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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber nicht weiter, als in der Reihe der Rübenhacker zu stehn, so bin ich eben kein
Herr, sondern ein Knecht. Es ist kein Sieg der demokratischen Idee, wenn ich
auch dem Untergebnen den Titel "Herr" zuerkenne, denn auch die reinste Demokratie
kann, wie ja die Herren Schutzmänner, die Herren Bureausubalternen, die Herren
Eisenbahnschaffncr, Gendarmen und Zollwächter beweisen, nicht ohne Machtbewußtsein
und Gewalt über die Menge auskommen; es ist die plebejische Gesinnung der zum
Herrschen Unfähigen, die der massenbewegende Jndustrialismus unsrer Zeit in die
Höhe hebt. Die Masse derer, die in unsern modernen Verhältnissen für Stellungen
gebraucht werden, die eigentlich Herrenämter sind, ist so groß, daß eben Tausende
zu Rang und Würden kommen, denen bei ihrer Gottähnlichkeit bange wird, und
die deshalb den nnter ihnen stehenden einen so lächerlichen Respekt erweisen. Daß
die hohe Polizei in Übereinstimmung mit dem Fleischer- und dem Bäckergesellen
sowie meinem Viktnalienlieferanten meine Köchin und mein besenschwingendes Stuben¬
mädchen "Fräulein" titulieren (Fräulein Stubenmädchen), ist eine natürliche "Begleit¬
erscheinung" des Herrensystems.'

Dasnoch lächerlichere Gegenstück ist es aber, wenn sich diese sich vor der Menge
respektvoll verbeugende Mittelmäßigkeit mit der geschmacklosesten Ängstlichkeit an das
Wort klammert, wo es aus dem entgegengesetzten Grunde zur Sinnlosigkeit wird.
Wenn der Ehrentitel Oberlehrer nicht mehr genügt, sondern der Inhaber Herr Ober¬
lehrer genannt zu werden verlangt; wenn aus deu ehrwürdigen Bürgern unsrer
Hochschulen, unsern Jungen, den Studenten, die lächerlichen Figuren der Herren
Studierenden gemacht werden; wenn Stadtrat, Professor, Bürgermeister, Abgeordneter,
Richter, Direktor, Superintendent, Pastor, Hilfsgeistlicher und Kandidat usw. nicht mehr

genügende Ehrentitel empfunden werden (man denke sich bei unsern verhaßten
Vettern über dem Kanal einen Ur. ol-otessoi-!); wenn der Schusterjunge uicht mehr
"Meester" sagen darf sondern "Herr Knllicke" sagen muß; wenn nächstens die
Einjährig-Freiwilligen Kanoniere zu Herren Einjährig Freiwilligen avanciert sein
werden; wenn es nicht mehr heißen wird: "Der dritte Mann im zweiten Glied!
ziehn Sie den Bauch ein, Sie verhunzen die ganze Richtung!" sondern: "Der dritte
Herr im zweiten Glied wird höflichst gebeten, sich im Interesse einer guten Richtung
etwas in seinem Profil zu mäßigen -- da stehn wir auf der Höhe des Menschentums.

Hier sind Wir endlich wirklich am Ende unsrer Betrachtungen angekommen, hier
stehn wir vor einer Ehrbedürftigkeit, die mit dem Komparativ von "hehr" nichts mehr
SU thun hat. sondern zur reinen Albernheit wird, und wo sich Kluges Zweifel an
der Richtigkeit des Etymons Mann man ^ denkendes Wesen mit Evidenz als
berechtigt erweist -- wir erkennen die ganze Kläglichkeit des Herrseinwollens und
des nicht Herrseinkönnens.


Wilhelm Tell in Frankreich.

Da jetzt Goethes Iphigenie erfolgreich in
Brüssel in französischer Sprache aufgeführt wordeu ist, und Leipziger Studenten
die deutschen "Räuber" nach Paris bringen wollen, werden sich die Franzosen
vielleicht erinnern, welchen Einfluß Schillers Wilhelm Tell einst auf die Pariser
Theater hatte, und daß sie eine hervorragende Übersetzung des Schillerschen Dramas
haben, die des Romantikers Michel Pichat. In der letzten Nummer der aus¬
gezeichneten Rsvuo ä'Iiistoii's indol-iirs as Is, ?i "nes erzählt Latreille in einer Biographie
Pichats, wie die Verschwörung vom Rutil im Jahre 1828 die Pariser Bühne be¬
herrschte. Im Gattötheater spielte man einen von Pixerecourt und Benjamin ver¬
faßten KuillAumo reit, von lebhafter dramatischer Handlung aber phrasenhafter
Sprache. Im 1'InzÄ.dro I'v^av^u nahm man die ältere komische Oper von Grätry
und Sedaine wieder ans, die in Beziehung ans Text wie Musik verbessert worden
war. Villeneuve und Dupeuty schrieben für das Vaudevilletheater Lss trois "autons
on l-t LonMgra,tioll suis-M, obgleich die Bühne des Vaudeville so klein war, daß
nur fünfzehn Mann auf dem Rutil erscheinen konnten, Geßlers Gefolge und Sol¬
daten zusammen zehn Personen ausmachte" und der Apfelschuß auf eine Distanz


Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber nicht weiter, als in der Reihe der Rübenhacker zu stehn, so bin ich eben kein
Herr, sondern ein Knecht. Es ist kein Sieg der demokratischen Idee, wenn ich
auch dem Untergebnen den Titel „Herr" zuerkenne, denn auch die reinste Demokratie
kann, wie ja die Herren Schutzmänner, die Herren Bureausubalternen, die Herren
Eisenbahnschaffncr, Gendarmen und Zollwächter beweisen, nicht ohne Machtbewußtsein
und Gewalt über die Menge auskommen; es ist die plebejische Gesinnung der zum
Herrschen Unfähigen, die der massenbewegende Jndustrialismus unsrer Zeit in die
Höhe hebt. Die Masse derer, die in unsern modernen Verhältnissen für Stellungen
gebraucht werden, die eigentlich Herrenämter sind, ist so groß, daß eben Tausende
zu Rang und Würden kommen, denen bei ihrer Gottähnlichkeit bange wird, und
die deshalb den nnter ihnen stehenden einen so lächerlichen Respekt erweisen. Daß
die hohe Polizei in Übereinstimmung mit dem Fleischer- und dem Bäckergesellen
sowie meinem Viktnalienlieferanten meine Köchin und mein besenschwingendes Stuben¬
mädchen „Fräulein" titulieren (Fräulein Stubenmädchen), ist eine natürliche „Begleit¬
erscheinung" des Herrensystems.'

Dasnoch lächerlichere Gegenstück ist es aber, wenn sich diese sich vor der Menge
respektvoll verbeugende Mittelmäßigkeit mit der geschmacklosesten Ängstlichkeit an das
Wort klammert, wo es aus dem entgegengesetzten Grunde zur Sinnlosigkeit wird.
Wenn der Ehrentitel Oberlehrer nicht mehr genügt, sondern der Inhaber Herr Ober¬
lehrer genannt zu werden verlangt; wenn aus deu ehrwürdigen Bürgern unsrer
Hochschulen, unsern Jungen, den Studenten, die lächerlichen Figuren der Herren
Studierenden gemacht werden; wenn Stadtrat, Professor, Bürgermeister, Abgeordneter,
Richter, Direktor, Superintendent, Pastor, Hilfsgeistlicher und Kandidat usw. nicht mehr

genügende Ehrentitel empfunden werden (man denke sich bei unsern verhaßten
Vettern über dem Kanal einen Ur. ol-otessoi-!); wenn der Schusterjunge uicht mehr
»Meester" sagen darf sondern „Herr Knllicke" sagen muß; wenn nächstens die
Einjährig-Freiwilligen Kanoniere zu Herren Einjährig Freiwilligen avanciert sein
werden; wenn es nicht mehr heißen wird: „Der dritte Mann im zweiten Glied!
ziehn Sie den Bauch ein, Sie verhunzen die ganze Richtung!" sondern: „Der dritte
Herr im zweiten Glied wird höflichst gebeten, sich im Interesse einer guten Richtung
etwas in seinem Profil zu mäßigen — da stehn wir auf der Höhe des Menschentums.

Hier sind Wir endlich wirklich am Ende unsrer Betrachtungen angekommen, hier
stehn wir vor einer Ehrbedürftigkeit, die mit dem Komparativ von „hehr" nichts mehr
SU thun hat. sondern zur reinen Albernheit wird, und wo sich Kluges Zweifel an
der Richtigkeit des Etymons Mann man ^ denkendes Wesen mit Evidenz als
berechtigt erweist — wir erkennen die ganze Kläglichkeit des Herrseinwollens und
des nicht Herrseinkönnens.


Wilhelm Tell in Frankreich.

Da jetzt Goethes Iphigenie erfolgreich in
Brüssel in französischer Sprache aufgeführt wordeu ist, und Leipziger Studenten
die deutschen „Räuber" nach Paris bringen wollen, werden sich die Franzosen
vielleicht erinnern, welchen Einfluß Schillers Wilhelm Tell einst auf die Pariser
Theater hatte, und daß sie eine hervorragende Übersetzung des Schillerschen Dramas
haben, die des Romantikers Michel Pichat. In der letzten Nummer der aus¬
gezeichneten Rsvuo ä'Iiistoii's indol-iirs as Is, ?i »nes erzählt Latreille in einer Biographie
Pichats, wie die Verschwörung vom Rutil im Jahre 1828 die Pariser Bühne be¬
herrschte. Im Gattötheater spielte man einen von Pixerecourt und Benjamin ver¬
faßten KuillAumo reit, von lebhafter dramatischer Handlung aber phrasenhafter
Sprache. Im 1'InzÄ.dro I'v^av^u nahm man die ältere komische Oper von Grätry
und Sedaine wieder ans, die in Beziehung ans Text wie Musik verbessert worden
war. Villeneuve und Dupeuty schrieben für das Vaudevilletheater Lss trois «autons
on l-t LonMgra,tioll suis-M, obgleich die Bühne des Vaudeville so klein war, daß
nur fünfzehn Mann auf dem Rutil erscheinen konnten, Geßlers Gefolge und Sol¬
daten zusammen zehn Personen ausmachte» und der Apfelschuß auf eine Distanz


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[0639] Maßgebliches und Unmaßgebliches aber nicht weiter, als in der Reihe der Rübenhacker zu stehn, so bin ich eben kein Herr, sondern ein Knecht. Es ist kein Sieg der demokratischen Idee, wenn ich auch dem Untergebnen den Titel „Herr" zuerkenne, denn auch die reinste Demokratie kann, wie ja die Herren Schutzmänner, die Herren Bureausubalternen, die Herren Eisenbahnschaffncr, Gendarmen und Zollwächter beweisen, nicht ohne Machtbewußtsein und Gewalt über die Menge auskommen; es ist die plebejische Gesinnung der zum Herrschen Unfähigen, die der massenbewegende Jndustrialismus unsrer Zeit in die Höhe hebt. Die Masse derer, die in unsern modernen Verhältnissen für Stellungen gebraucht werden, die eigentlich Herrenämter sind, ist so groß, daß eben Tausende zu Rang und Würden kommen, denen bei ihrer Gottähnlichkeit bange wird, und die deshalb den nnter ihnen stehenden einen so lächerlichen Respekt erweisen. Daß die hohe Polizei in Übereinstimmung mit dem Fleischer- und dem Bäckergesellen sowie meinem Viktnalienlieferanten meine Köchin und mein besenschwingendes Stuben¬ mädchen „Fräulein" titulieren (Fräulein Stubenmädchen), ist eine natürliche „Begleit¬ erscheinung" des Herrensystems.' Dasnoch lächerlichere Gegenstück ist es aber, wenn sich diese sich vor der Menge respektvoll verbeugende Mittelmäßigkeit mit der geschmacklosesten Ängstlichkeit an das Wort klammert, wo es aus dem entgegengesetzten Grunde zur Sinnlosigkeit wird. Wenn der Ehrentitel Oberlehrer nicht mehr genügt, sondern der Inhaber Herr Ober¬ lehrer genannt zu werden verlangt; wenn aus deu ehrwürdigen Bürgern unsrer Hochschulen, unsern Jungen, den Studenten, die lächerlichen Figuren der Herren Studierenden gemacht werden; wenn Stadtrat, Professor, Bürgermeister, Abgeordneter, Richter, Direktor, Superintendent, Pastor, Hilfsgeistlicher und Kandidat usw. nicht mehr genügende Ehrentitel empfunden werden (man denke sich bei unsern verhaßten Vettern über dem Kanal einen Ur. ol-otessoi-!); wenn der Schusterjunge uicht mehr »Meester" sagen darf sondern „Herr Knllicke" sagen muß; wenn nächstens die Einjährig-Freiwilligen Kanoniere zu Herren Einjährig Freiwilligen avanciert sein werden; wenn es nicht mehr heißen wird: „Der dritte Mann im zweiten Glied! ziehn Sie den Bauch ein, Sie verhunzen die ganze Richtung!" sondern: „Der dritte Herr im zweiten Glied wird höflichst gebeten, sich im Interesse einer guten Richtung etwas in seinem Profil zu mäßigen — da stehn wir auf der Höhe des Menschentums. Hier sind Wir endlich wirklich am Ende unsrer Betrachtungen angekommen, hier stehn wir vor einer Ehrbedürftigkeit, die mit dem Komparativ von „hehr" nichts mehr SU thun hat. sondern zur reinen Albernheit wird, und wo sich Kluges Zweifel an der Richtigkeit des Etymons Mann man ^ denkendes Wesen mit Evidenz als berechtigt erweist — wir erkennen die ganze Kläglichkeit des Herrseinwollens und des nicht Herrseinkönnens. Wilhelm Tell in Frankreich. Da jetzt Goethes Iphigenie erfolgreich in Brüssel in französischer Sprache aufgeführt wordeu ist, und Leipziger Studenten die deutschen „Räuber" nach Paris bringen wollen, werden sich die Franzosen vielleicht erinnern, welchen Einfluß Schillers Wilhelm Tell einst auf die Pariser Theater hatte, und daß sie eine hervorragende Übersetzung des Schillerschen Dramas haben, die des Romantikers Michel Pichat. In der letzten Nummer der aus¬ gezeichneten Rsvuo ä'Iiistoii's indol-iirs as Is, ?i »nes erzählt Latreille in einer Biographie Pichats, wie die Verschwörung vom Rutil im Jahre 1828 die Pariser Bühne be¬ herrschte. Im Gattötheater spielte man einen von Pixerecourt und Benjamin ver¬ faßten KuillAumo reit, von lebhafter dramatischer Handlung aber phrasenhafter Sprache. Im 1'InzÄ.dro I'v^av^u nahm man die ältere komische Oper von Grätry und Sedaine wieder ans, die in Beziehung ans Text wie Musik verbessert worden war. Villeneuve und Dupeuty schrieben für das Vaudevilletheater Lss trois «autons on l-t LonMgra,tioll suis-M, obgleich die Bühne des Vaudeville so klein war, daß nur fünfzehn Mann auf dem Rutil erscheinen konnten, Geßlers Gefolge und Sol¬ daten zusammen zehn Personen ausmachte» und der Apfelschuß auf eine Distanz

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/639>, abgerufen am 29.04.2024.