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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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gessen, oder ob der Allgeist sich ein unzersplittertes Bewußtsein und Dasein
zurückbehalten hat, darüber äußert sich Dreßler nicht.

Sein Buch ist übrigens kein streng wissenschaftliches Werk, sondern aus
einer Reihe von Vorträgen entstanden, die er auf Anregung der Großherzogin
von Baden im Hoftheater zu Karlsruhe vor Frauen gehalten hat. Der Leser
wird deshalb in diesem sehr empfehlenswerten Buche nicht mit schwer ver¬
ständlichen abstrakten Untersuchungen geplagt, sondern mit geistreichen Betrach¬
tungen über praktische Fragen auf das angenehmste unterhalten. So werden
z. B. die Erscheinungen, die man okkulte nennt, wie die Telepathie, aus der
Alleinhcit des Geistes erklärt. Die Frauenrechtlerinnen bekämpft er mit einer
Waffe, mit der verwundet zu werden Wonne für sie sein muß: den typischen
Charakter des Menschen im Gegensatz zum Tiere: großen Kopf, kleines Gesicht,
schwächlichen Körperbau zeigen am deutlichsten nicht die normalen Männer,
sondern das Kind, das Weib und das Genie. Darum wäre es ein Schritt
auf dem Wege zur Tierheit zurück, wenn sich das Weib vcrmännlichen wollte;
im Gegenteil besteht die Aufgabe der Vervollkommnung, die dem Manne ge¬
stellt ist, in seiner Verweiblichung; daß er sich dem weiblichen Typus zu nähern
hat, ist der Sinn des Ewigweiblichen, das uns nach oben zieht. Die Thorheit
mancher Erzieher, die auf die Naturbestimmtheit des Geistes keine Rücksicht
nehmen und ihre Zöglinge zu andern Leistungen zwingen wollen, als zu denen
sie die Natur bestimmt hat, beleuchtet er mit einem hübschen Gleichnis: ,,Schade
um die verschwendete Mühe! In derselben Zeit brächte der Boden, der nun
einmal für Rosen nicht geeignet ist, recht schmackhafte Kartoffeln hervor!" Daß
es nur vier verschiedne Geschmacksempfindungen giebt: süß, sauer, bitter, salzig,
und daß uns der Geruch täuscht, wenn wir einen besondern Kakao- oder Braten¬
oder Weingeschmack zu empfinden meinen, der etwas andres sei als eine von
jenen vier Empfindungen oder eine Mischung von ihnen, das müssen wir dem
Fachmanne glauben, aber der Glaube fällt uns in diesem wie in manchen
andern Fällen schwer.

Zu einer Stelle erlauben wir uns einige Fragezeichen zu machen. Der
Verfasser eignet sich folgende Bemerkung eines andern Gelehrten an: ,.Kinder
und Naturmenschen lieben grelle Farben; der Kulturmensch wird immer em¬
pfindlicher gegen sie; man denke nur an die matten nebligen Farben der meisten
heutigen Maler, an die Vorliebe für verschossene, verbundne Farbentöne an
Möbeln und Tapeten, und gar an die düstere Monotonie in der Kleidung,
wenigstens der mannlichen, wo Farben geradezu verpönt sind, während sich
das weibliche Geschlecht auch hierin etwas mehr jugendlichen Sinn bewahrt
hat. Gerade umgekehrt ist es in der Musik. Kinder- und Volkslieder zeichnen
sich durch weiche, zarte Melodien ans, ohne alle grellen Übergänge und Disso¬
nanzen. Den Kulturmenschen befriedigt nur noch ein Orchester mit sechzig
Instrumenten; Monstrckonzertc sind an der Tagesordnung, und die Kammer¬
musik fristet kümmerlich ihr stilles Dasein; manche zarte Dame ist entzückt
über eine Musik, die tausend Wilde in die Flucht jagen konnte." Diese zarte


gessen, oder ob der Allgeist sich ein unzersplittertes Bewußtsein und Dasein
zurückbehalten hat, darüber äußert sich Dreßler nicht.

Sein Buch ist übrigens kein streng wissenschaftliches Werk, sondern aus
einer Reihe von Vorträgen entstanden, die er auf Anregung der Großherzogin
von Baden im Hoftheater zu Karlsruhe vor Frauen gehalten hat. Der Leser
wird deshalb in diesem sehr empfehlenswerten Buche nicht mit schwer ver¬
ständlichen abstrakten Untersuchungen geplagt, sondern mit geistreichen Betrach¬
tungen über praktische Fragen auf das angenehmste unterhalten. So werden
z. B. die Erscheinungen, die man okkulte nennt, wie die Telepathie, aus der
Alleinhcit des Geistes erklärt. Die Frauenrechtlerinnen bekämpft er mit einer
Waffe, mit der verwundet zu werden Wonne für sie sein muß: den typischen
Charakter des Menschen im Gegensatz zum Tiere: großen Kopf, kleines Gesicht,
schwächlichen Körperbau zeigen am deutlichsten nicht die normalen Männer,
sondern das Kind, das Weib und das Genie. Darum wäre es ein Schritt
auf dem Wege zur Tierheit zurück, wenn sich das Weib vcrmännlichen wollte;
im Gegenteil besteht die Aufgabe der Vervollkommnung, die dem Manne ge¬
stellt ist, in seiner Verweiblichung; daß er sich dem weiblichen Typus zu nähern
hat, ist der Sinn des Ewigweiblichen, das uns nach oben zieht. Die Thorheit
mancher Erzieher, die auf die Naturbestimmtheit des Geistes keine Rücksicht
nehmen und ihre Zöglinge zu andern Leistungen zwingen wollen, als zu denen
sie die Natur bestimmt hat, beleuchtet er mit einem hübschen Gleichnis: ,,Schade
um die verschwendete Mühe! In derselben Zeit brächte der Boden, der nun
einmal für Rosen nicht geeignet ist, recht schmackhafte Kartoffeln hervor!" Daß
es nur vier verschiedne Geschmacksempfindungen giebt: süß, sauer, bitter, salzig,
und daß uns der Geruch täuscht, wenn wir einen besondern Kakao- oder Braten¬
oder Weingeschmack zu empfinden meinen, der etwas andres sei als eine von
jenen vier Empfindungen oder eine Mischung von ihnen, das müssen wir dem
Fachmanne glauben, aber der Glaube fällt uns in diesem wie in manchen
andern Fällen schwer.

Zu einer Stelle erlauben wir uns einige Fragezeichen zu machen. Der
Verfasser eignet sich folgende Bemerkung eines andern Gelehrten an: ,.Kinder
und Naturmenschen lieben grelle Farben; der Kulturmensch wird immer em¬
pfindlicher gegen sie; man denke nur an die matten nebligen Farben der meisten
heutigen Maler, an die Vorliebe für verschossene, verbundne Farbentöne an
Möbeln und Tapeten, und gar an die düstere Monotonie in der Kleidung,
wenigstens der mannlichen, wo Farben geradezu verpönt sind, während sich
das weibliche Geschlecht auch hierin etwas mehr jugendlichen Sinn bewahrt
hat. Gerade umgekehrt ist es in der Musik. Kinder- und Volkslieder zeichnen
sich durch weiche, zarte Melodien ans, ohne alle grellen Übergänge und Disso¬
nanzen. Den Kulturmenschen befriedigt nur noch ein Orchester mit sechzig
Instrumenten; Monstrckonzertc sind an der Tagesordnung, und die Kammer¬
musik fristet kümmerlich ihr stilles Dasein; manche zarte Dame ist entzückt
über eine Musik, die tausend Wilde in die Flucht jagen konnte." Diese zarte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/363>, abgerufen am 12.05.2024.