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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Iwttmüller und sein Freund

Scherzworte mit Biermamsellen beschränkt gewesen. Immer hatte er das Bewußtsein,
sozusagen mit dem Kopf unterm Eise zu stecken und nicht hochkommen zu können.
Was blieb ihm übrig, als zu studieren und auf die Zeit zu warten, wo das Eis
brechen würde? Er schwärzte nie, er war unermüdlich, er wußte alles, er machte
die besten Examina, er wurde Assistent bei Geheimrat Forstmann. Aber da hing
wieder die Kette am Fuße, die Mittel reichten nicht aus, daß er nach dem Staats¬
examen die praktischen Studien hätte fortsetzen können, und Geheimrat Forstmann
ließ ihn, nachdem er ihn im Anfang bevorzugt hatte, plötzlich fallen. Warum?
Duttmüller vermochte es nicht zu erraten und war der Meinung, er werde zurück¬
gesetzt, weil er nicht der Sohn eines Professors oder eines reichen Mannes sei.

Nun war endlich das Ziel erreicht, zwar nicht das, das er sich erträumt
hatte, aber doch ein Ziel. Die blanke Tafel unten an der Thür verkündete der
Welt, daß hier Doktor Louis Duttmüller, praktischer Arzt und Geburtshelfer, wohne.
Er hatte seine eigne Stube, seine eignen Möbel, die freilich mehr nach dem Ge¬
schmack seiner Frau Mutter als nach seinem eignen ausgefallen und noch nicht
einmal bezahlt waren, sein eignes Schlafzimmer und sein Wartezimmer, wo ein
Haufen alter Nummern der Fliegenden Blätter lag. Dort seine Bücher, wohl¬
geordnet im Glasschränke, von allem das neuste und beste, dort seine medizinischen
Zeitschriften, die das allerneuste und allerbeste, in jeder Nummer mindestens zwei
neue Spezifika mit unfehlbarer Wirkung enthielten. Auf dem Tisch auch schon an ihn
gerichtete Ankündigungen und Anpreisungen von Apotheken und Heilmittelfabriken.
Dort Proben von Hämatomorphin und Mignol, einer Abänderung des Migränin,
die zur Prüfung eingesandt waren, die nach dem Begleitbericht alles je Dagewesene
übertreffen sollten, und die auch bei nächster sich darbietender Gelegenheit angewandt
werden müßten. Dort der Jnstrumentenkasten, der alles, vom Zahnschlüssel bis zur
Knochensäge enthielt, was der leidenden Menschheit Freude machen kann. Und
überall ein höchst notwendiger und höchst erfreulicher Geruch nach Jodoform.
Wollen wir es dem jungen Arzte verdenken, daß ihn ein Gefühl von Selbstbewußt¬
sein erfüllte, daß er durch würdevolle Haltung, durch ernste Miene, durch Kleidung
und Bügelfalte, durch Anwendung der Bartbinde, durch die Farbe der Handschuhe
andeutete: Hier ist einer, der etwas geworden ist?

Es ist nichts geringes, die Schlüssel über Leben und Tod in den Händen
zu tragen, ein Priester zu sein in dem Tempel des edelsten Gutes der Menschen,
der Gesundheit, es ist nichts geringes, inmitten eines nichtswissenden Volkes aus¬
gerüstet zu sein mit allen Mitteln modernster Wissenschaft, die Hygiene und Therapie,
Prophylaxis und Physiologie gelernt zu haben und zu beherrschen, als ein Heiland
an das Krankenbett zu treten und da, wo die Religion wohlfeilen Trost spendet,
Wunder der Wissenschaft zu thun und wirkliche Hilfe zu bringen. Louis Dutt¬
müller war etwas geworden. Jetzt begann seine Erntezeit, jetzt nahmen die Leute
den Hut vor ihm ab, jetzt kamen sie zu ihm, und jetzt durfte er Rechnungen
schreiben.

Wenn Louis Duttmüller ein dankbares Gemüt hatte, und er war nicht un¬
dankbar, so mußte sich dieses Gemüt seinem alten Freunde Wanderer und seinem
väterlichen Freunde dem Braumeister zuwenden, die ihm den Weg nach Holzweißig
gezeigt und geebnet hatten. Er konnte sich gratulieren, nicht Nein gesagt zu haben.
Er war mitten hinein in eine gesegnete, das heißt einträgliche Thätigkeit gekommen.
Sein Notizbuch wies eine ansehnliche Reihe von Konsultationen auf, die sich ihrerzeit
in Bargeld verwandeln mußten. Er brauchte uicht, wie seine Kollegen in der Stadt,
jahrelang anf ein paar Patienten zu lauern, er war ein fertiger Mann. Sein
Wartezimmer war kein trügerischer Schein, und seine Nachtglocke auch nicht. Nicht
allein, daß er seinen halbtot gefallnen Salzmüller hatte, den er mit sichrer Aussicht
auf Erfolg heilte, auch die gnädige Frau vom Fronhof hatte ihn schon am nächsten
Tage wieder kommen lassen, hatte die Unterredung über Nervenheilmittel fort¬
gesetzt, hatte sich ihre Diät, das Erfordernis an Albnminaten, Felder und Pro-


Doktor Iwttmüller und sein Freund

Scherzworte mit Biermamsellen beschränkt gewesen. Immer hatte er das Bewußtsein,
sozusagen mit dem Kopf unterm Eise zu stecken und nicht hochkommen zu können.
Was blieb ihm übrig, als zu studieren und auf die Zeit zu warten, wo das Eis
brechen würde? Er schwärzte nie, er war unermüdlich, er wußte alles, er machte
die besten Examina, er wurde Assistent bei Geheimrat Forstmann. Aber da hing
wieder die Kette am Fuße, die Mittel reichten nicht aus, daß er nach dem Staats¬
examen die praktischen Studien hätte fortsetzen können, und Geheimrat Forstmann
ließ ihn, nachdem er ihn im Anfang bevorzugt hatte, plötzlich fallen. Warum?
Duttmüller vermochte es nicht zu erraten und war der Meinung, er werde zurück¬
gesetzt, weil er nicht der Sohn eines Professors oder eines reichen Mannes sei.

Nun war endlich das Ziel erreicht, zwar nicht das, das er sich erträumt
hatte, aber doch ein Ziel. Die blanke Tafel unten an der Thür verkündete der
Welt, daß hier Doktor Louis Duttmüller, praktischer Arzt und Geburtshelfer, wohne.
Er hatte seine eigne Stube, seine eignen Möbel, die freilich mehr nach dem Ge¬
schmack seiner Frau Mutter als nach seinem eignen ausgefallen und noch nicht
einmal bezahlt waren, sein eignes Schlafzimmer und sein Wartezimmer, wo ein
Haufen alter Nummern der Fliegenden Blätter lag. Dort seine Bücher, wohl¬
geordnet im Glasschränke, von allem das neuste und beste, dort seine medizinischen
Zeitschriften, die das allerneuste und allerbeste, in jeder Nummer mindestens zwei
neue Spezifika mit unfehlbarer Wirkung enthielten. Auf dem Tisch auch schon an ihn
gerichtete Ankündigungen und Anpreisungen von Apotheken und Heilmittelfabriken.
Dort Proben von Hämatomorphin und Mignol, einer Abänderung des Migränin,
die zur Prüfung eingesandt waren, die nach dem Begleitbericht alles je Dagewesene
übertreffen sollten, und die auch bei nächster sich darbietender Gelegenheit angewandt
werden müßten. Dort der Jnstrumentenkasten, der alles, vom Zahnschlüssel bis zur
Knochensäge enthielt, was der leidenden Menschheit Freude machen kann. Und
überall ein höchst notwendiger und höchst erfreulicher Geruch nach Jodoform.
Wollen wir es dem jungen Arzte verdenken, daß ihn ein Gefühl von Selbstbewußt¬
sein erfüllte, daß er durch würdevolle Haltung, durch ernste Miene, durch Kleidung
und Bügelfalte, durch Anwendung der Bartbinde, durch die Farbe der Handschuhe
andeutete: Hier ist einer, der etwas geworden ist?

Es ist nichts geringes, die Schlüssel über Leben und Tod in den Händen
zu tragen, ein Priester zu sein in dem Tempel des edelsten Gutes der Menschen,
der Gesundheit, es ist nichts geringes, inmitten eines nichtswissenden Volkes aus¬
gerüstet zu sein mit allen Mitteln modernster Wissenschaft, die Hygiene und Therapie,
Prophylaxis und Physiologie gelernt zu haben und zu beherrschen, als ein Heiland
an das Krankenbett zu treten und da, wo die Religion wohlfeilen Trost spendet,
Wunder der Wissenschaft zu thun und wirkliche Hilfe zu bringen. Louis Dutt¬
müller war etwas geworden. Jetzt begann seine Erntezeit, jetzt nahmen die Leute
den Hut vor ihm ab, jetzt kamen sie zu ihm, und jetzt durfte er Rechnungen
schreiben.

Wenn Louis Duttmüller ein dankbares Gemüt hatte, und er war nicht un¬
dankbar, so mußte sich dieses Gemüt seinem alten Freunde Wanderer und seinem
väterlichen Freunde dem Braumeister zuwenden, die ihm den Weg nach Holzweißig
gezeigt und geebnet hatten. Er konnte sich gratulieren, nicht Nein gesagt zu haben.
Er war mitten hinein in eine gesegnete, das heißt einträgliche Thätigkeit gekommen.
Sein Notizbuch wies eine ansehnliche Reihe von Konsultationen auf, die sich ihrerzeit
in Bargeld verwandeln mußten. Er brauchte uicht, wie seine Kollegen in der Stadt,
jahrelang anf ein paar Patienten zu lauern, er war ein fertiger Mann. Sein
Wartezimmer war kein trügerischer Schein, und seine Nachtglocke auch nicht. Nicht
allein, daß er seinen halbtot gefallnen Salzmüller hatte, den er mit sichrer Aussicht
auf Erfolg heilte, auch die gnädige Frau vom Fronhof hatte ihn schon am nächsten
Tage wieder kommen lassen, hatte die Unterredung über Nervenheilmittel fort¬
gesetzt, hatte sich ihre Diät, das Erfordernis an Albnminaten, Felder und Pro-


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[0272] Doktor Iwttmüller und sein Freund Scherzworte mit Biermamsellen beschränkt gewesen. Immer hatte er das Bewußtsein, sozusagen mit dem Kopf unterm Eise zu stecken und nicht hochkommen zu können. Was blieb ihm übrig, als zu studieren und auf die Zeit zu warten, wo das Eis brechen würde? Er schwärzte nie, er war unermüdlich, er wußte alles, er machte die besten Examina, er wurde Assistent bei Geheimrat Forstmann. Aber da hing wieder die Kette am Fuße, die Mittel reichten nicht aus, daß er nach dem Staats¬ examen die praktischen Studien hätte fortsetzen können, und Geheimrat Forstmann ließ ihn, nachdem er ihn im Anfang bevorzugt hatte, plötzlich fallen. Warum? Duttmüller vermochte es nicht zu erraten und war der Meinung, er werde zurück¬ gesetzt, weil er nicht der Sohn eines Professors oder eines reichen Mannes sei. Nun war endlich das Ziel erreicht, zwar nicht das, das er sich erträumt hatte, aber doch ein Ziel. Die blanke Tafel unten an der Thür verkündete der Welt, daß hier Doktor Louis Duttmüller, praktischer Arzt und Geburtshelfer, wohne. Er hatte seine eigne Stube, seine eignen Möbel, die freilich mehr nach dem Ge¬ schmack seiner Frau Mutter als nach seinem eignen ausgefallen und noch nicht einmal bezahlt waren, sein eignes Schlafzimmer und sein Wartezimmer, wo ein Haufen alter Nummern der Fliegenden Blätter lag. Dort seine Bücher, wohl¬ geordnet im Glasschränke, von allem das neuste und beste, dort seine medizinischen Zeitschriften, die das allerneuste und allerbeste, in jeder Nummer mindestens zwei neue Spezifika mit unfehlbarer Wirkung enthielten. Auf dem Tisch auch schon an ihn gerichtete Ankündigungen und Anpreisungen von Apotheken und Heilmittelfabriken. Dort Proben von Hämatomorphin und Mignol, einer Abänderung des Migränin, die zur Prüfung eingesandt waren, die nach dem Begleitbericht alles je Dagewesene übertreffen sollten, und die auch bei nächster sich darbietender Gelegenheit angewandt werden müßten. Dort der Jnstrumentenkasten, der alles, vom Zahnschlüssel bis zur Knochensäge enthielt, was der leidenden Menschheit Freude machen kann. Und überall ein höchst notwendiger und höchst erfreulicher Geruch nach Jodoform. Wollen wir es dem jungen Arzte verdenken, daß ihn ein Gefühl von Selbstbewußt¬ sein erfüllte, daß er durch würdevolle Haltung, durch ernste Miene, durch Kleidung und Bügelfalte, durch Anwendung der Bartbinde, durch die Farbe der Handschuhe andeutete: Hier ist einer, der etwas geworden ist? Es ist nichts geringes, die Schlüssel über Leben und Tod in den Händen zu tragen, ein Priester zu sein in dem Tempel des edelsten Gutes der Menschen, der Gesundheit, es ist nichts geringes, inmitten eines nichtswissenden Volkes aus¬ gerüstet zu sein mit allen Mitteln modernster Wissenschaft, die Hygiene und Therapie, Prophylaxis und Physiologie gelernt zu haben und zu beherrschen, als ein Heiland an das Krankenbett zu treten und da, wo die Religion wohlfeilen Trost spendet, Wunder der Wissenschaft zu thun und wirkliche Hilfe zu bringen. Louis Dutt¬ müller war etwas geworden. Jetzt begann seine Erntezeit, jetzt nahmen die Leute den Hut vor ihm ab, jetzt kamen sie zu ihm, und jetzt durfte er Rechnungen schreiben. Wenn Louis Duttmüller ein dankbares Gemüt hatte, und er war nicht un¬ dankbar, so mußte sich dieses Gemüt seinem alten Freunde Wanderer und seinem väterlichen Freunde dem Braumeister zuwenden, die ihm den Weg nach Holzweißig gezeigt und geebnet hatten. Er konnte sich gratulieren, nicht Nein gesagt zu haben. Er war mitten hinein in eine gesegnete, das heißt einträgliche Thätigkeit gekommen. Sein Notizbuch wies eine ansehnliche Reihe von Konsultationen auf, die sich ihrerzeit in Bargeld verwandeln mußten. Er brauchte uicht, wie seine Kollegen in der Stadt, jahrelang anf ein paar Patienten zu lauern, er war ein fertiger Mann. Sein Wartezimmer war kein trügerischer Schein, und seine Nachtglocke auch nicht. Nicht allein, daß er seinen halbtot gefallnen Salzmüller hatte, den er mit sichrer Aussicht auf Erfolg heilte, auch die gnädige Frau vom Fronhof hatte ihn schon am nächsten Tage wieder kommen lassen, hatte die Unterredung über Nervenheilmittel fort¬ gesetzt, hatte sich ihre Diät, das Erfordernis an Albnminaten, Felder und Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/272>, abgerufen am 15.05.2024.