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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Die Vagdadbahn und der persische Meerbusen
Line militärpolitische Studie

ein den politischen Ereignissen der letzten Wochen beschäftigt
keins die gesamte Welt so lebhaft und anhaltend, als der bevor¬
stehende Baubeginn der Bagdadbahn, die mit ihrem Anschluß an
die anatolischc Eisenbahn und mit ihrer Anlehnung an den Per¬
sischen Meerbusen eine der größten und bedeutungsvollsten Ver¬
kehrs Straßen unsrer modernen Zeit werden soll. In Wort und Schrift ist auf
Handelsvorteile eingehend und wiederholt hingewiesen worden, die fast alle
großen Staaten der Welt aus diesem gewaltigen Unternehmen zu erwerben
hoffen, aber fast nirgends finden sich erschöpfende Angaben über die große
^edeutung, die die Bagdadbahn und der Persische Meerbusen in engem Zu¬
sammenhange miteinander, vom strategischen Standpunkt aus, haben werden.

So wie die Dinge heute liegen, läßt sich an dem Thatbestand nicht deuteln,
daß England im Besitz des Suezkanals einen großen Teil des Weltverkehrs
vollständig beherrscht und in Abhängigkeit von sich hält, und daß dazu die
stark befestigte Stellung von Aden am Ausgang des Roten Meeres ihm nach
allen Teilen der östlichen Welt ein strategisches Übergewicht verschafft hat, das
M der ernsten Stunde eines Konflikts von großer Wichtigkeit sein kann. Nun
lehrt ein Blick auf die Karte, daß, wenn der Persische Golf in dauerndem Besitz
einer fremden Macht ist, wenn dazu die Bagdadbahn dem Welthandel und
em Verkehr neue Zu- und Abfuhrwege von Westen nach Osten und umge¬
kehrt eröffnet, nicht nur Englands wirtschaftliche Rolle anders wird, sondern
^"es seine militärische Bedeutung in Asien eine völlige Umwandlung und
Verschiebung zu seinen Ungunsten erfahren muß. Das mächtige Bollwerk
"er Befestigungen von Aden würde alsdann in bedrohlicher Weise flankiert,
le wegen geringer Bewegungsfreiheit mangelhafte Verteidigung des Suez-
^eges noch mehr geschwächt, und die ganze Position der Engländer um Roten
^cer und am Suezkanal der Gefahr, umgangen zu werden, ausgesetzt sein,
s?! Erkenntnis dieser gefährlichen Stellung hat die britische Politik schon
>"t Jahren ihr Auge auf die Vorherrschaft im Persischen Meerbusen gerichtet,
und nicht besser kann dieses Vorhaben charakterisiert werden, als durch die


Grenzboten I 1902 80


Die Vagdadbahn und der persische Meerbusen
Line militärpolitische Studie

ein den politischen Ereignissen der letzten Wochen beschäftigt
keins die gesamte Welt so lebhaft und anhaltend, als der bevor¬
stehende Baubeginn der Bagdadbahn, die mit ihrem Anschluß an
die anatolischc Eisenbahn und mit ihrer Anlehnung an den Per¬
sischen Meerbusen eine der größten und bedeutungsvollsten Ver¬
kehrs Straßen unsrer modernen Zeit werden soll. In Wort und Schrift ist auf
Handelsvorteile eingehend und wiederholt hingewiesen worden, die fast alle
großen Staaten der Welt aus diesem gewaltigen Unternehmen zu erwerben
hoffen, aber fast nirgends finden sich erschöpfende Angaben über die große
^edeutung, die die Bagdadbahn und der Persische Meerbusen in engem Zu¬
sammenhange miteinander, vom strategischen Standpunkt aus, haben werden.

So wie die Dinge heute liegen, läßt sich an dem Thatbestand nicht deuteln,
daß England im Besitz des Suezkanals einen großen Teil des Weltverkehrs
vollständig beherrscht und in Abhängigkeit von sich hält, und daß dazu die
stark befestigte Stellung von Aden am Ausgang des Roten Meeres ihm nach
allen Teilen der östlichen Welt ein strategisches Übergewicht verschafft hat, das
M der ernsten Stunde eines Konflikts von großer Wichtigkeit sein kann. Nun
lehrt ein Blick auf die Karte, daß, wenn der Persische Golf in dauerndem Besitz
einer fremden Macht ist, wenn dazu die Bagdadbahn dem Welthandel und
em Verkehr neue Zu- und Abfuhrwege von Westen nach Osten und umge¬
kehrt eröffnet, nicht nur Englands wirtschaftliche Rolle anders wird, sondern
^"es seine militärische Bedeutung in Asien eine völlige Umwandlung und
Verschiebung zu seinen Ungunsten erfahren muß. Das mächtige Bollwerk
«er Befestigungen von Aden würde alsdann in bedrohlicher Weise flankiert,
le wegen geringer Bewegungsfreiheit mangelhafte Verteidigung des Suez-
^eges noch mehr geschwächt, und die ganze Position der Engländer um Roten
^cer und am Suezkanal der Gefahr, umgangen zu werden, ausgesetzt sein,
s?! Erkenntnis dieser gefährlichen Stellung hat die britische Politik schon
>"t Jahren ihr Auge auf die Vorherrschaft im Persischen Meerbusen gerichtet,
und nicht besser kann dieses Vorhaben charakterisiert werden, als durch die


Grenzboten I 1902 80
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[0641] [Abbildung] Die Vagdadbahn und der persische Meerbusen Line militärpolitische Studie ein den politischen Ereignissen der letzten Wochen beschäftigt keins die gesamte Welt so lebhaft und anhaltend, als der bevor¬ stehende Baubeginn der Bagdadbahn, die mit ihrem Anschluß an die anatolischc Eisenbahn und mit ihrer Anlehnung an den Per¬ sischen Meerbusen eine der größten und bedeutungsvollsten Ver¬ kehrs Straßen unsrer modernen Zeit werden soll. In Wort und Schrift ist auf Handelsvorteile eingehend und wiederholt hingewiesen worden, die fast alle großen Staaten der Welt aus diesem gewaltigen Unternehmen zu erwerben hoffen, aber fast nirgends finden sich erschöpfende Angaben über die große ^edeutung, die die Bagdadbahn und der Persische Meerbusen in engem Zu¬ sammenhange miteinander, vom strategischen Standpunkt aus, haben werden. So wie die Dinge heute liegen, läßt sich an dem Thatbestand nicht deuteln, daß England im Besitz des Suezkanals einen großen Teil des Weltverkehrs vollständig beherrscht und in Abhängigkeit von sich hält, und daß dazu die stark befestigte Stellung von Aden am Ausgang des Roten Meeres ihm nach allen Teilen der östlichen Welt ein strategisches Übergewicht verschafft hat, das M der ernsten Stunde eines Konflikts von großer Wichtigkeit sein kann. Nun lehrt ein Blick auf die Karte, daß, wenn der Persische Golf in dauerndem Besitz einer fremden Macht ist, wenn dazu die Bagdadbahn dem Welthandel und em Verkehr neue Zu- und Abfuhrwege von Westen nach Osten und umge¬ kehrt eröffnet, nicht nur Englands wirtschaftliche Rolle anders wird, sondern ^"es seine militärische Bedeutung in Asien eine völlige Umwandlung und Verschiebung zu seinen Ungunsten erfahren muß. Das mächtige Bollwerk «er Befestigungen von Aden würde alsdann in bedrohlicher Weise flankiert, le wegen geringer Bewegungsfreiheit mangelhafte Verteidigung des Suez- ^eges noch mehr geschwächt, und die ganze Position der Engländer um Roten ^cer und am Suezkanal der Gefahr, umgangen zu werden, ausgesetzt sein, s?! Erkenntnis dieser gefährlichen Stellung hat die britische Politik schon >"t Jahren ihr Auge auf die Vorherrschaft im Persischen Meerbusen gerichtet, und nicht besser kann dieses Vorhaben charakterisiert werden, als durch die Grenzboten I 1902 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/641>, abgerufen am 29.04.2024.