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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Helleneiitum und Christentum

reich darf bei der Beurteilung des Standes der Staatskrise nicht übersehen
werden, denn sie zeigt deutlich an, daß diese ihrem Ende entgegengeht, d, h. zu
ihrem Ausgangspunkte zurückkehrt.

(Schluß folgt)




Hellenentum und Christentum
Z. Sokmtes, plato und Aristoteles (Schluß)

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ato war doch zu sehr Vollmeusch, als daß er das höchste Gut
ausschließlich ans dein Wege einer logischen Operation, der Be¬
griffsbildung, die ihm die Ideenwelt erschlossen hatte, hatte
suchen sollen. Vielmehr erscheint es ihm als Gegenstand der
Sehnsucht und einer leidenschaftlichen Liebe, die erst den forschenden
Verstand in Bewegung setzt. Damit widerruft er freilich die Zerreißung der
Seele in einen unvergängliche" vernünftigen und unvernünftigen begehrenden
Teil, die zur schopenhauerischen Lehre vom dummen und darum bösen Willen
führt, und gesteht zu, daß es auch ein vernünftiges Begehren giebt. Unter
Ideen, sagt er im Phädrus, sei die der Schönheit die glänzendste. Sie
habe sich im vormenschlichen Dasein der Seele am tiefsten eingeprägt, und ihr
Abglanz sei auch an den irdischen Dingen am deutlichsten zu erkennen und
^rde mit dem schärfsten aller Sinne wahrgenommen, während die andern
^dem, namentlich die Gerechtigkeit, nur sehr undeutlich wahrzunehmen seien.
Darvin werde die Seele durch den Anblick des Schönen am tiefsten erregt
"ut am kräftigsten getrieben, das Urbild zu suchen. Das geschehe in der
"^else, se, lssßr er im Symposion die Seherin Diotima den Sokrates belehren,
daß zuerst Liebe zu einem Schönen erwache, diese sich zur Liebe aller Schönen
und des Schönen um sich erweitere, zur Liebe zu deu schönen oder vielmehr
"^ Schönheit fähigen Seelen vergeistige und als geistiger Zeugungstrieb be¬
thätige, indem der so Liebende in allen empfänglichen Seelen das Streben
uach dem höchsten Gut zu wecken und damit in ihnen die Schönheit zu schaffen
strebe. Von Haus aus nämlich sei der Eros weder schön noch reich, sondern
^ Zwar nicht häßlich -- aber arm an Schönheit und an allen Gütern; sonst
würde er sie ja nicht begehren, denn was man schon hat, begehrt man nicht.
Darum Philosophieren weder die Götter, noch die völlig Unwissenden; jene
'naht, weil sie die Weisheit schon haben, diese nicht, weil sie schon weise zu
>wi glauben, sondern nur die, die arm sind und ihre Armut erkennen. (Selig
sind die Armen, die Hungernden. Wehe euch ihr Reichen, ihr Satter!) Von
welchen Gefahren freilich' dieser Ausgangspunkt des philosophischen Strebens
"'"geben ist, schildert Plato im Phädrus, indem er die Seele wiederum,


Helleneiitum und Christentum

reich darf bei der Beurteilung des Standes der Staatskrise nicht übersehen
werden, denn sie zeigt deutlich an, daß diese ihrem Ende entgegengeht, d, h. zu
ihrem Ausgangspunkte zurückkehrt.

(Schluß folgt)




Hellenentum und Christentum
Z. Sokmtes, plato und Aristoteles (Schluß)

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ato war doch zu sehr Vollmeusch, als daß er das höchste Gut
ausschließlich ans dein Wege einer logischen Operation, der Be¬
griffsbildung, die ihm die Ideenwelt erschlossen hatte, hatte
suchen sollen. Vielmehr erscheint es ihm als Gegenstand der
Sehnsucht und einer leidenschaftlichen Liebe, die erst den forschenden
Verstand in Bewegung setzt. Damit widerruft er freilich die Zerreißung der
Seele in einen unvergängliche» vernünftigen und unvernünftigen begehrenden
Teil, die zur schopenhauerischen Lehre vom dummen und darum bösen Willen
führt, und gesteht zu, daß es auch ein vernünftiges Begehren giebt. Unter
Ideen, sagt er im Phädrus, sei die der Schönheit die glänzendste. Sie
habe sich im vormenschlichen Dasein der Seele am tiefsten eingeprägt, und ihr
Abglanz sei auch an den irdischen Dingen am deutlichsten zu erkennen und
^rde mit dem schärfsten aller Sinne wahrgenommen, während die andern
^dem, namentlich die Gerechtigkeit, nur sehr undeutlich wahrzunehmen seien.
Darvin werde die Seele durch den Anblick des Schönen am tiefsten erregt
"ut am kräftigsten getrieben, das Urbild zu suchen. Das geschehe in der
"^else, se, lssßr er im Symposion die Seherin Diotima den Sokrates belehren,
daß zuerst Liebe zu einem Schönen erwache, diese sich zur Liebe aller Schönen
und des Schönen um sich erweitere, zur Liebe zu deu schönen oder vielmehr
"^ Schönheit fähigen Seelen vergeistige und als geistiger Zeugungstrieb be¬
thätige, indem der so Liebende in allen empfänglichen Seelen das Streben
uach dem höchsten Gut zu wecken und damit in ihnen die Schönheit zu schaffen
strebe. Von Haus aus nämlich sei der Eros weder schön noch reich, sondern
^ Zwar nicht häßlich — aber arm an Schönheit und an allen Gütern; sonst
würde er sie ja nicht begehren, denn was man schon hat, begehrt man nicht.
Darum Philosophieren weder die Götter, noch die völlig Unwissenden; jene
'naht, weil sie die Weisheit schon haben, diese nicht, weil sie schon weise zu
>wi glauben, sondern nur die, die arm sind und ihre Armut erkennen. (Selig
sind die Armen, die Hungernden. Wehe euch ihr Reichen, ihr Satter!) Von
welchen Gefahren freilich' dieser Ausgangspunkt des philosophischen Strebens
"'"geben ist, schildert Plato im Phädrus, indem er die Seele wiederum,


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[0309] Helleneiitum und Christentum reich darf bei der Beurteilung des Standes der Staatskrise nicht übersehen werden, denn sie zeigt deutlich an, daß diese ihrem Ende entgegengeht, d, h. zu ihrem Ausgangspunkte zurückkehrt. (Schluß folgt) Hellenentum und Christentum Z. Sokmtes, plato und Aristoteles (Schluß) l ato war doch zu sehr Vollmeusch, als daß er das höchste Gut ausschließlich ans dein Wege einer logischen Operation, der Be¬ griffsbildung, die ihm die Ideenwelt erschlossen hatte, hatte suchen sollen. Vielmehr erscheint es ihm als Gegenstand der Sehnsucht und einer leidenschaftlichen Liebe, die erst den forschenden Verstand in Bewegung setzt. Damit widerruft er freilich die Zerreißung der Seele in einen unvergängliche» vernünftigen und unvernünftigen begehrenden Teil, die zur schopenhauerischen Lehre vom dummen und darum bösen Willen führt, und gesteht zu, daß es auch ein vernünftiges Begehren giebt. Unter Ideen, sagt er im Phädrus, sei die der Schönheit die glänzendste. Sie habe sich im vormenschlichen Dasein der Seele am tiefsten eingeprägt, und ihr Abglanz sei auch an den irdischen Dingen am deutlichsten zu erkennen und ^rde mit dem schärfsten aller Sinne wahrgenommen, während die andern ^dem, namentlich die Gerechtigkeit, nur sehr undeutlich wahrzunehmen seien. Darvin werde die Seele durch den Anblick des Schönen am tiefsten erregt "ut am kräftigsten getrieben, das Urbild zu suchen. Das geschehe in der "^else, se, lssßr er im Symposion die Seherin Diotima den Sokrates belehren, daß zuerst Liebe zu einem Schönen erwache, diese sich zur Liebe aller Schönen und des Schönen um sich erweitere, zur Liebe zu deu schönen oder vielmehr "^ Schönheit fähigen Seelen vergeistige und als geistiger Zeugungstrieb be¬ thätige, indem der so Liebende in allen empfänglichen Seelen das Streben uach dem höchsten Gut zu wecken und damit in ihnen die Schönheit zu schaffen strebe. Von Haus aus nämlich sei der Eros weder schön noch reich, sondern ^ Zwar nicht häßlich — aber arm an Schönheit und an allen Gütern; sonst würde er sie ja nicht begehren, denn was man schon hat, begehrt man nicht. Darum Philosophieren weder die Götter, noch die völlig Unwissenden; jene 'naht, weil sie die Weisheit schon haben, diese nicht, weil sie schon weise zu >wi glauben, sondern nur die, die arm sind und ihre Armut erkennen. (Selig sind die Armen, die Hungernden. Wehe euch ihr Reichen, ihr Satter!) Von welchen Gefahren freilich' dieser Ausgangspunkt des philosophischen Strebens "'"geben ist, schildert Plato im Phädrus, indem er die Seele wiederum,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/309>, abgerufen am 29.04.2024.