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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe
2. Acunpfe früherer Aelter

" as deutsche Sprachgebiet in seiner heutigen Gestaltung ist Une
die Sprachgebiete aller Nationen das Ergebnis eines viele Jahr¬
hunderte dauernden Nationalitätskampfs. Dieser Kampf ist nicht
mit kriegerischen Waffen geführt worden, wenn auch die Ent¬
scheidungen der Kriege oft seinen Gang beeinflußt, ja ihm hier
und da eine bestimmte Wendung gegeben haben.

Von den Nationen und Sprachen, die noch in historischer Zeit in Europa
blühten, sind einige ganz und gar verschwunden. Von den einst zahlreichen
und hoch entwickelten Etruskern wissen wir nur durch die geschichtliche Über¬
lieferung und durch die Überbleibsel ihrer eigentümlichen Kultur. Wie sie, sind
die stammverwandten Rhätier und die Ligurer untergegangen. Von den einst
Aquitnnien und Spanien bevölkernden Vaskonen ist heute nur der unbedeutende
baskische Nest im Winkel des Meerbusens von Biskaya übrig geblieben. Und
die Völker keltischen Stammes, die noch zu Beginn unsrer Zeitrechnung ganz
Gallien, Belgien, die Schweiz, einen großen Teil des westlichen und das
ganze südliche Deutschland nebst dem angrenzenden Böhmen und Teilen Pan-
noniens, sowie ganz Großbritannien und Irland, den größten Teil der
Pyrenäenhalbinsel, das nördliche Italien erfüllten und sich bis nach Klein¬
asien ausbreiteten, sind heute beschränkt auf Teile der Bretagne, Irlands,
Schottlands, auf Wales und einige Inseln.

In den durch das Verschwinden der etruskischen, ligurischen und keltischen
Völker frei gewordnen weiten Gebieten fanden andre Nationen reiche Aus-
dehuungsgelegcnheit, oder vielmehr durch ihre Ausdehnung wurden die erst¬
genannten Völker von ihrem angestammten Boden verdrängt, teilweise wurden
sie' völlig vernichtet. Die Römer nebst den ihnen stammverwandten Jtalikern
haben schon in sehr früher Zeit der ganzen einstmals so vielsprachigen apenni¬
nischen Halbinsel ein einheitliches nationales Gepräge aufgedrückt. Und weiter,
jenseits der Alpenkette, die dein Vordringen der Römer kein Ziel zu setzen
vermochte, verbreitete sich römische Sprache und Gesittung mit einer fast un¬
erklärlichen Schnelligkeit über Gallien, Spanien, Portugal, einen großen Teil
Britanniens, Belgien, den Westen und Süden Deutschlands, die Donauländer.
Hier, nahe an der Donaumündung, ist der am weitesten nach Osten vorgeschobne
Posten, auf dem es der Sprache der Römer gelang, dauernd festen Fuß zu
fassen: die Rumänen zeigen noch heute in Namen und Sprache deutlich genug
die Verwandtschaft mit den einstmaligen Beherrschern der Welt. Darüber
hinaus, im Orient, vermochte das Lateinertum der übermächtigen hellenischen




Nationalitätskämpfe
2. Acunpfe früherer Aelter

» as deutsche Sprachgebiet in seiner heutigen Gestaltung ist Une
die Sprachgebiete aller Nationen das Ergebnis eines viele Jahr¬
hunderte dauernden Nationalitätskampfs. Dieser Kampf ist nicht
mit kriegerischen Waffen geführt worden, wenn auch die Ent¬
scheidungen der Kriege oft seinen Gang beeinflußt, ja ihm hier
und da eine bestimmte Wendung gegeben haben.

Von den Nationen und Sprachen, die noch in historischer Zeit in Europa
blühten, sind einige ganz und gar verschwunden. Von den einst zahlreichen
und hoch entwickelten Etruskern wissen wir nur durch die geschichtliche Über¬
lieferung und durch die Überbleibsel ihrer eigentümlichen Kultur. Wie sie, sind
die stammverwandten Rhätier und die Ligurer untergegangen. Von den einst
Aquitnnien und Spanien bevölkernden Vaskonen ist heute nur der unbedeutende
baskische Nest im Winkel des Meerbusens von Biskaya übrig geblieben. Und
die Völker keltischen Stammes, die noch zu Beginn unsrer Zeitrechnung ganz
Gallien, Belgien, die Schweiz, einen großen Teil des westlichen und das
ganze südliche Deutschland nebst dem angrenzenden Böhmen und Teilen Pan-
noniens, sowie ganz Großbritannien und Irland, den größten Teil der
Pyrenäenhalbinsel, das nördliche Italien erfüllten und sich bis nach Klein¬
asien ausbreiteten, sind heute beschränkt auf Teile der Bretagne, Irlands,
Schottlands, auf Wales und einige Inseln.

In den durch das Verschwinden der etruskischen, ligurischen und keltischen
Völker frei gewordnen weiten Gebieten fanden andre Nationen reiche Aus-
dehuungsgelegcnheit, oder vielmehr durch ihre Ausdehnung wurden die erst¬
genannten Völker von ihrem angestammten Boden verdrängt, teilweise wurden
sie' völlig vernichtet. Die Römer nebst den ihnen stammverwandten Jtalikern
haben schon in sehr früher Zeit der ganzen einstmals so vielsprachigen apenni¬
nischen Halbinsel ein einheitliches nationales Gepräge aufgedrückt. Und weiter,
jenseits der Alpenkette, die dein Vordringen der Römer kein Ziel zu setzen
vermochte, verbreitete sich römische Sprache und Gesittung mit einer fast un¬
erklärlichen Schnelligkeit über Gallien, Spanien, Portugal, einen großen Teil
Britanniens, Belgien, den Westen und Süden Deutschlands, die Donauländer.
Hier, nahe an der Donaumündung, ist der am weitesten nach Osten vorgeschobne
Posten, auf dem es der Sprache der Römer gelang, dauernd festen Fuß zu
fassen: die Rumänen zeigen noch heute in Namen und Sprache deutlich genug
die Verwandtschaft mit den einstmaligen Beherrschern der Welt. Darüber
hinaus, im Orient, vermochte das Lateinertum der übermächtigen hellenischen


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[0198] [Abbildung] Nationalitätskämpfe 2. Acunpfe früherer Aelter » as deutsche Sprachgebiet in seiner heutigen Gestaltung ist Une die Sprachgebiete aller Nationen das Ergebnis eines viele Jahr¬ hunderte dauernden Nationalitätskampfs. Dieser Kampf ist nicht mit kriegerischen Waffen geführt worden, wenn auch die Ent¬ scheidungen der Kriege oft seinen Gang beeinflußt, ja ihm hier und da eine bestimmte Wendung gegeben haben. Von den Nationen und Sprachen, die noch in historischer Zeit in Europa blühten, sind einige ganz und gar verschwunden. Von den einst zahlreichen und hoch entwickelten Etruskern wissen wir nur durch die geschichtliche Über¬ lieferung und durch die Überbleibsel ihrer eigentümlichen Kultur. Wie sie, sind die stammverwandten Rhätier und die Ligurer untergegangen. Von den einst Aquitnnien und Spanien bevölkernden Vaskonen ist heute nur der unbedeutende baskische Nest im Winkel des Meerbusens von Biskaya übrig geblieben. Und die Völker keltischen Stammes, die noch zu Beginn unsrer Zeitrechnung ganz Gallien, Belgien, die Schweiz, einen großen Teil des westlichen und das ganze südliche Deutschland nebst dem angrenzenden Böhmen und Teilen Pan- noniens, sowie ganz Großbritannien und Irland, den größten Teil der Pyrenäenhalbinsel, das nördliche Italien erfüllten und sich bis nach Klein¬ asien ausbreiteten, sind heute beschränkt auf Teile der Bretagne, Irlands, Schottlands, auf Wales und einige Inseln. In den durch das Verschwinden der etruskischen, ligurischen und keltischen Völker frei gewordnen weiten Gebieten fanden andre Nationen reiche Aus- dehuungsgelegcnheit, oder vielmehr durch ihre Ausdehnung wurden die erst¬ genannten Völker von ihrem angestammten Boden verdrängt, teilweise wurden sie' völlig vernichtet. Die Römer nebst den ihnen stammverwandten Jtalikern haben schon in sehr früher Zeit der ganzen einstmals so vielsprachigen apenni¬ nischen Halbinsel ein einheitliches nationales Gepräge aufgedrückt. Und weiter, jenseits der Alpenkette, die dein Vordringen der Römer kein Ziel zu setzen vermochte, verbreitete sich römische Sprache und Gesittung mit einer fast un¬ erklärlichen Schnelligkeit über Gallien, Spanien, Portugal, einen großen Teil Britanniens, Belgien, den Westen und Süden Deutschlands, die Donauländer. Hier, nahe an der Donaumündung, ist der am weitesten nach Osten vorgeschobne Posten, auf dem es der Sprache der Römer gelang, dauernd festen Fuß zu fassen: die Rumänen zeigen noch heute in Namen und Sprache deutlich genug die Verwandtschaft mit den einstmaligen Beherrschern der Welt. Darüber hinaus, im Orient, vermochte das Lateinertum der übermächtigen hellenischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/198>, abgerufen am 28.04.2024.