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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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tMenentmn und (Christentum
5. Die (Offenbarung

eim die Hellenen
I , zuletzt in Wechselwirkung mit den Juden, alle
metaphysischen und ethischen Gedanken des Christentums hervor-
gebracht hatten, worin besteht dann dessen Leistung? Nun, mag
der Chemiker alle Elemente eines Pflanzen- oder Tierlcibes bei¬
sammen haben, den Organismus kann er damit uicht aufbauen,
das kann nur ein Sperma vollbringen. In diesem Falle war der Logos das
Sperma, dessen Walten im Universum die Philosophen erkannt hatten, und
von dem dann später die Alexandriner Clemens und Origenes ganz richtig
sagten, daß er die Hellenen durch die Vernunft, die Juden durch die Offen¬
barung belehrt habe und endlich in Jesus persönlich erschienen sei. Die Hellenen
wußten alles, was der Mensch zu wissen nötig hat; was ihnen fehlte, war
die Gewißheit. Ihr Wissen war das Meinen, aus dem Plato so sehnsüchtig,
so beharrlich und so vergebens zum wirklichen Wissen strebte. Was ihnen
fehlte, war die Autorität, nach der sie hungerten, die sie befähigt haben würde,
dem Volke zu verkünden: So und uicht anders ist es; wir sind bereit, dafür
zu sterben.

Dieser Gewißheit und dieser Autorität hat sich, von Moses ab, jeder der
jüdischen Propheten erfreut. Nichts in der Welt, am wenigsten das Trnum-
deuterwesen der Chaldüer, deren Bildersprache sich ihre letzten angeeignet haben,
kann man mit diesen Propheten vergleichen. Der Ruf Gottes ergeht in irgend
einer Form an sie, und von diesem Augenblick an sind sie Sprachrohre Gottes.
"Ich," spricht der Prophet, und dieser "Ich" ist Gott. Sei getrost, mein Volk,
spricht Gott zu diesem in der äußersten Not und Bedrängnis; fürchte dich nicht,
mein Knecht Jakob, fürchte dich nicht, Würmlein Jakob, ich bin dein Helfer
und Erretter. Ich bins, der dich geschaffen, der dich gebildet hat; bei deinem
Namen rufe ich dich, mein bist dn! Fürchte dich nicht, ich bin bei dir. Vom
Morgen her werde ich deine Kinder zurückführen, aus dem Abendlande sie
sammeln. Dem Nordwind werde ich sagen: Gieb sie her; dein Südwind: Laß
sie kommen; bring sie herbei, meine Söhne, aus weiter Ferne, meine Töchter
von den Enden der Erde! Nur verlaß dich nicht auf Menschen, vertraue nicht
auf den Ägypter; der Ägypter ist ein Mensch, nicht Gott. Verflucht der Mensch,
der, statt auf Gott, auf Menschen traut! Einen furchtbaren Beruf nimmt der
Prophet auf sich, wenn er sich Gott zum Sprachrohr hingiebt. Er wird -- ein
dem Heidentum völlig fremdes Verhältnis -- für das Leben seiner Mitbürger
verantwortlich gemacht. Zu Hesekiel spricht Gott: Wenn dn die Mahnung zur
Buße, die ich dir auftrage, dein Ungerechten nicht verkündigst, so wird er zwar
in seiner Ungerechtigkeit sterben, sein Blut aber werde ich von dir fordern;




tMenentmn und (Christentum
5. Die (Offenbarung

eim die Hellenen
I , zuletzt in Wechselwirkung mit den Juden, alle
metaphysischen und ethischen Gedanken des Christentums hervor-
gebracht hatten, worin besteht dann dessen Leistung? Nun, mag
der Chemiker alle Elemente eines Pflanzen- oder Tierlcibes bei¬
sammen haben, den Organismus kann er damit uicht aufbauen,
das kann nur ein Sperma vollbringen. In diesem Falle war der Logos das
Sperma, dessen Walten im Universum die Philosophen erkannt hatten, und
von dem dann später die Alexandriner Clemens und Origenes ganz richtig
sagten, daß er die Hellenen durch die Vernunft, die Juden durch die Offen¬
barung belehrt habe und endlich in Jesus persönlich erschienen sei. Die Hellenen
wußten alles, was der Mensch zu wissen nötig hat; was ihnen fehlte, war
die Gewißheit. Ihr Wissen war das Meinen, aus dem Plato so sehnsüchtig,
so beharrlich und so vergebens zum wirklichen Wissen strebte. Was ihnen
fehlte, war die Autorität, nach der sie hungerten, die sie befähigt haben würde,
dem Volke zu verkünden: So und uicht anders ist es; wir sind bereit, dafür
zu sterben.

Dieser Gewißheit und dieser Autorität hat sich, von Moses ab, jeder der
jüdischen Propheten erfreut. Nichts in der Welt, am wenigsten das Trnum-
deuterwesen der Chaldüer, deren Bildersprache sich ihre letzten angeeignet haben,
kann man mit diesen Propheten vergleichen. Der Ruf Gottes ergeht in irgend
einer Form an sie, und von diesem Augenblick an sind sie Sprachrohre Gottes.
„Ich," spricht der Prophet, und dieser „Ich" ist Gott. Sei getrost, mein Volk,
spricht Gott zu diesem in der äußersten Not und Bedrängnis; fürchte dich nicht,
mein Knecht Jakob, fürchte dich nicht, Würmlein Jakob, ich bin dein Helfer
und Erretter. Ich bins, der dich geschaffen, der dich gebildet hat; bei deinem
Namen rufe ich dich, mein bist dn! Fürchte dich nicht, ich bin bei dir. Vom
Morgen her werde ich deine Kinder zurückführen, aus dem Abendlande sie
sammeln. Dem Nordwind werde ich sagen: Gieb sie her; dein Südwind: Laß
sie kommen; bring sie herbei, meine Söhne, aus weiter Ferne, meine Töchter
von den Enden der Erde! Nur verlaß dich nicht auf Menschen, vertraue nicht
auf den Ägypter; der Ägypter ist ein Mensch, nicht Gott. Verflucht der Mensch,
der, statt auf Gott, auf Menschen traut! Einen furchtbaren Beruf nimmt der
Prophet auf sich, wenn er sich Gott zum Sprachrohr hingiebt. Er wird — ein
dem Heidentum völlig fremdes Verhältnis — für das Leben seiner Mitbürger
verantwortlich gemacht. Zu Hesekiel spricht Gott: Wenn dn die Mahnung zur
Buße, die ich dir auftrage, dein Ungerechten nicht verkündigst, so wird er zwar
in seiner Ungerechtigkeit sterben, sein Blut aber werde ich von dir fordern;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/600>, abgerufen am 28.04.2024.