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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Zur Entwicklungsgeschichte der absoluten Monarchie in Rußland

fühlen sich stark genug, mit aller Welt zu rempeln. Aus solcher Gesinnung
fließen wenigstens teilweise auch die Sympathien für die Buren. Wir billigen sie
durchaus, allerdings aus andern Gründen, wir haben aber sehr viel gegen die
Versuche einzuwenden, nach ihnen unsre auswärtige Politik bestimmen zu wollen
oder zu beurteilen. Und doch geschieht das immer wieder. Und was das
Schlimmste dabei ist, das Mißtrauen gegen den Kaiser und die Reichsregierung
-- so dürfen wir jetzt nach dem rühmlichen Vorgange der jüngsten Thronrede
König Alberts von Sachsen unbedenklich sagen -- wird dadurch fortwährend
geradezu planmäßig genährt, als wenn der Kaiser nur aus persönlicher Lieb¬
haberei und verwandtschaftlicher Zuneigung freundschaftliche Beziehungen mit
England unterhielte, und als ob eben jetzt nicht alles darauf ankäme, daß
Regierung und Volk fest zusammenstehn. Wir geben gern zu, es könnte auch
von der andern Seite manches unterlassen werden, was die falsche Vorstellung
nährt, und wir hätten z. V. den Schwarzen Adlerorden in diesem Augenblicke
lieber nicht auf der Brust vou Lord Roberts gesehen; der Vogel hat an dieser
Stelle weit mehr böses Blut gemacht, als er wert war. Aber die Hauptsache
liegt doch tiefer. Im deutschen Volke lebt -- mit Recht oder nicht -- eine
starke Abneigung gegen ein wenigstens scheinbar persönliches Regiment; man
hat es sich von Bismarck gefallen lassen, weil er eben nur Minister war und
offen bekämpft werden konnte; man will es dem Kaiser nicht zugestehn, weil
es der konstitutionellen Schablone nicht entspricht, und weil er es als Monarch
viel nachdrücklicher, widerspruchsloser üben kann als irgend ein Minister.
Zwischen der Unfähigkeit der Nation, eine starke persönliche Regierung zu er¬
tragen, ohne fortwährend zu kritteln, zu sticheln und zu nörgeln, und der Un¬
fähigkeit, die große deutsche Politik sachgemäß selbst auch uur zu beurteilen,
geschweige denn selbst zu machen, liegt ein unheilvoller Widerspruch, der uns
den Blick in die Zukunft trübt, denn wir sehen mit schwerem Herzen, daß das
unpolitische Wesen unsers Volks, das unsre nationale Entwicklung gehemmt
und vielfach unheilbar verdorben hat, heute noch ebenso stark ist wie vor Jahr¬
hunderten.




Zur Entwicklungsgeschichte der absoluten Monarchie
in Rußland

ein Zeitraum hat in der Geschichte des modernen Rußlands so
tiefe Spuren hinterlassen wie die Regierung Alexanders II. Keine
ist aber auch so reich an äußern Mißerfolgen gewesen, die das
freiheitliche Programm des wohlmeinenden Monarchen scheinbar
^bis in seine letzten Konsequenzen widerlegten. Die größte innere
Reform, die Aufhebung der Leibeigenschaft, war von dem Niedergange des
Adels begleitet, während der Bauernstand unter dem Zeichen der Freiheit zuVW
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Zur Entwicklungsgeschichte der absoluten Monarchie in Rußland

fühlen sich stark genug, mit aller Welt zu rempeln. Aus solcher Gesinnung
fließen wenigstens teilweise auch die Sympathien für die Buren. Wir billigen sie
durchaus, allerdings aus andern Gründen, wir haben aber sehr viel gegen die
Versuche einzuwenden, nach ihnen unsre auswärtige Politik bestimmen zu wollen
oder zu beurteilen. Und doch geschieht das immer wieder. Und was das
Schlimmste dabei ist, das Mißtrauen gegen den Kaiser und die Reichsregierung
— so dürfen wir jetzt nach dem rühmlichen Vorgange der jüngsten Thronrede
König Alberts von Sachsen unbedenklich sagen — wird dadurch fortwährend
geradezu planmäßig genährt, als wenn der Kaiser nur aus persönlicher Lieb¬
haberei und verwandtschaftlicher Zuneigung freundschaftliche Beziehungen mit
England unterhielte, und als ob eben jetzt nicht alles darauf ankäme, daß
Regierung und Volk fest zusammenstehn. Wir geben gern zu, es könnte auch
von der andern Seite manches unterlassen werden, was die falsche Vorstellung
nährt, und wir hätten z. V. den Schwarzen Adlerorden in diesem Augenblicke
lieber nicht auf der Brust vou Lord Roberts gesehen; der Vogel hat an dieser
Stelle weit mehr böses Blut gemacht, als er wert war. Aber die Hauptsache
liegt doch tiefer. Im deutschen Volke lebt — mit Recht oder nicht — eine
starke Abneigung gegen ein wenigstens scheinbar persönliches Regiment; man
hat es sich von Bismarck gefallen lassen, weil er eben nur Minister war und
offen bekämpft werden konnte; man will es dem Kaiser nicht zugestehn, weil
es der konstitutionellen Schablone nicht entspricht, und weil er es als Monarch
viel nachdrücklicher, widerspruchsloser üben kann als irgend ein Minister.
Zwischen der Unfähigkeit der Nation, eine starke persönliche Regierung zu er¬
tragen, ohne fortwährend zu kritteln, zu sticheln und zu nörgeln, und der Un¬
fähigkeit, die große deutsche Politik sachgemäß selbst auch uur zu beurteilen,
geschweige denn selbst zu machen, liegt ein unheilvoller Widerspruch, der uns
den Blick in die Zukunft trübt, denn wir sehen mit schwerem Herzen, daß das
unpolitische Wesen unsers Volks, das unsre nationale Entwicklung gehemmt
und vielfach unheilbar verdorben hat, heute noch ebenso stark ist wie vor Jahr¬
hunderten.




Zur Entwicklungsgeschichte der absoluten Monarchie
in Rußland

ein Zeitraum hat in der Geschichte des modernen Rußlands so
tiefe Spuren hinterlassen wie die Regierung Alexanders II. Keine
ist aber auch so reich an äußern Mißerfolgen gewesen, die das
freiheitliche Programm des wohlmeinenden Monarchen scheinbar
^bis in seine letzten Konsequenzen widerlegten. Die größte innere
Reform, die Aufhebung der Leibeigenschaft, war von dem Niedergange des
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/19>, abgerufen am 28.04.2024.