straßburg i, E, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1900. -- Der kommende
Mensch. Neue Ausblicke auf die Zukunft des Mensche" von Karl Haberkalt. Leipzig,
Ernst Günther, 1901. -- Mann und Weib von F. Better., Zweite, durchgesehene und ver¬
mehrte Auflage, Bielefeld und Leipzig, Vclhagen und Klasing, 1900

-^zWU'>reßler ist ein Monist aus der Schule Lotzes. Der Allgeist "ist
zersprungen in die unendlich vielen Geister oder Kraftpunkte und
! führt in jedem einzelnen das Leben des Individualismus, die
Existenz als natürlicher Geist." Die verschiednen Individualitäten
lentstchn eben dadurch, daß der eine und in allen ursprünglich
gleiche Geist in verschiedne Naturbedingungen eingepflanzt wird, die ihn be¬
stimmen, ihm Form und Farbe geben, wie Boden und sonstiges Milieu der
Pflanze. Aber diese Natur ist nichts vom Geiste wesentlich verschiednes; die
Atome, die sie bilden, sind immaterielle Kraftpunkte, und am Anfange -- war
das Wort. Die Natur ist nur die Form, in der sich der Geist offenbart.
"Ist dies vielleicht das Problem, das der Geist in der Natur sich gestellt hat,
und das er im Menschen lost: die Überwindung sclbstgewollter Schranken, der
Triumph des wahren Wesens, der Freiheit des Geistes über die Notwendigkeit
der Natur, die Rückkehr zu sich selber?" Der höchste Grad von Freiheit wird
erreicht dnrch die wahre und richtige Welterkenntnis, die zugleich Selbster¬
kenntnis ist: ,,Die Gesetze der Welt sind die Gesetze meines Wesens. Not¬
wendigkeit, die keine fremde, aufgezwungne, sondern die meines eignen Wesens
Grundlage ist, ist mein Gesetz; und mein Gesetz ist meine Freiheit; und meine
Freiheit waltet allüberall in der Welt. Solch einem Freigewordnen ist, wie
dem Franz von Assisi, das Feuer sein Bruder und das Wasser seine Schwester."
Freilich ist es nur wenigen Auserwählten vergönnt, diesen Weg zu gehn.
Genies im Denken sind ebenso wie die Künstlergenies seltne Ausnahmen; Genie
im Lieben aber ist jeder, der den Namen Mensch verdient, und auch in der
Liebe triumphiert der Geist über die Natur, der Mensch über das Tier. Den
Pessimisten wird das Dichterwort entgegengehalten: "Ein Augenblick, gelebt
im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt." Ob das Wort, das
im Anfang war, bei der Zersprengung des Allgeisteö in Atome sich selbst ver-


Zur Psychologie und Anthropologie

durch geeignete Maßnahmen so auf die Beine helfen, daß er nicht bloß aus
eignen Kräften stehn, fondern anch laufen lernt, sodaß er sich selbst helfen
kann zum Nutzen im Frieden, zum Segen im Kriege!


Georg Baumert


Zur Psychologie und Anthropologie
(Schluß)

Vorlesungen über Psychologie von Max Dreßler. Heidelberg, Karl Winter, 1900. —
Der Ausbau der menschlichen Seele. Eine psychologische Skizze von Ol', H. Kroell,
Sanitntsrat in Straßburg i, E, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1900. — Der kommende
Mensch. Neue Ausblicke auf die Zukunft des Mensche» von Karl Haberkalt. Leipzig,
Ernst Günther, 1901. — Mann und Weib von F. Better., Zweite, durchgesehene und ver¬
mehrte Auflage, Bielefeld und Leipzig, Vclhagen und Klasing, 1900

-^zWU'>reßler ist ein Monist aus der Schule Lotzes. Der Allgeist „ist
zersprungen in die unendlich vielen Geister oder Kraftpunkte und
! führt in jedem einzelnen das Leben des Individualismus, die
Existenz als natürlicher Geist." Die verschiednen Individualitäten
lentstchn eben dadurch, daß der eine und in allen ursprünglich
gleiche Geist in verschiedne Naturbedingungen eingepflanzt wird, die ihn be¬
stimmen, ihm Form und Farbe geben, wie Boden und sonstiges Milieu der
Pflanze. Aber diese Natur ist nichts vom Geiste wesentlich verschiednes; die
Atome, die sie bilden, sind immaterielle Kraftpunkte, und am Anfange — war
das Wort. Die Natur ist nur die Form, in der sich der Geist offenbart.
„Ist dies vielleicht das Problem, das der Geist in der Natur sich gestellt hat,
und das er im Menschen lost: die Überwindung sclbstgewollter Schranken, der
Triumph des wahren Wesens, der Freiheit des Geistes über die Notwendigkeit
der Natur, die Rückkehr zu sich selber?" Der höchste Grad von Freiheit wird
erreicht dnrch die wahre und richtige Welterkenntnis, die zugleich Selbster¬
kenntnis ist: ,,Die Gesetze der Welt sind die Gesetze meines Wesens. Not¬
wendigkeit, die keine fremde, aufgezwungne, sondern die meines eignen Wesens
Grundlage ist, ist mein Gesetz; und mein Gesetz ist meine Freiheit; und meine
Freiheit waltet allüberall in der Welt. Solch einem Freigewordnen ist, wie
dem Franz von Assisi, das Feuer sein Bruder und das Wasser seine Schwester."
Freilich ist es nur wenigen Auserwählten vergönnt, diesen Weg zu gehn.
Genies im Denken sind ebenso wie die Künstlergenies seltne Ausnahmen; Genie
im Lieben aber ist jeder, der den Namen Mensch verdient, und auch in der
Liebe triumphiert der Geist über die Natur, der Mensch über das Tier. Den
Pessimisten wird das Dichterwort entgegengehalten: „Ein Augenblick, gelebt
im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt." Ob das Wort, das
im Anfang war, bei der Zersprengung des Allgeisteö in Atome sich selbst ver-


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[0362] Zur Psychologie und Anthropologie durch geeignete Maßnahmen so auf die Beine helfen, daß er nicht bloß aus eignen Kräften stehn, fondern anch laufen lernt, sodaß er sich selbst helfen kann zum Nutzen im Frieden, zum Segen im Kriege! Georg Baumert Zur Psychologie und Anthropologie (Schluß) Vorlesungen über Psychologie von Max Dreßler. Heidelberg, Karl Winter, 1900. — Der Ausbau der menschlichen Seele. Eine psychologische Skizze von Ol', H. Kroell, Sanitntsrat in Straßburg i, E, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1900. — Der kommende Mensch. Neue Ausblicke auf die Zukunft des Mensche» von Karl Haberkalt. Leipzig, Ernst Günther, 1901. — Mann und Weib von F. Better., Zweite, durchgesehene und ver¬ mehrte Auflage, Bielefeld und Leipzig, Vclhagen und Klasing, 1900 -^zWU'>reßler ist ein Monist aus der Schule Lotzes. Der Allgeist „ist zersprungen in die unendlich vielen Geister oder Kraftpunkte und ! führt in jedem einzelnen das Leben des Individualismus, die Existenz als natürlicher Geist." Die verschiednen Individualitäten lentstchn eben dadurch, daß der eine und in allen ursprünglich gleiche Geist in verschiedne Naturbedingungen eingepflanzt wird, die ihn be¬ stimmen, ihm Form und Farbe geben, wie Boden und sonstiges Milieu der Pflanze. Aber diese Natur ist nichts vom Geiste wesentlich verschiednes; die Atome, die sie bilden, sind immaterielle Kraftpunkte, und am Anfange — war das Wort. Die Natur ist nur die Form, in der sich der Geist offenbart. „Ist dies vielleicht das Problem, das der Geist in der Natur sich gestellt hat, und das er im Menschen lost: die Überwindung sclbstgewollter Schranken, der Triumph des wahren Wesens, der Freiheit des Geistes über die Notwendigkeit der Natur, die Rückkehr zu sich selber?" Der höchste Grad von Freiheit wird erreicht dnrch die wahre und richtige Welterkenntnis, die zugleich Selbster¬ kenntnis ist: ,,Die Gesetze der Welt sind die Gesetze meines Wesens. Not¬ wendigkeit, die keine fremde, aufgezwungne, sondern die meines eignen Wesens Grundlage ist, ist mein Gesetz; und mein Gesetz ist meine Freiheit; und meine Freiheit waltet allüberall in der Welt. Solch einem Freigewordnen ist, wie dem Franz von Assisi, das Feuer sein Bruder und das Wasser seine Schwester." Freilich ist es nur wenigen Auserwählten vergönnt, diesen Weg zu gehn. Genies im Denken sind ebenso wie die Künstlergenies seltne Ausnahmen; Genie im Lieben aber ist jeder, der den Namen Mensch verdient, und auch in der Liebe triumphiert der Geist über die Natur, der Mensch über das Tier. Den Pessimisten wird das Dichterwort entgegengehalten: „Ein Augenblick, gelebt im Paradiese, wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt." Ob das Wort, das im Anfang war, bei der Zersprengung des Allgeisteö in Atome sich selbst ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/362>, abgerufen am 28.04.2024.