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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Philistertum und Uunst

wanderten Deutschen jetzt wieder zum Deutschtum übergehn, daß eingeheiratete,
besonders auch evangelische Polen und Tschechen germanisiert werden (Deutsche
Erde, Juli 1901, Ur. 105). Man sieht daraus, daß die Deutschen unter
günstigern Bedingungen, als sie gegenwärtig in unsern Ostprovinzen obwalten,
auch heute noch sehr wohl imstande sind, in polnischer Umgebung nicht nur
ihr Volkstum aufrecht zu erhalten, sondern es sogar durch Germanisierung
polnischer Elemente auszubreiten. Vielleicht wird das im Innern des russisch¬
polnischen Sprachgebiets erstarkende Deutschtum noch einmal von Bedeutung
für die Gestaltung der Nationalitätsverhültnisse im Osten. Jedenfalls wird
durch sein Wachsen das Polentum, das sich wegen seiner verhältnismäßig ge¬
ringen Volkszahl ohnehin nicht ins ungemessene ausbreiten kann, in seinem
innersten Kern angegriffen, das Deutschtum unsrer Ostprovinzen aber durch
einen solchen vorgeschobnen Wellenbrecher entlastet. Über kurz oder lang muß sich
auch bei uns, wie es drüben in Österreich mit den Tschechen und Slowenen
schon jetzt der Fall zu sein scheint, die Angriffskraft der Polen erschöpfen.
Und wenn dann in dem Auf und Ab der Völkerbewegungen das Deutschtum
wieder emporgehoben mit der alten Kraft über seine Grenzen vorbrechen wird,
so kann sein siegreiches Fortschreiten zu weiterer Ausdehnung durch nichts mehr
gefördert werden, als durch die Möglichkeit der Anlehnung an schon vorhandne
Stützpunkte inmitten des fremden Volkes, die in tapferen Ausharren die schwere
Zeit des Niedergangs, in der wir jetzt noch leben, überdauert haben.




Philistertum und Kunst

Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,
Der die Talente nicht um sich versammelt.

Goethe, Tasso V, 1

le Kunst schöpft aus den Quellen der großen Mutter Natur
>
--I , und
diese, die Natur, trotz ihrer großen, scheinbar ungebundnen, grenzen¬
losen Freiheit, bewegt sich doch nach ewigen Gesetzen, die der Schöpfe
sich selbst gesetzt hat, und die nie ohne Gefahr für die Entwicklung
der Welt überschritten oder durchbrochen werden können. Ebenso N
es in der Kunst, und beim Anblicke der herrlichen Überreste aus der
alten klassischen Zeit überkommt einen auch wieder dasselbe Gefühl: hier herrsch
auch ein ewiges, sich gleich bleibendes Gesetz: das Gesetz der Schönheit, das Gesetz
der Harmonie, das Gesetz der Ästhetik. Dieses Gesetz ist durch die Alten in einer
so überraschenden und überwältigenden Weise und vollendeten Form zum Ausdru
gebracht worden, daß wir mit allen modernen Empfindungen und allem unsern Korn
,Das
stolz darauf sind, wenn uns gesagt wird bei einer besonders guten Leistung:
beinahe so gut, wie es vor 1900 Jahren gemacht worden ist." -- Aber beinahe!

Unter diesem Eindruck möchte ich Ihnen dringend ans Herz legen: Noch
die Bildhauerei zum größten Teile rein geblieben von den sogenannten modern
Richtungen und Strömungen, noch steht sie hoch und hehr da -- erhalten Sie pe I .
lassen Sie sich uicht durch der Menschen Urteil und allerlei Wind der Lehre dazu ver
leiten, diese großen Grundsätze aufzugeben, auf denen sie auferbaut ist! Eine KuM,


Philistertum und Uunst

wanderten Deutschen jetzt wieder zum Deutschtum übergehn, daß eingeheiratete,
besonders auch evangelische Polen und Tschechen germanisiert werden (Deutsche
Erde, Juli 1901, Ur. 105). Man sieht daraus, daß die Deutschen unter
günstigern Bedingungen, als sie gegenwärtig in unsern Ostprovinzen obwalten,
auch heute noch sehr wohl imstande sind, in polnischer Umgebung nicht nur
ihr Volkstum aufrecht zu erhalten, sondern es sogar durch Germanisierung
polnischer Elemente auszubreiten. Vielleicht wird das im Innern des russisch¬
polnischen Sprachgebiets erstarkende Deutschtum noch einmal von Bedeutung
für die Gestaltung der Nationalitätsverhültnisse im Osten. Jedenfalls wird
durch sein Wachsen das Polentum, das sich wegen seiner verhältnismäßig ge¬
ringen Volkszahl ohnehin nicht ins ungemessene ausbreiten kann, in seinem
innersten Kern angegriffen, das Deutschtum unsrer Ostprovinzen aber durch
einen solchen vorgeschobnen Wellenbrecher entlastet. Über kurz oder lang muß sich
auch bei uns, wie es drüben in Österreich mit den Tschechen und Slowenen
schon jetzt der Fall zu sein scheint, die Angriffskraft der Polen erschöpfen.
Und wenn dann in dem Auf und Ab der Völkerbewegungen das Deutschtum
wieder emporgehoben mit der alten Kraft über seine Grenzen vorbrechen wird,
so kann sein siegreiches Fortschreiten zu weiterer Ausdehnung durch nichts mehr
gefördert werden, als durch die Möglichkeit der Anlehnung an schon vorhandne
Stützpunkte inmitten des fremden Volkes, die in tapferen Ausharren die schwere
Zeit des Niedergangs, in der wir jetzt noch leben, überdauert haben.




Philistertum und Kunst

Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst,
Der die Talente nicht um sich versammelt.

Goethe, Tasso V, 1

le Kunst schöpft aus den Quellen der großen Mutter Natur
>
—I , und
diese, die Natur, trotz ihrer großen, scheinbar ungebundnen, grenzen¬
losen Freiheit, bewegt sich doch nach ewigen Gesetzen, die der Schöpfe
sich selbst gesetzt hat, und die nie ohne Gefahr für die Entwicklung
der Welt überschritten oder durchbrochen werden können. Ebenso N
es in der Kunst, und beim Anblicke der herrlichen Überreste aus der
alten klassischen Zeit überkommt einen auch wieder dasselbe Gefühl: hier herrsch
auch ein ewiges, sich gleich bleibendes Gesetz: das Gesetz der Schönheit, das Gesetz
der Harmonie, das Gesetz der Ästhetik. Dieses Gesetz ist durch die Alten in einer
so überraschenden und überwältigenden Weise und vollendeten Form zum Ausdru
gebracht worden, daß wir mit allen modernen Empfindungen und allem unsern Korn
,Das
stolz darauf sind, wenn uns gesagt wird bei einer besonders guten Leistung:
beinahe so gut, wie es vor 1900 Jahren gemacht worden ist." — Aber beinahe!

Unter diesem Eindruck möchte ich Ihnen dringend ans Herz legen: Noch
die Bildhauerei zum größten Teile rein geblieben von den sogenannten modern
Richtungen und Strömungen, noch steht sie hoch und hehr da — erhalten Sie pe I .
lassen Sie sich uicht durch der Menschen Urteil und allerlei Wind der Lehre dazu ver
leiten, diese großen Grundsätze aufzugeben, auf denen sie auferbaut ist! Eine KuM,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/558>, abgerufen am 29.04.2024.