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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament
Hugo Barlois von

lljährlich, gewöhnlich im Februar, manchmal aber auch zum Leid¬
wesen der Sportlcute, die Hühnerjagd lieben, ein zweitesmal
im Herbste, ergeht von dein Inhaber des britischen Thrones die
Aufforderung an die geistlichen und die weltlichen Lords wie die
getreue" Gemeinen, sich in Westminster einzufinden, um ein
Parlament zu halten und für die Bedürfnisse des Staates Vorkehrung zu
treffen.

Im Mittelalter versammelte sich das Parlament da, wo sich der König
gerade aufhielt, war es in Dort, Lincoln, Leicester, Coventrh, Salisbury oder
sonstwo. Da jedoch der politische Schwerpunkt im Süden lag, und West¬
minster für alle Teile am leichtesten zu erreichen war, gewann dieser Ort
bald den Vorrang vor andern Städten und behielt die Ehre, der Reichsvcr-
scimmlung Obdach zu gewähren. Besondre Anstalten wurden dafür nicht ge¬
macht, die Teilnehmer an der Tagung mußten vorlieb nehmen mit den Räumen,
die schon vorhanden waren. Die Gemeinen z. B. tagten erst in dem Kapitel¬
hause der Abtei und siedelten zur Tudorzeit in die Se. Stcphankapelle über,
die dem Unterhause noch heute seinen zweiten Namen giebt. Der Palast, den
sich das Parlament im neunzehnten Jahrhundert errichtet hat, ist dafür um
so prächtiger und macht die Vernachlässigung der Vorfahren gut. Wenn das
Parlament als der beste Klub Londons gilt, so ist auch das Parlcunents-
gcbäude das beste Klttbhaus. Vom Klubstandpunkt bleibt gewiß nichts zu
wünschen übrig. Da sind weite, wohl eingerichtete Räume, in denen die Mit¬
glieder ihre Freunde empfangen tonnen, eine reichhaltige Bücherei ist denen
gewidmet, die geistiger Nahrung bedürfen, und eine gute Wirtschaft sorgt für
den alten Adam mit Speisen und Getränken, sogar alkoholischen, was den
Enthaltsamkeitsfanatikern böse Schmerzen verursacht. Auf die schöne Terrasse
um der Themse pflegen die Mitglieder zur Frühlingszeit hübsche Basen oder
zu besänftigende Schwiegermütter mitzubringen. Bei Thee und Erdbeeren mit
Sahne schwinden die Meinungsverschiedenheiten. Zu den Redeübungen werden
Damen auch zugelassen, aber nur als Zuhörer, nicht als Teilnehmer. Haben
sich die Frauen erst einmal das Wahlrecht errungen, dann wird ihnen der
Eintritt ins Parlament nicht vorenthalten werden können. Bis dahin sind
die Herren der Schöpfung wenigstens während der Parlamentssitzungen vor
dem Arg'ummrwm an Ironuimm des zarten Geschlechts sicher.




Das britische Parlament
Hugo Barlois von

lljährlich, gewöhnlich im Februar, manchmal aber auch zum Leid¬
wesen der Sportlcute, die Hühnerjagd lieben, ein zweitesmal
im Herbste, ergeht von dein Inhaber des britischen Thrones die
Aufforderung an die geistlichen und die weltlichen Lords wie die
getreue» Gemeinen, sich in Westminster einzufinden, um ein
Parlament zu halten und für die Bedürfnisse des Staates Vorkehrung zu
treffen.

Im Mittelalter versammelte sich das Parlament da, wo sich der König
gerade aufhielt, war es in Dort, Lincoln, Leicester, Coventrh, Salisbury oder
sonstwo. Da jedoch der politische Schwerpunkt im Süden lag, und West¬
minster für alle Teile am leichtesten zu erreichen war, gewann dieser Ort
bald den Vorrang vor andern Städten und behielt die Ehre, der Reichsvcr-
scimmlung Obdach zu gewähren. Besondre Anstalten wurden dafür nicht ge¬
macht, die Teilnehmer an der Tagung mußten vorlieb nehmen mit den Räumen,
die schon vorhanden waren. Die Gemeinen z. B. tagten erst in dem Kapitel¬
hause der Abtei und siedelten zur Tudorzeit in die Se. Stcphankapelle über,
die dem Unterhause noch heute seinen zweiten Namen giebt. Der Palast, den
sich das Parlament im neunzehnten Jahrhundert errichtet hat, ist dafür um
so prächtiger und macht die Vernachlässigung der Vorfahren gut. Wenn das
Parlament als der beste Klub Londons gilt, so ist auch das Parlcunents-
gcbäude das beste Klttbhaus. Vom Klubstandpunkt bleibt gewiß nichts zu
wünschen übrig. Da sind weite, wohl eingerichtete Räume, in denen die Mit¬
glieder ihre Freunde empfangen tonnen, eine reichhaltige Bücherei ist denen
gewidmet, die geistiger Nahrung bedürfen, und eine gute Wirtschaft sorgt für
den alten Adam mit Speisen und Getränken, sogar alkoholischen, was den
Enthaltsamkeitsfanatikern böse Schmerzen verursacht. Auf die schöne Terrasse
um der Themse pflegen die Mitglieder zur Frühlingszeit hübsche Basen oder
zu besänftigende Schwiegermütter mitzubringen. Bei Thee und Erdbeeren mit
Sahne schwinden die Meinungsverschiedenheiten. Zu den Redeübungen werden
Damen auch zugelassen, aber nur als Zuhörer, nicht als Teilnehmer. Haben
sich die Frauen erst einmal das Wahlrecht errungen, dann wird ihnen der
Eintritt ins Parlament nicht vorenthalten werden können. Bis dahin sind
die Herren der Schöpfung wenigstens während der Parlamentssitzungen vor
dem Arg'ummrwm an Ironuimm des zarten Geschlechts sicher.


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[0062] [Abbildung] Das britische Parlament Hugo Barlois von lljährlich, gewöhnlich im Februar, manchmal aber auch zum Leid¬ wesen der Sportlcute, die Hühnerjagd lieben, ein zweitesmal im Herbste, ergeht von dein Inhaber des britischen Thrones die Aufforderung an die geistlichen und die weltlichen Lords wie die getreue» Gemeinen, sich in Westminster einzufinden, um ein Parlament zu halten und für die Bedürfnisse des Staates Vorkehrung zu treffen. Im Mittelalter versammelte sich das Parlament da, wo sich der König gerade aufhielt, war es in Dort, Lincoln, Leicester, Coventrh, Salisbury oder sonstwo. Da jedoch der politische Schwerpunkt im Süden lag, und West¬ minster für alle Teile am leichtesten zu erreichen war, gewann dieser Ort bald den Vorrang vor andern Städten und behielt die Ehre, der Reichsvcr- scimmlung Obdach zu gewähren. Besondre Anstalten wurden dafür nicht ge¬ macht, die Teilnehmer an der Tagung mußten vorlieb nehmen mit den Räumen, die schon vorhanden waren. Die Gemeinen z. B. tagten erst in dem Kapitel¬ hause der Abtei und siedelten zur Tudorzeit in die Se. Stcphankapelle über, die dem Unterhause noch heute seinen zweiten Namen giebt. Der Palast, den sich das Parlament im neunzehnten Jahrhundert errichtet hat, ist dafür um so prächtiger und macht die Vernachlässigung der Vorfahren gut. Wenn das Parlament als der beste Klub Londons gilt, so ist auch das Parlcunents- gcbäude das beste Klttbhaus. Vom Klubstandpunkt bleibt gewiß nichts zu wünschen übrig. Da sind weite, wohl eingerichtete Räume, in denen die Mit¬ glieder ihre Freunde empfangen tonnen, eine reichhaltige Bücherei ist denen gewidmet, die geistiger Nahrung bedürfen, und eine gute Wirtschaft sorgt für den alten Adam mit Speisen und Getränken, sogar alkoholischen, was den Enthaltsamkeitsfanatikern böse Schmerzen verursacht. Auf die schöne Terrasse um der Themse pflegen die Mitglieder zur Frühlingszeit hübsche Basen oder zu besänftigende Schwiegermütter mitzubringen. Bei Thee und Erdbeeren mit Sahne schwinden die Meinungsverschiedenheiten. Zu den Redeübungen werden Damen auch zugelassen, aber nur als Zuhörer, nicht als Teilnehmer. Haben sich die Frauen erst einmal das Wahlrecht errungen, dann wird ihnen der Eintritt ins Parlament nicht vorenthalten werden können. Bis dahin sind die Herren der Schöpfung wenigstens während der Parlamentssitzungen vor dem Arg'ummrwm an Ironuimm des zarten Geschlechts sicher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/62>, abgerufen am 28.04.2024.