Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das britische Parlament

Wie bekannt ist, besteht das Parlament aus zwei Abteilungen, einer obern,
in der die Mitgliedschaft, mit den in Großbritannien unumgänglich notwendigen
Ausnahmen, erblich ist, und einer untern, in der die Mitgliedschaft von Zeit
zu Zeit erneuert werden muß. Die Herren der obern Abteilung sind gut
daran, Ihnen hat ein gütiges Geschick die Mitgliedschaft mit all ihren Vor¬
zügen schon in die Wiege oder später durch die Gnade des Premierministers auf
den Frühstückstisch gelegt. Ihnen erwachsen weiter keine Kosten, als daß sie
sich für feierliche Gelegenheiten vom Hofschneider ein kostbares Gewand mit
dazu gehöriger Kopfbedeckung bauen lassen. Für die untere Abteilung ist die
Ehre nichts weniger als wohlfeil. Geschäftsleute betrachten aber das dafür
aufgewandte Geld als eine gute Kapitalanlage, da die Mitgliedschaft als vor¬
zügliche Empfehlung dient und durch den vermehrten Umsatz die Auslagen mit
reichen Zinsen wieder einbringt.

Der weise Baumeister, der das Haus zu Westminster einrichtete, schätzte
den gesetzgeberischen Eifer solcher Mitglieder aus Geschäftsrücksichten richtig
mi, als er die Rcdehalle des Unterhauses so anlegte, daß nicht alle Mitglieder
Platz darin haben. Wenn also etwas Wichtiges im Gange ist, das sogar die
Lässigen anlockt, so entsteht ein Laufen und Drängen, als gelte es eine Karte
zu einer Lnccavorstellung zu ergattern. Beim ersten Hahnenrufe kann man
da ehrenwerte Mitglieder von reifen Jahren nach dem gotischen Tempel der
Beredsamkeit eilen sehen, wo sie sich durch Niederlegen eines Hutes mit ihrer
Karte einen Platz sichern. Es geht ganz nach den Vorschriften des Kongo-
Vertrags. Nur die thatsächliche Besitzergreifung und Hissuug der Flagge in
Gestalt des Hutes gewährt ein Recht gegen andre besitzlustige Mächte. Feste
Sitze haben nur die Mitglieder von Knbinettrnng, denen durch Herkommen die
erste Bank auf jeder Seite des Tisches vorbehalten ist. Wer also zu spät
kommt, muß sich mit einem Stehplätze begnügen oder gar draußen bleiben.
Doch solche Fälle sind selten, und für gewöhnlich sieht das Auge viele Sitze,
die sich als res nullius darstellen.

Von der Bewerbung um die Mitgliedschaft des Unterhauses ausge¬
schlossen sind zunächst die Mitglieder des Oberhauses. Neben ihnen ist der
Eintritt gewissen Klassen von Beamten, allen anglikanischen und katholischen
Geistlichen und den Richtern verwehrt. Nur der oberste Richter der Stadt
London, der Reeorder, wird von dieser Regel nicht getroffen; bei ihm ist
Parlamentarische Thätigkeit nicht unvereinbar mit richterlicher Unparteilichkeit,
wie bei seinen Amtsgenossen. Jeder, der nicht zu den genannten Ständen
gehört, auch weder minderjährig noch blödsinnig oder Ausländer ist, darf sich
um die Ehre der Mitgliedschaft bemühen. Mit ganz geringen Ausnahmen
sind die Mitglieder Leine, die bei ihrer Bank ein großes Guthaben besitzen.
N>r einen mir mäßig bemittelten oder armen Mann wäre es vermessen,
nach eine", Sitze in dieser erlesenen Gesellschaft zu streben, er müßte denn
eine starke sozialistische Gefolgschaft hinter sich haben, was nur bei wenigen der
Fall ist.


Das britische Parlament

Wie bekannt ist, besteht das Parlament aus zwei Abteilungen, einer obern,
in der die Mitgliedschaft, mit den in Großbritannien unumgänglich notwendigen
Ausnahmen, erblich ist, und einer untern, in der die Mitgliedschaft von Zeit
zu Zeit erneuert werden muß. Die Herren der obern Abteilung sind gut
daran, Ihnen hat ein gütiges Geschick die Mitgliedschaft mit all ihren Vor¬
zügen schon in die Wiege oder später durch die Gnade des Premierministers auf
den Frühstückstisch gelegt. Ihnen erwachsen weiter keine Kosten, als daß sie
sich für feierliche Gelegenheiten vom Hofschneider ein kostbares Gewand mit
dazu gehöriger Kopfbedeckung bauen lassen. Für die untere Abteilung ist die
Ehre nichts weniger als wohlfeil. Geschäftsleute betrachten aber das dafür
aufgewandte Geld als eine gute Kapitalanlage, da die Mitgliedschaft als vor¬
zügliche Empfehlung dient und durch den vermehrten Umsatz die Auslagen mit
reichen Zinsen wieder einbringt.

Der weise Baumeister, der das Haus zu Westminster einrichtete, schätzte
den gesetzgeberischen Eifer solcher Mitglieder aus Geschäftsrücksichten richtig
mi, als er die Rcdehalle des Unterhauses so anlegte, daß nicht alle Mitglieder
Platz darin haben. Wenn also etwas Wichtiges im Gange ist, das sogar die
Lässigen anlockt, so entsteht ein Laufen und Drängen, als gelte es eine Karte
zu einer Lnccavorstellung zu ergattern. Beim ersten Hahnenrufe kann man
da ehrenwerte Mitglieder von reifen Jahren nach dem gotischen Tempel der
Beredsamkeit eilen sehen, wo sie sich durch Niederlegen eines Hutes mit ihrer
Karte einen Platz sichern. Es geht ganz nach den Vorschriften des Kongo-
Vertrags. Nur die thatsächliche Besitzergreifung und Hissuug der Flagge in
Gestalt des Hutes gewährt ein Recht gegen andre besitzlustige Mächte. Feste
Sitze haben nur die Mitglieder von Knbinettrnng, denen durch Herkommen die
erste Bank auf jeder Seite des Tisches vorbehalten ist. Wer also zu spät
kommt, muß sich mit einem Stehplätze begnügen oder gar draußen bleiben.
Doch solche Fälle sind selten, und für gewöhnlich sieht das Auge viele Sitze,
die sich als res nullius darstellen.

Von der Bewerbung um die Mitgliedschaft des Unterhauses ausge¬
schlossen sind zunächst die Mitglieder des Oberhauses. Neben ihnen ist der
Eintritt gewissen Klassen von Beamten, allen anglikanischen und katholischen
Geistlichen und den Richtern verwehrt. Nur der oberste Richter der Stadt
London, der Reeorder, wird von dieser Regel nicht getroffen; bei ihm ist
Parlamentarische Thätigkeit nicht unvereinbar mit richterlicher Unparteilichkeit,
wie bei seinen Amtsgenossen. Jeder, der nicht zu den genannten Ständen
gehört, auch weder minderjährig noch blödsinnig oder Ausländer ist, darf sich
um die Ehre der Mitgliedschaft bemühen. Mit ganz geringen Ausnahmen
sind die Mitglieder Leine, die bei ihrer Bank ein großes Guthaben besitzen.
N>r einen mir mäßig bemittelten oder armen Mann wäre es vermessen,
nach eine», Sitze in dieser erlesenen Gesellschaft zu streben, er müßte denn
eine starke sozialistische Gefolgschaft hinter sich haben, was nur bei wenigen der
Fall ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235235"/>
          <fw type="header" place="top"> Das britische Parlament</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Wie bekannt ist, besteht das Parlament aus zwei Abteilungen, einer obern,<lb/>
in der die Mitgliedschaft, mit den in Großbritannien unumgänglich notwendigen<lb/>
Ausnahmen, erblich ist, und einer untern, in der die Mitgliedschaft von Zeit<lb/>
zu Zeit erneuert werden muß. Die Herren der obern Abteilung sind gut<lb/>
daran, Ihnen hat ein gütiges Geschick die Mitgliedschaft mit all ihren Vor¬<lb/>
zügen schon in die Wiege oder später durch die Gnade des Premierministers auf<lb/>
den Frühstückstisch gelegt. Ihnen erwachsen weiter keine Kosten, als daß sie<lb/>
sich für feierliche Gelegenheiten vom Hofschneider ein kostbares Gewand mit<lb/>
dazu gehöriger Kopfbedeckung bauen lassen. Für die untere Abteilung ist die<lb/>
Ehre nichts weniger als wohlfeil. Geschäftsleute betrachten aber das dafür<lb/>
aufgewandte Geld als eine gute Kapitalanlage, da die Mitgliedschaft als vor¬<lb/>
zügliche Empfehlung dient und durch den vermehrten Umsatz die Auslagen mit<lb/>
reichen Zinsen wieder einbringt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> Der weise Baumeister, der das Haus zu Westminster einrichtete, schätzte<lb/>
den gesetzgeberischen Eifer solcher Mitglieder aus Geschäftsrücksichten richtig<lb/>
mi, als er die Rcdehalle des Unterhauses so anlegte, daß nicht alle Mitglieder<lb/>
Platz darin haben. Wenn also etwas Wichtiges im Gange ist, das sogar die<lb/>
Lässigen anlockt, so entsteht ein Laufen und Drängen, als gelte es eine Karte<lb/>
zu einer Lnccavorstellung zu ergattern. Beim ersten Hahnenrufe kann man<lb/>
da ehrenwerte Mitglieder von reifen Jahren nach dem gotischen Tempel der<lb/>
Beredsamkeit eilen sehen, wo sie sich durch Niederlegen eines Hutes mit ihrer<lb/>
Karte einen Platz sichern. Es geht ganz nach den Vorschriften des Kongo-<lb/>
Vertrags. Nur die thatsächliche Besitzergreifung und Hissuug der Flagge in<lb/>
Gestalt des Hutes gewährt ein Recht gegen andre besitzlustige Mächte. Feste<lb/>
Sitze haben nur die Mitglieder von Knbinettrnng, denen durch Herkommen die<lb/>
erste Bank auf jeder Seite des Tisches vorbehalten ist. Wer also zu spät<lb/>
kommt, muß sich mit einem Stehplätze begnügen oder gar draußen bleiben.<lb/>
Doch solche Fälle sind selten, und für gewöhnlich sieht das Auge viele Sitze,<lb/>
die sich als res nullius darstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235"> Von der Bewerbung um die Mitgliedschaft des Unterhauses ausge¬<lb/>
schlossen sind zunächst die Mitglieder des Oberhauses. Neben ihnen ist der<lb/>
Eintritt gewissen Klassen von Beamten, allen anglikanischen und katholischen<lb/>
Geistlichen und den Richtern verwehrt. Nur der oberste Richter der Stadt<lb/>
London, der Reeorder, wird von dieser Regel nicht getroffen; bei ihm ist<lb/>
Parlamentarische Thätigkeit nicht unvereinbar mit richterlicher Unparteilichkeit,<lb/>
wie bei seinen Amtsgenossen. Jeder, der nicht zu den genannten Ständen<lb/>
gehört, auch weder minderjährig noch blödsinnig oder Ausländer ist, darf sich<lb/>
um die Ehre der Mitgliedschaft bemühen. Mit ganz geringen Ausnahmen<lb/>
sind die Mitglieder Leine, die bei ihrer Bank ein großes Guthaben besitzen.<lb/>
N&gt;r einen mir mäßig bemittelten oder armen Mann wäre es vermessen,<lb/>
nach eine», Sitze in dieser erlesenen Gesellschaft zu streben, er müßte denn<lb/>
eine starke sozialistische Gefolgschaft hinter sich haben, was nur bei wenigen der<lb/>
Fall ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Das britische Parlament Wie bekannt ist, besteht das Parlament aus zwei Abteilungen, einer obern, in der die Mitgliedschaft, mit den in Großbritannien unumgänglich notwendigen Ausnahmen, erblich ist, und einer untern, in der die Mitgliedschaft von Zeit zu Zeit erneuert werden muß. Die Herren der obern Abteilung sind gut daran, Ihnen hat ein gütiges Geschick die Mitgliedschaft mit all ihren Vor¬ zügen schon in die Wiege oder später durch die Gnade des Premierministers auf den Frühstückstisch gelegt. Ihnen erwachsen weiter keine Kosten, als daß sie sich für feierliche Gelegenheiten vom Hofschneider ein kostbares Gewand mit dazu gehöriger Kopfbedeckung bauen lassen. Für die untere Abteilung ist die Ehre nichts weniger als wohlfeil. Geschäftsleute betrachten aber das dafür aufgewandte Geld als eine gute Kapitalanlage, da die Mitgliedschaft als vor¬ zügliche Empfehlung dient und durch den vermehrten Umsatz die Auslagen mit reichen Zinsen wieder einbringt. Der weise Baumeister, der das Haus zu Westminster einrichtete, schätzte den gesetzgeberischen Eifer solcher Mitglieder aus Geschäftsrücksichten richtig mi, als er die Rcdehalle des Unterhauses so anlegte, daß nicht alle Mitglieder Platz darin haben. Wenn also etwas Wichtiges im Gange ist, das sogar die Lässigen anlockt, so entsteht ein Laufen und Drängen, als gelte es eine Karte zu einer Lnccavorstellung zu ergattern. Beim ersten Hahnenrufe kann man da ehrenwerte Mitglieder von reifen Jahren nach dem gotischen Tempel der Beredsamkeit eilen sehen, wo sie sich durch Niederlegen eines Hutes mit ihrer Karte einen Platz sichern. Es geht ganz nach den Vorschriften des Kongo- Vertrags. Nur die thatsächliche Besitzergreifung und Hissuug der Flagge in Gestalt des Hutes gewährt ein Recht gegen andre besitzlustige Mächte. Feste Sitze haben nur die Mitglieder von Knbinettrnng, denen durch Herkommen die erste Bank auf jeder Seite des Tisches vorbehalten ist. Wer also zu spät kommt, muß sich mit einem Stehplätze begnügen oder gar draußen bleiben. Doch solche Fälle sind selten, und für gewöhnlich sieht das Auge viele Sitze, die sich als res nullius darstellen. Von der Bewerbung um die Mitgliedschaft des Unterhauses ausge¬ schlossen sind zunächst die Mitglieder des Oberhauses. Neben ihnen ist der Eintritt gewissen Klassen von Beamten, allen anglikanischen und katholischen Geistlichen und den Richtern verwehrt. Nur der oberste Richter der Stadt London, der Reeorder, wird von dieser Regel nicht getroffen; bei ihm ist Parlamentarische Thätigkeit nicht unvereinbar mit richterlicher Unparteilichkeit, wie bei seinen Amtsgenossen. Jeder, der nicht zu den genannten Ständen gehört, auch weder minderjährig noch blödsinnig oder Ausländer ist, darf sich um die Ehre der Mitgliedschaft bemühen. Mit ganz geringen Ausnahmen sind die Mitglieder Leine, die bei ihrer Bank ein großes Guthaben besitzen. N>r einen mir mäßig bemittelten oder armen Mann wäre es vermessen, nach eine», Sitze in dieser erlesenen Gesellschaft zu streben, er müßte denn eine starke sozialistische Gefolgschaft hinter sich haben, was nur bei wenigen der Fall ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/63>, abgerufen am 11.05.2024.