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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Die österreichische Staatskrise

Einzelheiten an, z. B. nicht darauf, ob wirklich der weltbekannte ehemalige
preußische Assessor Oskar Mediug (seit Ende 1859) überall da seine Hand
gehabt hätte, wo Hasselt die Spuren seiner beweglichen Finger zu sehen glaubt.
Wichtiger wäre, daß Hasselt selbst gerade durch seine eigne Zeichnung des
Charakterbilds des letzten Königs von Hannover es uns nicht glaublich ge¬
macht hat, Georg V. würde es über sich gewonnen haben, dnrch kleinere Zu¬
geständnisse, solange es noch Zeit war, den letzten großen Verlust von sich
abzuwenden. Es handelt sich ja eben um die ganze Auffassung, über die wir
uns bei der Anzeige des ersten Teils deutlich genng ausgesprochen haben.
Hasselt macht kein Hehl daraus, daß er mit Haß und Liebe geschrieben hat.
Sollen wir ihn darob schulmeistern: er sei kein wissenschaftlicher Historiker?
Wir Hütten ganz gewiß nicht gewagt, unsre Leser mit solchem Anlauf von
seinem Buche zu unterhalten, wenn wir es nicht für sehr interessant hielten,
und während man, wie wir bemerkten, von dem Werke Meiers sagen konnte,
daß es gewissermaßen nach den Ereignissen oder ein wenig zu spät gekommen
sei, giebt dein Buche vou Hasselt seine parteipolitische Tendenz geradezu ein
aktuelles Interesse, das ihm die Teilnahme seiner engern Landsleute sichern
muß. Da wir uns aber bei unserm grundsätzlich verschiednen Standpunkt in
der deutschen Frage anch über die preußisch-hannoversche uicht mit ihm ver¬
ständigen könnten, so wenden wir uns lieber seiner Behandlung der speziell
hannoverschen Dinge zu, wobei wir zugleich das Meiersche Buch berücksichtigen
werden.




Die österreichische ^taatskrise
von Julius Patzelt (Schluß)

l
e unbelehrbarer Freunde der Dezemberverfassung hatten der
Krone schon vor Jahr und Tag als letztes Mittel, die Staats¬
krise zu beschwören, fortgesetzte Auflösung des Abgeordneten¬
hauses empfohlen. Die letzten allgemeinen Neichsratswcchlen
ermutigen nicht zur Fortsetzung dieser Politik. Überdies lehrt
die Erfahrung, daß fortgesetzte Wahlen die Teilnahme an der Wahl mindern,
sodaß zum Schluß in der Regel die kleinen radikalen Minoritäten als Sieger
den Platz behaupten. Von sozialdemokrntischer Seite wird wiederum die Ein¬
führung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts als Universalmittel empfohlen,
angeblich weil dadurch das soziale Interesse im Abgeordnetenhause in den
Vordergrund treten und die nationalen Streitfragen in den Hintergrund drängen
würde. Ein Irrtum, denn die erobernde Kraft des Sozialismus würde genau
so bankrott werden wie die des Liberalismus; überdies hat ja schon die gegen¬
wärtige österreichische Regierung die stärksten wirtschaftlichen und sozialen Reiz-


Die österreichische Staatskrise

Einzelheiten an, z. B. nicht darauf, ob wirklich der weltbekannte ehemalige
preußische Assessor Oskar Mediug (seit Ende 1859) überall da seine Hand
gehabt hätte, wo Hasselt die Spuren seiner beweglichen Finger zu sehen glaubt.
Wichtiger wäre, daß Hasselt selbst gerade durch seine eigne Zeichnung des
Charakterbilds des letzten Königs von Hannover es uns nicht glaublich ge¬
macht hat, Georg V. würde es über sich gewonnen haben, dnrch kleinere Zu¬
geständnisse, solange es noch Zeit war, den letzten großen Verlust von sich
abzuwenden. Es handelt sich ja eben um die ganze Auffassung, über die wir
uns bei der Anzeige des ersten Teils deutlich genng ausgesprochen haben.
Hasselt macht kein Hehl daraus, daß er mit Haß und Liebe geschrieben hat.
Sollen wir ihn darob schulmeistern: er sei kein wissenschaftlicher Historiker?
Wir Hütten ganz gewiß nicht gewagt, unsre Leser mit solchem Anlauf von
seinem Buche zu unterhalten, wenn wir es nicht für sehr interessant hielten,
und während man, wie wir bemerkten, von dem Werke Meiers sagen konnte,
daß es gewissermaßen nach den Ereignissen oder ein wenig zu spät gekommen
sei, giebt dein Buche vou Hasselt seine parteipolitische Tendenz geradezu ein
aktuelles Interesse, das ihm die Teilnahme seiner engern Landsleute sichern
muß. Da wir uns aber bei unserm grundsätzlich verschiednen Standpunkt in
der deutschen Frage anch über die preußisch-hannoversche uicht mit ihm ver¬
ständigen könnten, so wenden wir uns lieber seiner Behandlung der speziell
hannoverschen Dinge zu, wobei wir zugleich das Meiersche Buch berücksichtigen
werden.




Die österreichische ^taatskrise
von Julius Patzelt (Schluß)

l
e unbelehrbarer Freunde der Dezemberverfassung hatten der
Krone schon vor Jahr und Tag als letztes Mittel, die Staats¬
krise zu beschwören, fortgesetzte Auflösung des Abgeordneten¬
hauses empfohlen. Die letzten allgemeinen Neichsratswcchlen
ermutigen nicht zur Fortsetzung dieser Politik. Überdies lehrt
die Erfahrung, daß fortgesetzte Wahlen die Teilnahme an der Wahl mindern,
sodaß zum Schluß in der Regel die kleinen radikalen Minoritäten als Sieger
den Platz behaupten. Von sozialdemokrntischer Seite wird wiederum die Ein¬
führung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts als Universalmittel empfohlen,
angeblich weil dadurch das soziale Interesse im Abgeordnetenhause in den
Vordergrund treten und die nationalen Streitfragen in den Hintergrund drängen
würde. Ein Irrtum, denn die erobernde Kraft des Sozialismus würde genau
so bankrott werden wie die des Liberalismus; überdies hat ja schon die gegen¬
wärtige österreichische Regierung die stärksten wirtschaftlichen und sozialen Reiz-


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[0352] Die österreichische Staatskrise Einzelheiten an, z. B. nicht darauf, ob wirklich der weltbekannte ehemalige preußische Assessor Oskar Mediug (seit Ende 1859) überall da seine Hand gehabt hätte, wo Hasselt die Spuren seiner beweglichen Finger zu sehen glaubt. Wichtiger wäre, daß Hasselt selbst gerade durch seine eigne Zeichnung des Charakterbilds des letzten Königs von Hannover es uns nicht glaublich ge¬ macht hat, Georg V. würde es über sich gewonnen haben, dnrch kleinere Zu¬ geständnisse, solange es noch Zeit war, den letzten großen Verlust von sich abzuwenden. Es handelt sich ja eben um die ganze Auffassung, über die wir uns bei der Anzeige des ersten Teils deutlich genng ausgesprochen haben. Hasselt macht kein Hehl daraus, daß er mit Haß und Liebe geschrieben hat. Sollen wir ihn darob schulmeistern: er sei kein wissenschaftlicher Historiker? Wir Hütten ganz gewiß nicht gewagt, unsre Leser mit solchem Anlauf von seinem Buche zu unterhalten, wenn wir es nicht für sehr interessant hielten, und während man, wie wir bemerkten, von dem Werke Meiers sagen konnte, daß es gewissermaßen nach den Ereignissen oder ein wenig zu spät gekommen sei, giebt dein Buche vou Hasselt seine parteipolitische Tendenz geradezu ein aktuelles Interesse, das ihm die Teilnahme seiner engern Landsleute sichern muß. Da wir uns aber bei unserm grundsätzlich verschiednen Standpunkt in der deutschen Frage anch über die preußisch-hannoversche uicht mit ihm ver¬ ständigen könnten, so wenden wir uns lieber seiner Behandlung der speziell hannoverschen Dinge zu, wobei wir zugleich das Meiersche Buch berücksichtigen werden. Die österreichische ^taatskrise von Julius Patzelt (Schluß) l e unbelehrbarer Freunde der Dezemberverfassung hatten der Krone schon vor Jahr und Tag als letztes Mittel, die Staats¬ krise zu beschwören, fortgesetzte Auflösung des Abgeordneten¬ hauses empfohlen. Die letzten allgemeinen Neichsratswcchlen ermutigen nicht zur Fortsetzung dieser Politik. Überdies lehrt die Erfahrung, daß fortgesetzte Wahlen die Teilnahme an der Wahl mindern, sodaß zum Schluß in der Regel die kleinen radikalen Minoritäten als Sieger den Platz behaupten. Von sozialdemokrntischer Seite wird wiederum die Ein¬ führung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts als Universalmittel empfohlen, angeblich weil dadurch das soziale Interesse im Abgeordnetenhause in den Vordergrund treten und die nationalen Streitfragen in den Hintergrund drängen würde. Ein Irrtum, denn die erobernde Kraft des Sozialismus würde genau so bankrott werden wie die des Liberalismus; überdies hat ja schon die gegen¬ wärtige österreichische Regierung die stärksten wirtschaftlichen und sozialen Reiz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/352>, abgerufen am 29.04.2024.