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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

herrschte die tiefste Einsamkeit, mir die Wildenten schwatzten im Röhricht, und
die Karpfen schnalzten aus der glatten Fläche, in der sich ein majestätischer
Hochwald spiegelte. Da war mirs, als ballten sich die wallenden Nebel zu
Schildbnrgergestalten; ich sah, wie sie die Nathausglocke in den Kahn trugen,
sie im See zu versenken, und wie der Schultheiß einen Kerbschnitt ins Schiff¬
holz machte, die Stelle zu merken. Dabei schaute ihm aus deu von Sitzen-
roda herübertreibendcn Nebelschleiern das weinrote Gesicht Hans Friedrichs
von Schönberg zu und nickte mit boshaftem Schmunzeln. Doch plötzlich änderte
sich die Szene: die Schildbürger verwandelten sich in stramme preußische Land-
wehrleute, der Schultheiß in den Feldwebel -- und mit gefälltem Bajonett
stürmten sie auf den Sitzcnrodaer los. Dn faßte mich das Grausen: eilig
bestieg ich mein Stahlroß und jagte von dannen; aber ein böser Meilenstein,
der an der Wegbiegung stand, büßte mich um Laterne und Bremse.




Doktor Duttmüller und sein Freund
n Fritz Anders (Rax Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart vo
Zweites Aapitel
wie Holziveiszig in die Breduljc kam

on Kirschberge hinter Hvlzwcißig hat m
an eine in der ganzen
Gegend hochberühmte Aussicht. Wenigstens pflegte der Schulze
Lüttge, wenn er da oben saß, sein Glas Bier vor sich und sein
Bereich unter sich, zu sagen: Kinder, Kinder, thut mir den einzigen
Gefallen! giebts denn was schönres in der Welt? der Wald und die
Feldflur und überhaupt die Rübemicler, und was da drüben der
Göddeckenberg ist, wo man einen Kartoffelb'oben hat wie ausgesucht? -- Wer nun
auch nicht Landwirt war, der konnte sich doch einer schönen Aussicht in die grüne
lachende Gegend freuen. Zunächst auf Holzweißig, das sich an deu Fuß des
Kirschberges anlehnte, der wiederum ein Abhang des Böhnhnrdt, eines waldigen
Bergrückens war. Holzweißig war ein hübsches Dorf --- wie aus einer Schachtel
hingebaut. Zu höchst und dem Kirschberge am nächsten stand die Kirche mit ihrem
spitzen Turme und der goldnen Wetterfahne. Dann kam, ganz grün bewachsen und
zwischen alten Nußbäumen liegend, das Pfarrhaus. Daneben stand frisch angestrichen,
nüchtern und zwcckbewußt die Schule. Darüber hinaus sah mau die gerade Dorf-
straße hinunter. Man sah das Spritzenhaus, den Laufbrunnen mit der Tränke,
Happichs Gasthaus zum Braunen Bären und rechts und links stattliche Bauernhöfe
mit großen Scheunen und kleinen Wohnhäusern. Ganz unter im Dorfe lagen die
Schmiede, die Mühle und der Mühlteich, und seitlich davon, umgeben von statt¬
lichen alten Kastanien, der Fronhvf. Hier war es umgekehrt wie bei den Bauern,
hier waren die Scheune und der Hof klein, und das Wohnhaus groß. Es war ein
geräumiges Fnchwerkgebäude aus dein siebzehnten Jahrhundert mit altem Schnitzwerk
an den Balken, einem lnppelbedecktcn Turm vor der Mitte und einem zwei Stock¬
werke hohen Schicferdache. Rings um das Dorf zog sich eine Trift, ein mit
Pflauinenbnninen eingefaßter Graswcg. Darüber hinaus sah man die Ane des


Doktor Duttmüller und sein Freund

herrschte die tiefste Einsamkeit, mir die Wildenten schwatzten im Röhricht, und
die Karpfen schnalzten aus der glatten Fläche, in der sich ein majestätischer
Hochwald spiegelte. Da war mirs, als ballten sich die wallenden Nebel zu
Schildbnrgergestalten; ich sah, wie sie die Nathausglocke in den Kahn trugen,
sie im See zu versenken, und wie der Schultheiß einen Kerbschnitt ins Schiff¬
holz machte, die Stelle zu merken. Dabei schaute ihm aus deu von Sitzen-
roda herübertreibendcn Nebelschleiern das weinrote Gesicht Hans Friedrichs
von Schönberg zu und nickte mit boshaftem Schmunzeln. Doch plötzlich änderte
sich die Szene: die Schildbürger verwandelten sich in stramme preußische Land-
wehrleute, der Schultheiß in den Feldwebel — und mit gefälltem Bajonett
stürmten sie auf den Sitzcnrodaer los. Dn faßte mich das Grausen: eilig
bestieg ich mein Stahlroß und jagte von dannen; aber ein böser Meilenstein,
der an der Wegbiegung stand, büßte mich um Laterne und Bremse.




Doktor Duttmüller und sein Freund
n Fritz Anders (Rax Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart vo
Zweites Aapitel
wie Holziveiszig in die Breduljc kam

on Kirschberge hinter Hvlzwcißig hat m
an eine in der ganzen
Gegend hochberühmte Aussicht. Wenigstens pflegte der Schulze
Lüttge, wenn er da oben saß, sein Glas Bier vor sich und sein
Bereich unter sich, zu sagen: Kinder, Kinder, thut mir den einzigen
Gefallen! giebts denn was schönres in der Welt? der Wald und die
Feldflur und überhaupt die Rübemicler, und was da drüben der
Göddeckenberg ist, wo man einen Kartoffelb'oben hat wie ausgesucht? — Wer nun
auch nicht Landwirt war, der konnte sich doch einer schönen Aussicht in die grüne
lachende Gegend freuen. Zunächst auf Holzweißig, das sich an deu Fuß des
Kirschberges anlehnte, der wiederum ein Abhang des Böhnhnrdt, eines waldigen
Bergrückens war. Holzweißig war ein hübsches Dorf —- wie aus einer Schachtel
hingebaut. Zu höchst und dem Kirschberge am nächsten stand die Kirche mit ihrem
spitzen Turme und der goldnen Wetterfahne. Dann kam, ganz grün bewachsen und
zwischen alten Nußbäumen liegend, das Pfarrhaus. Daneben stand frisch angestrichen,
nüchtern und zwcckbewußt die Schule. Darüber hinaus sah mau die gerade Dorf-
straße hinunter. Man sah das Spritzenhaus, den Laufbrunnen mit der Tränke,
Happichs Gasthaus zum Braunen Bären und rechts und links stattliche Bauernhöfe
mit großen Scheunen und kleinen Wohnhäusern. Ganz unter im Dorfe lagen die
Schmiede, die Mühle und der Mühlteich, und seitlich davon, umgeben von statt¬
lichen alten Kastanien, der Fronhvf. Hier war es umgekehrt wie bei den Bauern,
hier waren die Scheune und der Hof klein, und das Wohnhaus groß. Es war ein
geräumiges Fnchwerkgebäude aus dein siebzehnten Jahrhundert mit altem Schnitzwerk
an den Balken, einem lnppelbedecktcn Turm vor der Mitte und einem zwei Stock¬
werke hohen Schicferdache. Rings um das Dorf zog sich eine Trift, ein mit
Pflauinenbnninen eingefaßter Graswcg. Darüber hinaus sah man die Ane des


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[0108] Doktor Duttmüller und sein Freund herrschte die tiefste Einsamkeit, mir die Wildenten schwatzten im Röhricht, und die Karpfen schnalzten aus der glatten Fläche, in der sich ein majestätischer Hochwald spiegelte. Da war mirs, als ballten sich die wallenden Nebel zu Schildbnrgergestalten; ich sah, wie sie die Nathausglocke in den Kahn trugen, sie im See zu versenken, und wie der Schultheiß einen Kerbschnitt ins Schiff¬ holz machte, die Stelle zu merken. Dabei schaute ihm aus deu von Sitzen- roda herübertreibendcn Nebelschleiern das weinrote Gesicht Hans Friedrichs von Schönberg zu und nickte mit boshaftem Schmunzeln. Doch plötzlich änderte sich die Szene: die Schildbürger verwandelten sich in stramme preußische Land- wehrleute, der Schultheiß in den Feldwebel — und mit gefälltem Bajonett stürmten sie auf den Sitzcnrodaer los. Dn faßte mich das Grausen: eilig bestieg ich mein Stahlroß und jagte von dannen; aber ein böser Meilenstein, der an der Wegbiegung stand, büßte mich um Laterne und Bremse. Doktor Duttmüller und sein Freund n Fritz Anders (Rax Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart vo Zweites Aapitel wie Holziveiszig in die Breduljc kam on Kirschberge hinter Hvlzwcißig hat m an eine in der ganzen Gegend hochberühmte Aussicht. Wenigstens pflegte der Schulze Lüttge, wenn er da oben saß, sein Glas Bier vor sich und sein Bereich unter sich, zu sagen: Kinder, Kinder, thut mir den einzigen Gefallen! giebts denn was schönres in der Welt? der Wald und die Feldflur und überhaupt die Rübemicler, und was da drüben der Göddeckenberg ist, wo man einen Kartoffelb'oben hat wie ausgesucht? — Wer nun auch nicht Landwirt war, der konnte sich doch einer schönen Aussicht in die grüne lachende Gegend freuen. Zunächst auf Holzweißig, das sich an deu Fuß des Kirschberges anlehnte, der wiederum ein Abhang des Böhnhnrdt, eines waldigen Bergrückens war. Holzweißig war ein hübsches Dorf —- wie aus einer Schachtel hingebaut. Zu höchst und dem Kirschberge am nächsten stand die Kirche mit ihrem spitzen Turme und der goldnen Wetterfahne. Dann kam, ganz grün bewachsen und zwischen alten Nußbäumen liegend, das Pfarrhaus. Daneben stand frisch angestrichen, nüchtern und zwcckbewußt die Schule. Darüber hinaus sah mau die gerade Dorf- straße hinunter. Man sah das Spritzenhaus, den Laufbrunnen mit der Tränke, Happichs Gasthaus zum Braunen Bären und rechts und links stattliche Bauernhöfe mit großen Scheunen und kleinen Wohnhäusern. Ganz unter im Dorfe lagen die Schmiede, die Mühle und der Mühlteich, und seitlich davon, umgeben von statt¬ lichen alten Kastanien, der Fronhvf. Hier war es umgekehrt wie bei den Bauern, hier waren die Scheune und der Hof klein, und das Wohnhaus groß. Es war ein geräumiges Fnchwerkgebäude aus dein siebzehnten Jahrhundert mit altem Schnitzwerk an den Balken, einem lnppelbedecktcn Turm vor der Mitte und einem zwei Stock¬ werke hohen Schicferdache. Rings um das Dorf zog sich eine Trift, ein mit Pflauinenbnninen eingefaßter Graswcg. Darüber hinaus sah man die Ane des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/108>, abgerufen am 28.04.2024.