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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Kapitel 18, protestiert er entschieden gegen solche Stellen im Homer, die Un¬
heil auf den Beschluß und die Thätigkeit lion Göttern zurückführen, und be¬
weist, daß, da Gott vollkommen gut sei, nichts Schädliches von ihm herrühren
oder ausgehn könne, daß demnach, da die Übel in der Welt überwiegen, Gott
keineswegs der Urheber von allem sei, sondern nur vom kleinern Teile dessen,
was geschieht, und daß man die Ursachen des übrigen anderswo zu suchen
habe. Wenn Gott auch die Gerechten manchmal mit Leiden heimsuche, so
geschehe es zu ihrer Besserung, sei also kein Übel.

(Schluß folgt)




Doktor Duttmüller und sein Freund
von Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart Fünftes Kapitel
Der neue Doktor

as Gefühl der Befriedigung darüber, daß man etwas geworden ist,
ist offenbar ein berechtigtes Gefühl; bei Louis Duttmüller war es
doppelt berechtigt, weil es ihm im Leben schwerer gemacht worden
war, etwas zu werden, als manchem andern. Was war seine Jugend
gewesen? Plage. Nichts von dem, was einen jungen Menschen
freut, immer nur Bücher, immer nur fitzen, studieren, schreiben, immer
nur der mütterliche Antrieb: Louis, lerne, lerne, daß du was werden kannst.
Und Louis lernte, erst gezwungen, dann aus Gewohnheit und dann aus dem Ehr¬
geize, den andern, denen er es außer der Schule nicht gleich thun konnte, wenigstens
in der Schule über zu sein. Das Gefühl der Dürftigkeit und des Spareumüssens
wurde er nie los. Er sah es täglich schon seinen Rockcirmeln und Hosenbeinen an,
die immer zu kurz waren, weil die neuen guten Kleider so lange aus Sparsamkeit
geschont wurden, bis sie verwachsen waren. Niemals hatte er einen überflüssigen
Groschen Geld in der Tasche, und wenn er sich einmal ein paar Groschen aus¬
zugeben aufschwang, geschah es nicht mit der frohen Sorglosigkeit der Jngend,
sondern zögernd und ohne Genuß davon zu haben. Und mit Neid sah er auf die
Söhne wohlhabender Eltern unter seinen Kommilitonen, wie sie sich betrugen, wie
sie ihr Glas Bier tranken und ihre Zigarre rauchten und mit unschuldigen kleinen
Liebschaften renommierten. Das konnte er ihnen nicht nachmachen, jetzt noch nicht,
"ber später, wenn er etwas geworden war!

Auf der Universität hatte sich die Lage nicht sehr geändert. Immer hatte
er gedrückt und vereinsamt hinter der Kolonne herziehn müssen. Einen Freund
hatte er in den schönen Studentenjahren nicht gewonnen. Er hatte nicht einmal
^ier trinken lernen. Einmal hatte er Mut gefaßt, er hatte sich zu einigen Gast-
desuchen bei einer nobeln Verbindung überreden lassen, er hatte sich selbst möglichst
nobel benommen, aber man hatte ihn fallen lassen, weil man einen solchen "Schuster"
nicht brauchen konnte. Das hatte man ihm zwar nicht ins Gesicht gesagt, er hatte
es aber hinterher doch erfahren, und das war bitter gewesen. Seitdem war er
nuf den Verkehr mit seinesgleichen, auf den Besuch eines Bierkonzerts, wo er nobel
leine Tasse Kaffee trank, seine Zigarre rauchte und sich nobel langweilte, auf ein paar


Doktor Duttmüller und sein Freund

Kapitel 18, protestiert er entschieden gegen solche Stellen im Homer, die Un¬
heil auf den Beschluß und die Thätigkeit lion Göttern zurückführen, und be¬
weist, daß, da Gott vollkommen gut sei, nichts Schädliches von ihm herrühren
oder ausgehn könne, daß demnach, da die Übel in der Welt überwiegen, Gott
keineswegs der Urheber von allem sei, sondern nur vom kleinern Teile dessen,
was geschieht, und daß man die Ursachen des übrigen anderswo zu suchen
habe. Wenn Gott auch die Gerechten manchmal mit Leiden heimsuche, so
geschehe es zu ihrer Besserung, sei also kein Übel.

(Schluß folgt)




Doktor Duttmüller und sein Freund
von Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart Fünftes Kapitel
Der neue Doktor

as Gefühl der Befriedigung darüber, daß man etwas geworden ist,
ist offenbar ein berechtigtes Gefühl; bei Louis Duttmüller war es
doppelt berechtigt, weil es ihm im Leben schwerer gemacht worden
war, etwas zu werden, als manchem andern. Was war seine Jugend
gewesen? Plage. Nichts von dem, was einen jungen Menschen
freut, immer nur Bücher, immer nur fitzen, studieren, schreiben, immer
nur der mütterliche Antrieb: Louis, lerne, lerne, daß du was werden kannst.
Und Louis lernte, erst gezwungen, dann aus Gewohnheit und dann aus dem Ehr¬
geize, den andern, denen er es außer der Schule nicht gleich thun konnte, wenigstens
in der Schule über zu sein. Das Gefühl der Dürftigkeit und des Spareumüssens
wurde er nie los. Er sah es täglich schon seinen Rockcirmeln und Hosenbeinen an,
die immer zu kurz waren, weil die neuen guten Kleider so lange aus Sparsamkeit
geschont wurden, bis sie verwachsen waren. Niemals hatte er einen überflüssigen
Groschen Geld in der Tasche, und wenn er sich einmal ein paar Groschen aus¬
zugeben aufschwang, geschah es nicht mit der frohen Sorglosigkeit der Jngend,
sondern zögernd und ohne Genuß davon zu haben. Und mit Neid sah er auf die
Söhne wohlhabender Eltern unter seinen Kommilitonen, wie sie sich betrugen, wie
sie ihr Glas Bier tranken und ihre Zigarre rauchten und mit unschuldigen kleinen
Liebschaften renommierten. Das konnte er ihnen nicht nachmachen, jetzt noch nicht,
"ber später, wenn er etwas geworden war!

Auf der Universität hatte sich die Lage nicht sehr geändert. Immer hatte
er gedrückt und vereinsamt hinter der Kolonne herziehn müssen. Einen Freund
hatte er in den schönen Studentenjahren nicht gewonnen. Er hatte nicht einmal
^ier trinken lernen. Einmal hatte er Mut gefaßt, er hatte sich zu einigen Gast-
desuchen bei einer nobeln Verbindung überreden lassen, er hatte sich selbst möglichst
nobel benommen, aber man hatte ihn fallen lassen, weil man einen solchen „Schuster"
nicht brauchen konnte. Das hatte man ihm zwar nicht ins Gesicht gesagt, er hatte
es aber hinterher doch erfahren, und das war bitter gewesen. Seitdem war er
nuf den Verkehr mit seinesgleichen, auf den Besuch eines Bierkonzerts, wo er nobel
leine Tasse Kaffee trank, seine Zigarre rauchte und sich nobel langweilte, auf ein paar


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[0271] Doktor Duttmüller und sein Freund Kapitel 18, protestiert er entschieden gegen solche Stellen im Homer, die Un¬ heil auf den Beschluß und die Thätigkeit lion Göttern zurückführen, und be¬ weist, daß, da Gott vollkommen gut sei, nichts Schädliches von ihm herrühren oder ausgehn könne, daß demnach, da die Übel in der Welt überwiegen, Gott keineswegs der Urheber von allem sei, sondern nur vom kleinern Teile dessen, was geschieht, und daß man die Ursachen des übrigen anderswo zu suchen habe. Wenn Gott auch die Gerechten manchmal mit Leiden heimsuche, so geschehe es zu ihrer Besserung, sei also kein Übel. (Schluß folgt) Doktor Duttmüller und sein Freund von Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart Fünftes Kapitel Der neue Doktor as Gefühl der Befriedigung darüber, daß man etwas geworden ist, ist offenbar ein berechtigtes Gefühl; bei Louis Duttmüller war es doppelt berechtigt, weil es ihm im Leben schwerer gemacht worden war, etwas zu werden, als manchem andern. Was war seine Jugend gewesen? Plage. Nichts von dem, was einen jungen Menschen freut, immer nur Bücher, immer nur fitzen, studieren, schreiben, immer nur der mütterliche Antrieb: Louis, lerne, lerne, daß du was werden kannst. Und Louis lernte, erst gezwungen, dann aus Gewohnheit und dann aus dem Ehr¬ geize, den andern, denen er es außer der Schule nicht gleich thun konnte, wenigstens in der Schule über zu sein. Das Gefühl der Dürftigkeit und des Spareumüssens wurde er nie los. Er sah es täglich schon seinen Rockcirmeln und Hosenbeinen an, die immer zu kurz waren, weil die neuen guten Kleider so lange aus Sparsamkeit geschont wurden, bis sie verwachsen waren. Niemals hatte er einen überflüssigen Groschen Geld in der Tasche, und wenn er sich einmal ein paar Groschen aus¬ zugeben aufschwang, geschah es nicht mit der frohen Sorglosigkeit der Jngend, sondern zögernd und ohne Genuß davon zu haben. Und mit Neid sah er auf die Söhne wohlhabender Eltern unter seinen Kommilitonen, wie sie sich betrugen, wie sie ihr Glas Bier tranken und ihre Zigarre rauchten und mit unschuldigen kleinen Liebschaften renommierten. Das konnte er ihnen nicht nachmachen, jetzt noch nicht, "ber später, wenn er etwas geworden war! Auf der Universität hatte sich die Lage nicht sehr geändert. Immer hatte er gedrückt und vereinsamt hinter der Kolonne herziehn müssen. Einen Freund hatte er in den schönen Studentenjahren nicht gewonnen. Er hatte nicht einmal ^ier trinken lernen. Einmal hatte er Mut gefaßt, er hatte sich zu einigen Gast- desuchen bei einer nobeln Verbindung überreden lassen, er hatte sich selbst möglichst nobel benommen, aber man hatte ihn fallen lassen, weil man einen solchen „Schuster" nicht brauchen konnte. Das hatte man ihm zwar nicht ins Gesicht gesagt, er hatte es aber hinterher doch erfahren, und das war bitter gewesen. Seitdem war er nuf den Verkehr mit seinesgleichen, auf den Besuch eines Bierkonzerts, wo er nobel leine Tasse Kaffee trank, seine Zigarre rauchte und sich nobel langweilte, auf ein paar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/271>, abgerufen am 29.04.2024.