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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zugewanderten wurden aufgeschrieben und ihrer Herkunft heimlich nachgespürt.
Unsaubre Gesellen thaten dabei Knndschafierdicnfte, Hatte sich der Wildfang Haus
und Hof erworben, sodaß kein Verdacht des Auswanderns war, fo blieb er un¬
behelligt; war aber Sorge, daß er aus dein Lande zöge und bar Geld mitnähme,
so legte ihm der Büttel die Hand auf die Schulter und fing ihn für den Kur¬
fürsten, dem er fortab zahlen und zinsen mußte, daß es eine Schinderei war.
Einigen wenigen gelang es, sich vorher hinwcgzustehlen; ob sie aber die Freiheit
retteten, blieb ungewiß, denn in den Städten und Flecken all des Landes, worüber
des Kurfürsten Wildfangrecht ging, saßen kraft alter kaiserlicher Bewilligung pfälzische
Ansvögte, um jeden, der bis hierher entronnen war, abzufangen, und man erzählte
sich, daß in den Dörfern der Waldecker Zend und anderwärts die Bauern zur
Wildfangjagd aufgeboten wurden, wie sonst zur Saujagd. Darum waren es mir
wenige, die ihr Heil in der Flucht suchten. Es gab einen bessern Ausweg. Wer
sich in einem pfälzischen Regiment anwerben ließ, war bor dem Vogte sicher, so
lange er dem Knrhut diente. So kam es, daß viele Gesellen, mit deren Herkunft
es nicht in Ordnung war, die Werkstatt mit dem Rucke" ansahen und dem Kalb¬
fell nachliefen. Es verging nicht ein Tag, wo nicht der eine oder der andre von
unsern Herbcrgsknmeraden in die Schmiede kam und uns zum Abschied lud. Da
waren wir dann noch einmal beisammen und saugen gute Reiterliedcr. Aber ein
herzlicher und aufrichtiger Klang war nicht dabei. Keiner fragte den Scheideudcn-
Warum gehst du? und von selber gab keiner Auskunft. Ein verdrücktes und ver¬
schlossenes Wesen hatte überhand genommen, denn Angeberei und Heimtückerei waren
im Schwang. Darum redete niemand von seiner Herkunft, und keiner fragte den
andern danach. Da das Wildfaugrecht lange vergessen gewesen war, und die Herr¬
schaft es von heut auf morgen hervorholte, war kein Mensch darauf gerichtet, und
die Unsicherheit war um so größer. Auf der Herberge, wo es sonst so lustig zu¬
ging, ward es einsam und stumm. Handel und Wandel fingen zu stocken an, und
wer Herr seines Leibes war, verließ die Stadt, über die krächzend die Raben
flogen.

Wir drei blieben. Was ging uns der Wildfangschrecken an? Ich selber war
ein Heidelberger Kind, und von den andern beiden wußte ich nichts andres, als
daß auch sie bürgerbürtige Leute seien. Der eine war aus Friedberg in Hessen,
der andre aus Mainz. So hatten wir nichts zu fürchten; und mochte es auch in
der Stadt unerfreulich zugehn, wir drei hielten zusammen und hatten aneinander
genug.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Zolltarif.

Der ständige Ausschuß des deutschen Landwirtschaftsrats
hat in einer am 18. und am 19. Juni in Nürnberg abgehaltnen Sitzung eine
Erklärung abgegeben, deren Einleitung wie folgt lautet: "Nach bisher unwider¬
sprochen gebliebner Zeitungsmeldungen sollen auf der kürzlich in Berlin abgehaltnen
Zolllonfcrenz die Vertreter deutscher Staatsregierungen -- entgegen früher ab¬
gegebnen Erklärungen -- zu dem Entwurf des Zvlltnrifgesehcs eine Stellung ein-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zugewanderten wurden aufgeschrieben und ihrer Herkunft heimlich nachgespürt.
Unsaubre Gesellen thaten dabei Knndschafierdicnfte, Hatte sich der Wildfang Haus
und Hof erworben, sodaß kein Verdacht des Auswanderns war, fo blieb er un¬
behelligt; war aber Sorge, daß er aus dein Lande zöge und bar Geld mitnähme,
so legte ihm der Büttel die Hand auf die Schulter und fing ihn für den Kur¬
fürsten, dem er fortab zahlen und zinsen mußte, daß es eine Schinderei war.
Einigen wenigen gelang es, sich vorher hinwcgzustehlen; ob sie aber die Freiheit
retteten, blieb ungewiß, denn in den Städten und Flecken all des Landes, worüber
des Kurfürsten Wildfangrecht ging, saßen kraft alter kaiserlicher Bewilligung pfälzische
Ansvögte, um jeden, der bis hierher entronnen war, abzufangen, und man erzählte
sich, daß in den Dörfern der Waldecker Zend und anderwärts die Bauern zur
Wildfangjagd aufgeboten wurden, wie sonst zur Saujagd. Darum waren es mir
wenige, die ihr Heil in der Flucht suchten. Es gab einen bessern Ausweg. Wer
sich in einem pfälzischen Regiment anwerben ließ, war bor dem Vogte sicher, so
lange er dem Knrhut diente. So kam es, daß viele Gesellen, mit deren Herkunft
es nicht in Ordnung war, die Werkstatt mit dem Rucke» ansahen und dem Kalb¬
fell nachliefen. Es verging nicht ein Tag, wo nicht der eine oder der andre von
unsern Herbcrgsknmeraden in die Schmiede kam und uns zum Abschied lud. Da
waren wir dann noch einmal beisammen und saugen gute Reiterliedcr. Aber ein
herzlicher und aufrichtiger Klang war nicht dabei. Keiner fragte den Scheideudcn-
Warum gehst du? und von selber gab keiner Auskunft. Ein verdrücktes und ver¬
schlossenes Wesen hatte überhand genommen, denn Angeberei und Heimtückerei waren
im Schwang. Darum redete niemand von seiner Herkunft, und keiner fragte den
andern danach. Da das Wildfaugrecht lange vergessen gewesen war, und die Herr¬
schaft es von heut auf morgen hervorholte, war kein Mensch darauf gerichtet, und
die Unsicherheit war um so größer. Auf der Herberge, wo es sonst so lustig zu¬
ging, ward es einsam und stumm. Handel und Wandel fingen zu stocken an, und
wer Herr seines Leibes war, verließ die Stadt, über die krächzend die Raben
flogen.

Wir drei blieben. Was ging uns der Wildfangschrecken an? Ich selber war
ein Heidelberger Kind, und von den andern beiden wußte ich nichts andres, als
daß auch sie bürgerbürtige Leute seien. Der eine war aus Friedberg in Hessen,
der andre aus Mainz. So hatten wir nichts zu fürchten; und mochte es auch in
der Stadt unerfreulich zugehn, wir drei hielten zusammen und hatten aneinander
genug.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Zolltarif.

Der ständige Ausschuß des deutschen Landwirtschaftsrats
hat in einer am 18. und am 19. Juni in Nürnberg abgehaltnen Sitzung eine
Erklärung abgegeben, deren Einleitung wie folgt lautet: „Nach bisher unwider¬
sprochen gebliebner Zeitungsmeldungen sollen auf der kürzlich in Berlin abgehaltnen
Zolllonfcrenz die Vertreter deutscher Staatsregierungen — entgegen früher ab¬
gegebnen Erklärungen — zu dem Entwurf des Zvlltnrifgesehcs eine Stellung ein-


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[0048] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zugewanderten wurden aufgeschrieben und ihrer Herkunft heimlich nachgespürt. Unsaubre Gesellen thaten dabei Knndschafierdicnfte, Hatte sich der Wildfang Haus und Hof erworben, sodaß kein Verdacht des Auswanderns war, fo blieb er un¬ behelligt; war aber Sorge, daß er aus dein Lande zöge und bar Geld mitnähme, so legte ihm der Büttel die Hand auf die Schulter und fing ihn für den Kur¬ fürsten, dem er fortab zahlen und zinsen mußte, daß es eine Schinderei war. Einigen wenigen gelang es, sich vorher hinwcgzustehlen; ob sie aber die Freiheit retteten, blieb ungewiß, denn in den Städten und Flecken all des Landes, worüber des Kurfürsten Wildfangrecht ging, saßen kraft alter kaiserlicher Bewilligung pfälzische Ansvögte, um jeden, der bis hierher entronnen war, abzufangen, und man erzählte sich, daß in den Dörfern der Waldecker Zend und anderwärts die Bauern zur Wildfangjagd aufgeboten wurden, wie sonst zur Saujagd. Darum waren es mir wenige, die ihr Heil in der Flucht suchten. Es gab einen bessern Ausweg. Wer sich in einem pfälzischen Regiment anwerben ließ, war bor dem Vogte sicher, so lange er dem Knrhut diente. So kam es, daß viele Gesellen, mit deren Herkunft es nicht in Ordnung war, die Werkstatt mit dem Rucke» ansahen und dem Kalb¬ fell nachliefen. Es verging nicht ein Tag, wo nicht der eine oder der andre von unsern Herbcrgsknmeraden in die Schmiede kam und uns zum Abschied lud. Da waren wir dann noch einmal beisammen und saugen gute Reiterliedcr. Aber ein herzlicher und aufrichtiger Klang war nicht dabei. Keiner fragte den Scheideudcn- Warum gehst du? und von selber gab keiner Auskunft. Ein verdrücktes und ver¬ schlossenes Wesen hatte überhand genommen, denn Angeberei und Heimtückerei waren im Schwang. Darum redete niemand von seiner Herkunft, und keiner fragte den andern danach. Da das Wildfaugrecht lange vergessen gewesen war, und die Herr¬ schaft es von heut auf morgen hervorholte, war kein Mensch darauf gerichtet, und die Unsicherheit war um so größer. Auf der Herberge, wo es sonst so lustig zu¬ ging, ward es einsam und stumm. Handel und Wandel fingen zu stocken an, und wer Herr seines Leibes war, verließ die Stadt, über die krächzend die Raben flogen. Wir drei blieben. Was ging uns der Wildfangschrecken an? Ich selber war ein Heidelberger Kind, und von den andern beiden wußte ich nichts andres, als daß auch sie bürgerbürtige Leute seien. Der eine war aus Friedberg in Hessen, der andre aus Mainz. So hatten wir nichts zu fürchten; und mochte es auch in der Stadt unerfreulich zugehn, wir drei hielten zusammen und hatten aneinander genug. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Zolltarif. Der ständige Ausschuß des deutschen Landwirtschaftsrats hat in einer am 18. und am 19. Juni in Nürnberg abgehaltnen Sitzung eine Erklärung abgegeben, deren Einleitung wie folgt lautet: „Nach bisher unwider¬ sprochen gebliebner Zeitungsmeldungen sollen auf der kürzlich in Berlin abgehaltnen Zolllonfcrenz die Vertreter deutscher Staatsregierungen — entgegen früher ab¬ gegebnen Erklärungen — zu dem Entwurf des Zvlltnrifgesehcs eine Stellung ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/48>, abgerufen am 28.04.2024.