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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Schweizerische Fernsichten

und Industriestaaten, die innerlich ausgeglichen die Produkte des Nordens und
des Südens in sich vereinigen, enorme Strecken kultivierbaren Landes und auf¬
nahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind im Werden begriffen. Rußland
hat in Asien seine weitgesteckten Ziele erst mit der Abhängigkeit dieses Erd¬
teils erreicht und den gewaltigen Ausbau seines Reichs vollendet, wenn es
auch in den umliegenden Meeren herrscht. Gestützt auf eine kaum crschütter-
bare kontinentale Basis und sich bewußt seiner sich von Tag zu Tage durch
den innern und ünßern Ausbau des Reiches festigenden, jetzt schon übermäch¬
tigen Weltmachtstellung verfolgt es, nur für sich arbeitend, eine rein egoistische
Sonderpolitik, deren äußere Erfolge sich recht drastisch in dem Eisenbahn-
kouzessionsbcstätigungsrecht in Persien und dem Erwerb der Mandschurei in
China gezeigt haben.

Eine schwere Gefahr liegt für die übrigen Völker in diesem Länder- und
und somit Absatzgebiete verzehrenden Vormarsch, durch den ein Riesenkontinental-
staat geschaffen wird, dessen Weltstellung eine starke Bedrohung des Welt¬
U. sah. gleichgewichts wird.




schweizerische Fernsichten

in 15. Januar beging der schweizerische Gesandte in Berlin,
Oberst Roth, das seltne Fest des fünfundzwanzigjährigen Jubi¬
läums seiner erfolgreichen und verdienstvollen Thätigkeit in dieser
verantwortungsvollen Stellung. Oftmals hat er von seinem
diplomatischen Geschick und Takt Zeugnis abgelegt, und sein
Ehrentag ist deshalb in den weitesten Kreisen unter sympathischen Kund¬
gebungen gefeiert worden.

Der unvoreingenommne Beobachter muß unbedingt anerkennen, daß die
verantwortliche Leitung der auswärtigen Politik der Schweiz in den Händen
von Männern liegt, deren Horizont durchaus nicht durch die engen Grenzen
oder durch die hochragenden Berge ihres Heimatlandes eingeschränkt oder ein¬
gezwängt wird, deren sichrer Blick vielmehr darüber hin in die Ferne und in
die Zukunft schweift. In die weitere Öffentlichkeit dringt die stille Thätigkeit
dieser Männer aber verhältnismäßig nur wenig; die schweizerische Politik wird
darum -- sehr zu ihrem Nachteil -- vielfach lediglich nach den Zeitungs-
Pvlitikern beurteilt, und leider wird deren Fernblick oft schon durch relativ
recht unbedeutende Höhen begrenzt -- gegenwärtig durch den Tttllinger Berg
auf badischem Gebiet bei Basel, ans dem deutscherseits zur Sicherung der
Hüninger Brücken angeblich die Anlage eines Forts geplant ist.

Es würde zu weit führen, wollte man auf den Zeitungskrieg näher ein¬
gehn, der um diese -- noch durch nichts verbürgte -- Nachricht schon geführt
worden ist. Neuerdings wurde aber ein aus Basel datierter längerer Artikel


Schweizerische Fernsichten

und Industriestaaten, die innerlich ausgeglichen die Produkte des Nordens und
des Südens in sich vereinigen, enorme Strecken kultivierbaren Landes und auf¬
nahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind im Werden begriffen. Rußland
hat in Asien seine weitgesteckten Ziele erst mit der Abhängigkeit dieses Erd¬
teils erreicht und den gewaltigen Ausbau seines Reichs vollendet, wenn es
auch in den umliegenden Meeren herrscht. Gestützt auf eine kaum crschütter-
bare kontinentale Basis und sich bewußt seiner sich von Tag zu Tage durch
den innern und ünßern Ausbau des Reiches festigenden, jetzt schon übermäch¬
tigen Weltmachtstellung verfolgt es, nur für sich arbeitend, eine rein egoistische
Sonderpolitik, deren äußere Erfolge sich recht drastisch in dem Eisenbahn-
kouzessionsbcstätigungsrecht in Persien und dem Erwerb der Mandschurei in
China gezeigt haben.

Eine schwere Gefahr liegt für die übrigen Völker in diesem Länder- und
und somit Absatzgebiete verzehrenden Vormarsch, durch den ein Riesenkontinental-
staat geschaffen wird, dessen Weltstellung eine starke Bedrohung des Welt¬
U. sah. gleichgewichts wird.




schweizerische Fernsichten

in 15. Januar beging der schweizerische Gesandte in Berlin,
Oberst Roth, das seltne Fest des fünfundzwanzigjährigen Jubi¬
läums seiner erfolgreichen und verdienstvollen Thätigkeit in dieser
verantwortungsvollen Stellung. Oftmals hat er von seinem
diplomatischen Geschick und Takt Zeugnis abgelegt, und sein
Ehrentag ist deshalb in den weitesten Kreisen unter sympathischen Kund¬
gebungen gefeiert worden.

Der unvoreingenommne Beobachter muß unbedingt anerkennen, daß die
verantwortliche Leitung der auswärtigen Politik der Schweiz in den Händen
von Männern liegt, deren Horizont durchaus nicht durch die engen Grenzen
oder durch die hochragenden Berge ihres Heimatlandes eingeschränkt oder ein¬
gezwängt wird, deren sichrer Blick vielmehr darüber hin in die Ferne und in
die Zukunft schweift. In die weitere Öffentlichkeit dringt die stille Thätigkeit
dieser Männer aber verhältnismäßig nur wenig; die schweizerische Politik wird
darum — sehr zu ihrem Nachteil — vielfach lediglich nach den Zeitungs-
Pvlitikern beurteilt, und leider wird deren Fernblick oft schon durch relativ
recht unbedeutende Höhen begrenzt — gegenwärtig durch den Tttllinger Berg
auf badischem Gebiet bei Basel, ans dem deutscherseits zur Sicherung der
Hüninger Brücken angeblich die Anlage eines Forts geplant ist.

Es würde zu weit führen, wollte man auf den Zeitungskrieg näher ein¬
gehn, der um diese — noch durch nichts verbürgte — Nachricht schon geführt
worden ist. Neuerdings wurde aber ein aus Basel datierter längerer Artikel


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[0245] Schweizerische Fernsichten und Industriestaaten, die innerlich ausgeglichen die Produkte des Nordens und des Südens in sich vereinigen, enorme Strecken kultivierbaren Landes und auf¬ nahmefähiger Absatzgebiete einschließen, sind im Werden begriffen. Rußland hat in Asien seine weitgesteckten Ziele erst mit der Abhängigkeit dieses Erd¬ teils erreicht und den gewaltigen Ausbau seines Reichs vollendet, wenn es auch in den umliegenden Meeren herrscht. Gestützt auf eine kaum crschütter- bare kontinentale Basis und sich bewußt seiner sich von Tag zu Tage durch den innern und ünßern Ausbau des Reiches festigenden, jetzt schon übermäch¬ tigen Weltmachtstellung verfolgt es, nur für sich arbeitend, eine rein egoistische Sonderpolitik, deren äußere Erfolge sich recht drastisch in dem Eisenbahn- kouzessionsbcstätigungsrecht in Persien und dem Erwerb der Mandschurei in China gezeigt haben. Eine schwere Gefahr liegt für die übrigen Völker in diesem Länder- und und somit Absatzgebiete verzehrenden Vormarsch, durch den ein Riesenkontinental- staat geschaffen wird, dessen Weltstellung eine starke Bedrohung des Welt¬ U. sah. gleichgewichts wird. schweizerische Fernsichten in 15. Januar beging der schweizerische Gesandte in Berlin, Oberst Roth, das seltne Fest des fünfundzwanzigjährigen Jubi¬ läums seiner erfolgreichen und verdienstvollen Thätigkeit in dieser verantwortungsvollen Stellung. Oftmals hat er von seinem diplomatischen Geschick und Takt Zeugnis abgelegt, und sein Ehrentag ist deshalb in den weitesten Kreisen unter sympathischen Kund¬ gebungen gefeiert worden. Der unvoreingenommne Beobachter muß unbedingt anerkennen, daß die verantwortliche Leitung der auswärtigen Politik der Schweiz in den Händen von Männern liegt, deren Horizont durchaus nicht durch die engen Grenzen oder durch die hochragenden Berge ihres Heimatlandes eingeschränkt oder ein¬ gezwängt wird, deren sichrer Blick vielmehr darüber hin in die Ferne und in die Zukunft schweift. In die weitere Öffentlichkeit dringt die stille Thätigkeit dieser Männer aber verhältnismäßig nur wenig; die schweizerische Politik wird darum — sehr zu ihrem Nachteil — vielfach lediglich nach den Zeitungs- Pvlitikern beurteilt, und leider wird deren Fernblick oft schon durch relativ recht unbedeutende Höhen begrenzt — gegenwärtig durch den Tttllinger Berg auf badischem Gebiet bei Basel, ans dem deutscherseits zur Sicherung der Hüninger Brücken angeblich die Anlage eines Forts geplant ist. Es würde zu weit führen, wollte man auf den Zeitungskrieg näher ein¬ gehn, der um diese — noch durch nichts verbürgte — Nachricht schon geführt worden ist. Neuerdings wurde aber ein aus Basel datierter längerer Artikel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/245>, abgerufen am 28.04.2024.